Ungarn muss wegen Viktor Orbans Vetternwirtschaft auf eine Milliarde Euro aus der EU verzichten. Die Schweiz teilt die Bedenken – und zahlt trotzdem weiter. Das wirft in der Politik kritische Fragen auf.
Viktor Orban war verärgert. Dieses Geld «gehört uns», mahnte der ungarische Ministerpräsident bereits im Dezember. Doch die EU suche ständig Methoden und Wege, um es der ungarischen Bevölkerung wegzunehmen.
Genützt hat die Tirade nichts. Kurz vor Jahresende hat die EU-Kommission ein weiteres Mal entschieden, Kohäsionsgelder an Ungarn in der Höhe von 6,3 Milliarden Euro eingefroren zu lassen. Mehr noch: Erstmals hat sie in ihrer Strafaktion auch Gelder definitiv gestrichen.
Zwei Jahre hatte die EU Orban Zeit gegeben, um zu verbessern, was sie seit langem kritisiert: Die Rechtsstaatlichkeit hat in Ungarn grosse Lücken, der Staat ist anfällig für Korruption und Vetternwirtschaft, speziell bei der Vergabe von öffentlichen Aufträgen. Und weil Orban dies aus Sicht der EU nicht fristgerecht korrigiert hat, fällt eine erste Tranche dieser gesperrten Gelder nun unwiderruflich weg. Gut eine Milliarde Euro muss sich Ungarn ans Bein streichen, so wie im Übrigen auch schon Beiträge von über 200 Millionen Euro aus Norwegen weggefallen sind.
Geld trotz Bedenken
Immerhin, auf einen anderen Partner kann sich Ungarn verlassen: Die Schweiz bezahlt weiter, allen Bedenken der EU zum Trotz. In ihrem zweiten Kohäsionsbeitrag an EU-Staaten in der Höhe von total 1,3 Milliarden Franken hat sie 87,6 Millionen für Ungarn reserviert. Das Geld soll unter anderem dazu dienen, die Geothermie zu fördern, die Trinkwasserversorgung zu verbessern, KMU neue Finanzierungsmöglichkeiten zu verschaffen oder die berufliche Ausbildung zu unterstützen.
Das bilaterale Abkommen mit Ungarn, das die Details dazu regelt, wurde bereits 2022 unterzeichnet, laut Präambel im gemeinsamen Willen «die fundamentalen Werte der Demokratie, der Rechtsstaatlichkeit und des politischen Pluralismus zu teilen und voranzubringen». Inzwischen sind erste Projekte gestartet und Gelder zugesagt worden.
Hat sich die Schweiz nie überlegt, ihre Gelder auch zu sperren? Und wieso agiert sie in Sachen europäischer Kohäsion noch grosszügiger als die EU selbst?
Das Aussendepartement (EDA) schreibt dazu, die Schweiz teile zwar die Bedenken der EU grundsätzlich. Sie leiste ihre Kohäsionsbeiträge aber unabhängig und ausserhalb der EU-Mechanismen. Und sie stehe hinter dem Engagement, da es die wirtschaftliche und soziale Entwicklung in den Partnerländern verbessere. Es liege damit im Interesse der lokalen Bevölkerung und letztlich auch der Schweiz.
Im Grossen also lässt der Bund seine Unterstützung für Ungarn laufen. Im Kleinen allerdings hat er Sicherungen eingebaut für den Fall, dass in konkreten Projekten rechtsstaatliche Probleme auftauchen sollten. Dazu seien gemeinsame Prinzipien der Zusammenarbeit vereinbart worden, schreibt das Aussendepartement. «Werden diese Prinzipien in den von der Schweiz finanzierten Programmen und Projekten – wie beispielsweise die Respektierung von Grundrechten im Rahmen der Zusammenarbeit – nicht eingehalten, kann die Schweiz geeignete Massnahmen treffen.» Dazu gehört die Sistierung eines Projektes und im Extremfall auch die Streichung der jeweiligen Mittel. Bisher, so das EDA, seien die Qualitätsanforderungen eingehalten worden.
Fragezeichen aus der Politik
In der Politik stösst die Haltung auf Kritik, wenn auch unter anderen Vorzeichen als üblich: Die SVP kritisiert zwar die Kohäsionsbeiträge generell, hat aber keine Mühe damit, dass auch Orbans Ungarn davon profitiert. Die Linke steht zwar zu den Kohäsionsbeiträgen, kritisiert aber Orban und sein Regime.
So sagt Nicolas Walder, Vizepräsident der Grünen, er habe schon früher verlangt, dass man die Zahlungen an Ungarn wie die EU an zusätzliche Bedingungen knüpfe. Der Bundesrat habe aber lieber auf Dialog gesetzt. Nun zeige sich, dass diese Strategie wenig gefruchtet habe. «Wir müssen wachsamer sein, dass die Hilfe nicht Viktor Orban und seiner Propaganda dient, sondern wirklich einer inklusiveren Gesellschaft und dem Respekt der Menschenrechte», sagt der Genfer Nationalrat.
Ähnlich sieht es der SP-Ständerat Carlo Sommaruga. Er sagt, dort, wo die Projekte effektiv der lokalen Bevölkerung nützten und mit zivilen Partnern durchgeführt würden, solle das Geld fliessen. Sobald aber die Regierung einbezogen und gestärkt werde, sei mehr Vorsicht angebracht. «Wir müssen darauf achten, dass nicht die Regierung Orban von unseren Geldern profitiert», sagt auch Sommaruga. Der Blick auf die Liste der Schweizer Projekte zeigt, dass einige mit zivilen Partnern umgesetzt werden, andere direkt oder indirekt über Ministerien der Regierung.
Der SVP-Fraktionschef Thomas Aeschi sagt derweil, das wahre Problem liege anderswo. Es sei ein Fehler, dass die Schweiz überhaupt solche Kohäsionszahlungen leiste. Und es sei der noch viel grössere Fehler, dass sie diese Beiträge nun für neue Verträge mit der EU auf 350 Millionen pro Jahr aufstocke und zu regelmässigen und vertraglich vereinbarten «Tributzahlungen» mache. Wenn sich die Schweiz aber einmal gegenüber einem Land dazu verpflichtet habe, dann müsse sie diesen Verpflichtungen auch nachkommen. Insofern sieht Aeschi keinen Grund, Gelder an Ungarn nun zurückzuhalten, zumal das Land in vielen Punkten eine gute Politik mache. «Strafaktionen dafür sind sicher nicht angebracht.»
Die Hilfe an Ungarn dürfte also weiter zu diskutieren geben, auch in der EU. Insgesamt hat die Union sogar 19 Milliarden Euro an Hilfsgeldern eingefroren, neben Kohäsionsbeiträgen auch Kredite aus der Corona-Wiederaufbauhilfe. Und je länger der Streit über die Rechtsstaatlichkeit in Ungarn andauert, umso mehr wird davon definitiv wegfallen. Orban seinerseits will dies nicht hinnehmen. Er hat bereits einmal mehr angedroht, das nächste langfristige Budget der EU zu blockieren, wenn das Geld nicht fliesse.
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