In Zürich sterben immer mehr Klubs, die Branche serbelt, die Jungen bleiben daheim. Die Schliessung der «Zukki» ist ein Wink des Zeitgeists. Eine letzte Nacht mit dem Mitgründer Markus Ott.
Als Erstes der Gorilla. Alle, die in den letzten 20 Jahren die «Zukunft» betreten haben, sind ihm im Eingang begegnet – dem Klub-Maskottchen. Mächtig, in seiner Fülle und Breite, hat er, fast schon voyeuristisch, das Treiben im Keller der Dienerstrasse 33 observiert. Die Statue ist den einen als perfekte Selfie-Kulisse in Erinnerung geblieben, den andern als Treffpunkt, um verlorene Freunde zu finden.
Der Gorilla hat alles miterlebt: streitende Pärchen, betrunkene Partygäste, knutschende Jugendliche – zu jeder Jahreszeit, von spätabends bis in die frühen Morgenstunden. Bis zu jenem Tag vergangenen Februar, als er abtransportiert wurde. Weg von der Langstrasse – weg von der «Zukunft», die es bald nicht mehr geben wird.
Die «Zukki-Jungs»
Es ist Samstagabend, 8. März, kurz vor 18 Uhr, draussen glimmt die Abendsonne. Die wenigsten denken zu dieser Uhrzeit schon ans Ausgehen. Ausser in der «Zukunft».
Bald ist Schluss, am 23. März schliesst der Klub für immer seine Türen. Bis dahin wird heftig gefeiert. An 33 Tagen haben die Klubbetreiber 333 Künstlerinnen und Künstler gebucht, die an der Dienerstrasse 33 ein letztes Mal spielen werden.
Die Türen des Klubs sind noch zu, drinnen wird bereits gearbeitet. Markus Ott kommt um die Ecke. Er ist 43 Jahre alt, hat schulterlange, blonde Haare und ein neonpinkes Outfit. Auf seinem Pulli steht, als Anspielung auf seinen Namen: Gott. Er ist einer der Gründer der «Zukki», wie der Klub «Zukunft» von seinen Gästen genannt wird.
Es ist Festivaltag 18 von 33. Eine weitere Partynacht steht an. Ott ist entspannt, er ist seit mehr als 20 Jahren im Business. Er tourt durch das Gebäude, begrüsst das Personal, raucht eine Zigarette nach der anderen.
Der Klub ist in Zürich Kult. Drei lokale Rapper besangen ihn 2012 so:
«Züri, Langstrass-Bitches, Hustlers und Coci.
Da chasch si, wasd wotsch si. Willkomme in Züri.
Bar 3000 und dän id Zukki. Bis am Morgä am 7i.»
Zusammen mit seinen besten Freunden, den «Zukki-Jungs» Alex Dallas (52), Michi Vollenweider (50) und Sacha Winkler, besser bekannt als DJ Kalabrese (51), leitet Ott den Betrieb. Zwei weitere Gründer stiegen nach Corona aus dem Geschäft aus.
Bild links: Markus Ott ist einer der vier «Zukki-Jungs». Er war von Anfang an dabei. Bild rechts: Die «Zukunft» hat ein Herz für Musik, deshalb nennt sie sich auch selbstbewusst «The Home of Good Music».
2005 eröffneten die sechs Freunde den Klub in einer Seitenstrasse der Langstrasse. Jeder steuerte 4000 Franken bei. Markus Ott und Alex Dalls kannten sich von der Dachkantine – damals der angesagteste Klub der Stadt. Auf einer riesigen Dachterrasse im damals noch verlassenen Zürich-West tanzten die Gäste bis zum Sonnenaufgang.
Ott war erst 22, als er dort vom Dauergast zum Mitinhaber wurde. Seither arbeitet der gelernte Dekorationsgestalter ohne Unterbruch im Zürcher Nachtleben.
Wie die Dachkantine setzte die «Zukunft» auf ein Publikum aus allen Altersgruppen. Und auf musikalische Vielfalt: alle Arten elektronischer Musik, von House bis Techno, aber auch Reggaeton, die Klubmusik aus Südamerika.
Das Motto der vier Besitzer lautet: «Wo die Leidenschaft ist, liegt der Erfolg». Der reichte am Schluss aber nicht, um die «Zukunft» zu retten.
Der Abschied kam schleichend. Grund für den Schlussstrich ist nicht etwa das Geschäft, sondern die Immobilie. Das Gebäude wird komplett saniert. Wo 20 Jahre lang Raver getanzt haben, sollen schicke Wohnungen und ein Coop Pronto entstehen. Einige Stunden nach der letzten Party sollen schon die ersten Bagger vorfahren.
Für Ott und seine Mitstreiter ist der Abschied in gewisser Hinsicht auch einer von ihrer Jugend. Er sagt: «Wenn ich mit dem Velo durch das Quartier fahre, denke ich nicht mehr überall: Ah, hier könnte ich eine Bar aufmachen, oder das wäre ein guter Ort für einen Rave. Meine Frau hat mich verändert. Meine Kinder haben mich verändert. Ich habe mich verändert.»
Der Scheideweg trennt die alten und die neuen Raver
Zurück an der Dienerstrasse. Mittlerweile ist es kurz vor 19 Uhr. In wenigen Minuten öffnen die Türen. Die letzten Vorbereitungen laufen: Sound- und Lichtcheck, Mitarbeiter verkabeln, Eis auffüllen.
Markus Ott muss am Scheideweg einspringen. So nennt er den Klubeingang, hinter dem sich die Gäste entscheiden müssen: die Treppe hoch in die etwas intimere Waxy Bar oder nach unten zum grossen Klubsaal. Er steht vor der Eingangstür, kontrolliert die Stempel der Konzertbesucher, zieht an seiner Zigarette.
Männer mit grauen Haaren, Väter mit ihren Kindern, Jugendliche: Alle wollen sich von ihm und der «Zukki» verabschieden. Sprechen sehnsüchtig von den «guten alten Zeiten», egal, ob sie sie erlebt haben oder nicht.
Der Scheideweg trennt die alten von den neuen Ravern. Die einen sind hier, um sich in nostalgische Töne zu hüllen, die anderen, um in der Gegenwart mitzusingen.
Oben, in der Waxy Bar, gibt eine Koryphäe der Schweizer Elektro-Musik ihr letztes Konzert in der Zukunft: Bruno Spoerri, 89 Jahre alt. Wie er haben viele Pioniere der modernen Klubmusik in der «Zukunft» eine Bühne gefunden.
Unten im Klubsaal spielt derweil der Appenzeller Sänger Benjamin Amaru, 28-jährig, für das jüngere Publikum.
Bild links: Die Discokugeln über der Bar in der «Zukunft» können ab April auf Ricardo ersteigert werden. Bild rechts: Bruno Spoerri ist 89 Jahre alt und lebt immer noch für die elektronische Musik.
An diesem Abend sind neben Ott auch die anderen «Zukki-Jungs» präsent. Sie huschen vorbei, tragen Boxen in den Saal, werden ihrerseits von Nostalgikern belagert. Ott ist mit Abstand der Jüngste von ihnen. Während die anderen sich hauptsächlich mit Musik beschäftigen, ist er im Klub für das Soziale da.
Die vier ergänzen sich, sind gleichzeitig Geschäftspartner und Freunde. Es gehe niemandem um eine Einzelshow, sagt Ott. Keine Selbstverständlichkeit in einer Klubszene, die nicht arm ist an selbstbewussten Showmännern.
Der Sonntag ist zum Wandern da
Die «Zukunft» leidet unter demselben Problem wie alle Ausgehlokale – von Berlin bis London.
Die Jungen gingen seltener in Klubs, sagt Ott. Die neue Generation lebt gesünder und trinkt weniger. Der Sonntagskater wird gegen die Sonntagswanderung ausgetauscht. Und wie Ott bestätigt, spüren das auch die Betreiber.
Zudem sinkt der Alkoholkonsum in Zürcher Klubs – in allen Altersklassen, wie es in einer Studie der Zürcher Bar- und Clubkommission von 2024 heisst. Und wer weniger trinkt, generiert auch weniger Einnahmen – ein Trend, den auch alkoholfreie Optionen bisher nicht stoppen konnten. Laut der Bar- und Clubkommission machen Getränke zwei Drittel des durchschnittlichen Klub-Umsatzes aus, wobei die alkoholischen Getränke am profitabelsten sind.
Kein Rausch bedeutet also auch: weniger Einnahmen. Der Umsatz pro Gast ist entsprechend dramatisch gesunken – zwischen 2018 und 2023 von 45 auf 30 Franken.
Zudem stiegen die Kosten für Miete und Personal, beschweren sich Klubbetreiber. Sie fordern deshalb unterdessen gar staatliche Subventionen für ihre Betriebe.
«Sie dürfen nicht mehr abstürzen»
Es ist Mitternacht. Der Klubsaal der Zukunft ist seit einer Stunde geöffnet. Das Fumoir ist voll, die Schlange wird immer länger.
Ott steht an der Bar und raucht.
Früher seien die Partys wilder und die Gäste betrunkener gewesen, sagt er. Dass Junge heute seltener kämen und weniger konsumierten, habe auch damit zu tun, dass sie ständig unter Beobachtung stünden. «Sie müssen ständig Angst haben, gefilmt zu werden und auf Instagram zu landen. Sie trauen sich nicht mehr abzustürzen.»
Bis er 14 Jahre alt war, wuchs Ott im Zürcher Kreis 1 auf. Danach zog seine Familie nach Zürich Affoltern – «wegen der Gentrifizierung», wie er sagt. Drei Jahre später war Ott schon zurück in der Innenstadt – und verbrachte den Grossteil seiner Nächte im Ausgang.
Damals, sagt er, sei die Stadt noch restriktiver gewesen, das Feiern draussen oder in Bars schwieriger. «Die Klubs waren der einzige Ort, wo man bis in die Nacht hinein tanzen konnte.»
Das sei heute anders – mit Raves unter freiem Himmel und Bars, in denen bis 2 Uhr Musik laufen dürfe. Die Klubs seien in gewisser Hinsicht die Leidtragenden einer Liberalisierung, die sie einst selbst anstiessen.
Dazu kommt: Tiktok und Instagram haben zum Aufstieg einiger weniger Star-DJ geführt. Ihre Fans stürmen die wenigen Klubs und Festivals, die sich deren Auftritte leisten können. Kleinere Traditionsbetriebe haben das Nachsehen.
Die «Zukunft» landet auf Ricardo
Mittlerweile ist es 2 Uhr morgens. Im Keller der «Zukki» hämmert der Bass. Ott verteilt Küsschen hier, Handschläge da. Er sei der «Vibekontroller», grinst er – einer, der überall für gute Stimmung sorgt. Der alle kennt und einander vorstellt.
Dann muss Ott langsam nach Hause, er ist erkältet und hat einen Kater. Ein letzten Blick zur Uhr über der Bar, die den Countdown bis zum Ende der «Zukunft» anzeigt: 14 Tage, 22 Stunden, 23 Minuten, 10 Sekunden.
Er freue sich auf das Ende, sagt Ott. «Wir können mit einem Wumms aufhören und werden nicht dazu gezwungen.» Und überhaupt: Wer wolle mit 60 Jahren noch einen Klub betreiben?
Vielleicht ist jetzt der beste Moment, um aufzuhören und noch etwas Neues zu starten: Kapitän auf einem Schiff werden, das ist Otts nächstes Projekt. Sein Mitstreiter Alex Dallas will derweil einen Klub eröffnen im ehemaligen Sex-Kino Roland an der Langstrasse.
Zuvor aber wird der Mitgründer Sacha Winkler, bekannt als DJ Kalabrese, noch für den letzten Wumms in der «Zukunft» sorgen. Er war der Erste, der hier aufgelegt hat, und er wird in der Nacht von Sonntag auf Montag auch der Letzte sein.
Danach wird das ganze Inventar – Türen, Discokugeln, Gläser, Aschenbecher, sogar Teile der Wand – auf Ricardo versteigert. Mindestgebot: 1 Franken.
Nur der Gorilla, das Wahrzeichen des Klubs, wird es nicht ins Wohnzimmer des Meistbietenden schaffen. Mit ein paar anderen ausgewählten Gegenständen wurde er schon im Februar abtransportiert. Ins Landesmuseum, wo die «Zukunft» damit endgültig Geschichte wird.