Nach dem Schweizer Urnengang zur Konzernverantwortungsinitiative hat die EU ihre Regeln verschärft. Doch nun bahnen sich Lockerungen an. Das erschwert den Umgang mit der neuen Schweizer Volksinitiative.
Eigentlich wollte der Bundesrat dieses Frühjahr einen Richtungsentscheid zu den künftigen Firmenregeln im Umgang mit Umweltschutz und Menschenrechten treffen. Im Abstimmungskampf zum Urnengang von 2020 zur Konzernverantwortungsinitiative hatte die Regierung deutlich gemacht, dass die Schweiz bei diesen Regeln nicht strenger sein sollte als die EU. Die Volksinitiative scheiterte knapp.
Später hat die EU ihre Regeln deutlich verschärft. Im Mai 2024 kam es zu einer Einigung über eine neue EU-Richtlinie zur Konzernverantwortung (Lieferkettenrichtlinie). In der Schweiz lancierten die Urheber diesen Januar der ersten Volksinitiative eine etwas sanftere Neuauflage, die zu grossen Teilen an die neuen EU-Regeln angelehnt war.
Doch der Wind in der EU hat vor allem seit der zweiten Jahreshälfte 2024 gedreht. Zentrale Treiber waren Rechtsverschiebungen bei Wahlen, die wirtschaftlich schwache Entwicklung und geopolitische Verhärtungen. Die Wettbewerbsfähigkeit der Wirtschaft und der Bürokratieabbau sind politisch bedeutender geworden. So schlug die EU-Kommission diesen Februar deutliche Lockerungen der Firmenregeln, etwa zur Nachhaltigkeitsberichterstattung und zum Klimazoll, vor. Auch die Regeln der Lieferkettenrichtlinie, die namentlich Sorgfaltspflichten der Firmen zu Umweltschutz und Menschenrechten einschliesslich Haftungsregeln enthalten, will die EU-Kommission deutlich lockern. In wesentlichen Punkten gehen die Brüsseler Vorschläge weniger weit als die neue Schweizer Volksinitiative.
Bern schiebt den Richtungsentscheid auf
Doch was die EU am Ende beschliessen wird, ist noch unklar. Die Ausmarchung zwischen EU-Kommission, EU-Parlament und Mitgliedstaaten steht grossenteils noch bevor. Der Bundesrat hat deshalb am Freitag seinen Richtungsentscheid aufgeschoben. Laut seiner Mitteilung beauftragte er das Justizdepartement, «die möglichen Varianten für eine pragmatische Änderung der aktuellen Gesetzgebung auszuarbeiten». Über das weitere Vorgehen werde er entscheiden, «sobald die EU über ihre angekündigten Vereinfachungen entschieden hat, spätestens jedoch im Frühjahr 2026».
Der Bundesrat kann nicht ewig warten, weil er bei Volksinitiativen an Behandlungsfristen gebunden ist. So muss er im Grundsatz innert eines Jahres nach Einreichung einer Initiative seine Botschaft mit Interpretationen, Stellungnahme und Empfehlung ans Parlament verabschieden. Richtungsentscheide dazu braucht es schon wesentlich früher, damit die Verwaltung Zeit hat, die Botschaft vorzubereiten.
Initianten könnten bald einreichen
Die Initianten hatten nach Angaben vom Januar innert zwei Wochen schon über 180 000 Unterschriften gesammelt. Zurzeit seien die Beglaubigungen noch im Gang, hiess es am Freitag auf Anfrage. Wann die Initiative eingereicht werde, sei noch offen. Als grobe Stossrichtung war einmal die Rede vom «Vorsommer», was etwa Mai oder Juni heissen könnte. Aber entschieden ist das laut Beteiligten noch nicht.
Je später die Initiative eingereicht wird, desto eher kann der Bundesrat die EU-Entwicklungen abwarten. Laut Beobachtern könnte die EU in einem raschen Szenario bis diesen Sommer zu einer Einigung kommen. Dann hätte der Bundesrat wohl genügend Zeit. Doch es könnte in der EU auch wesentlich länger gehen.
Der Zeitrahmen zur Behandlung der Volksinitiative erweitert sich um 18 Monate, wenn der Bundesrat seine Vorlage als Gegenvorschlag konzipiert. Eine wichtige Frage dabei: Würden die Initianten ihr Begehren zurückziehen, wenn die künftigen Schweizer Bestimmungen im wesentlichen die neuen (mutmasslich gelockerten) EU-Regeln spiegeln würde? Eine Antwort darauf gab es am Freitag nicht. Einer der Beteiligten sagte immerhin, dass man in einem solchen Fall einen Rückzug der Initiative wohl ernsthaft erwägen würde.