Sind Firmen für Umweltschäden verantwortlich oder wir alle? Aus der Sicht der Klimaschützer sind Firmen die grossen Sünder. In den Niederlanden wollen sie nach Shell nun auch die grösste Bank des Landes anklagen.
Politik und Gesellschaft schaffen es nicht wirklich, den Klimaschutz voranzubringen. Umweltorganisationen knöpfen sich daher gerne bekannte Grossfirmen vor, um auf ihre ökologischen Anliegen aufmerksam zu machen. Soeben ist ING, die grösste Bank der Niederlande, ins Visier der Umweltorganisation Milieudefensie geraten.
Kämpferische Töne der Umweltschützer
Das Finanzinstitut solle die Emissionen halbieren und die Zusammenarbeit mit Kunden beenden, welche die Umwelt verschmutzten, forderten Vertreter der Organisation Ende vergangener Woche. Man werde ING vor Gericht bringen, falls die Bank nicht sofort Massnahmen ergreife. «Und auch dieses Mal werden wir alles unternehmen, um den Fall zu gewinnen.»
Milieudefensie spielt damit auf einen juristischen Sieg an, der im Mai 2021 viel Aufsehen erregt hat. Damals entschied ein Gericht in Den Haag, dass der niederländisch-britische Energiekonzern Shell seine CO2-Emissionen bis 2030 um 45 Prozent reduzieren müsse. «Dieses Urteil verändert die Welt fundamental», sagte der Anwalt Roger Cox damals in einem Interview mit der NZZ. Er hatte Milieudefensie und weitere Verbände vor dem Haager Gericht vertreten und wird im Fall ING die gleiche Funktion übernehmen. Der Schutz vor dem Klimawandel ist laut Cox ein Menschenrecht geworden.
Finanzinstitute sind beliebte Ziele von Umweltaktivisten, die nicht daran glauben, dass scharfe Gesetze und CO2-Lenkungsabgaben für die Umwelt etwas zum Besseren verändern. Banken stellen aus ihrer Sicht einen wirksamen Hebel dar, um die Wirtschaft rasch ökologisch umzugestalten.
Warum hat sich Milieudefensie aber ausgerechnet ING als Opfer ausgesucht? Es handle sich um die grösste Bank der Niederlande, den grössten Verschmutzer aller Finanzinstitute des Landes und sie zähle zu den dreissig systemrelevanten Banken der Welt, sagt Benjamin van Sterkenburg von Milieudefensie. Indem man auf ING ziele, bringe man eine politische Debatte in Gang.
Allerdings kann man den international tätigen Finanzhäusern nicht generell vorwerfen, sie trödelten bei der Umgestaltung ihres Kreditportefeuilles. Bankmanager haben nämlich grosse Angst davor, auf «Stranded Assets» sitzen zu bleiben: also Schuldner als Kunden zu haben, die aufgrund schärferer Umweltgesetze oder sich ändernder Konsumgewohnheiten nicht mehr in der Lage sind, ausreichend Geld zu verdienen.
Polnische Energieversorger etwa gehören in diese Kategorie. Ihnen machen die hohen CO2-Preise im Emissionshandel schwer zu schaffen. Polen übernimmt daher von den grossen Stromversorgern gerade das Kohlegeschäft. Verbliebe es bei den teilweise privaten Produzenten, hätten diese zunehmend Mühe, Kredite zu bekommen.
Die Finanzhäuser reduzieren die Darlehensvergabe an Firmen des Erdöl- und Gassektors jedenfalls seit Jahren. Das betonen sie jeweils wortreich – sei das nun ING oder in der Schweiz die UBS.
Den Umweltorganisationen geht dieser Prozess aber viel zu langsam. Derzeit hat ING noch Darlehen in Höhe von 15 Milliarden Euro an Unternehmen ausstehend, die Erdöl oder Erdgas fördern. Das sind 6 Prozent des an Grosskunden vergebenen Kreditvolumens. Im Dezember 2023 hatte die Bank angekündigt, dass man das Kreditgeschäft mit den Branchenvertretern bis 2040 auslaufen lassen werde.
80 Prozent der weltweit verbrauchten Energie beruhten allerdings auf fossilen Rohstoffen, betont die Bank in einer Stellungnahme zur medial geschickt orchestrierten Attacke von Milieudefensie. Man investiere zwar ebenfalls in nachhaltig ausgerichtete Firmen, sei aber Teil der globalen Wirtschaft. Zudem betonen die Finanzhäuser jeweils, dass sie mit jenen Firmen eine Geschäftsbeziehung haben möchten, die den Willen hätten, ihr Geschäftsmodell umzubauen.
ING hat nun acht Wochen Zeit, um den Forderungen der Umweltschützer nachzukommen. Die Bank wird kaum darauf eintreten, das wissen auch die Vertreter von Milieudefensie. Daher wird es zu einer gerichtlichen Vorladung von ING kommen. Das dürfte laut der Umweltschutzorganisation in acht Monaten der Fall sein.
Shell will nicht Sündenbock sein
Hängig ist auch noch das Verfahren gegen Shell. Milieudefensie hat vor dem Haager Bezirksgericht zwar recht bekommen, das Energieunternehmen hat den Fall aber weitergezogen. Im April wird er vor dem niederländischen Hohen Gericht nochmals verhandelt.
Shell verteidigt sich unter anderem mit dem Argument, dass sich die gesamte Gesellschaft anstrengen müsse, um die Wirtschaft ökologisch umzubauen. Es sei falsch, die Last einfach einer Firma aufzubürden, zumal Shell nicht gegen spezifische Vorschriften verstossen habe.