Die Versicherungen investieren aggressiv in eine Finanztechnologie, die die Katastrophe der Grossen Finanzkrise ausgelöst hat. Müssen wir uns Sorgen machen?
American International Group (AIG) war vor der Grossen Finanzkrise eine der mächtigsten Versicherungen der Welt. Die Versicherung hatte eine kleine, aber wie sich zeigen sollte, wichtige Abteilung: AIG Financial Products. Diese verkaufte Kreditversicherungen im grossen Stil, fatalerweise auf hypothekenbesicherten Wertpapieren. Wie sich zeigen sollte, unterschätzte AIG das Risiko dieser Produkte und hielt nicht genügend Kapital vor, um potenzielle Verluste abzudecken. Als die Hypothekenmärkte einbrachen, verlor die Firma Hof und Haus.
In diesem Beitrag zur Korrelation des Monats schauen wir auf die Korrelation in Finanzprodukten und auf die Tatsache, dass sich der eine oder andere dieses Risikos wohl nicht bewusst ist.
Am 16. September 2008 ist AIG an einer Überdosis Korrelation gestorben.
Das Unternehmen wurde vom amerikanischen Steuerzahler mit einem Kredit-Defibrillator von 85 Mrd. $ zurück ins Leben geholt, im Gegenzug übernahm der Staat 79,9% der Anteile an AIG.
Seither gilt der Fall AIG als Beispiel für die systematischen Risiken, die durch den Handel mit komplexen Finanzinnovationen entstehen, hatte die Firma doch mit hochexplosiven CDO (Collateralized Debt Obligations) hantiert, einer Finanztechnologie, die so verführerisch schön wie komplex ist. Die Ära der CDO hat Geschichte gemacht und wurde im Film «The Big Short» sehr unterhaltsam nacherzählt.
Heute hantiert die Firma wieder mit einer ähnlichen Finanztechnik: CLO (Collateralized Loan Obligations). Und nicht nur AIG, auch die Banken hierzulande dürften in diesem Markt präsent sein.
Müssen wir uns Sorgen machen? Läuft wieder das gleiche Script ab wie mit den CDO? Muss die Film-Crew von 2008 wieder in die Hosen? Läuft bald Big Short II?
Um es gleich vorwegzunehmen: Das Marketing für diese CLO ist brillant: Ein CLO ist eine Maschine, die hoch verzinsliche, private Schuldpapiere mit tiefem Rating poolt, das Risiko tranchiert und damit neue Wertpapiere mit hohem Rating, guter Handelbarkeit und einem sagenhaften Pedigree kreiert, die auch an Investoren mit tiefer Risikotoleranz und hohen Ratinganforderungen verkauft werden können.
Ich hatte das Glück, von 2003 bis 2008 einen CDO mitzuverwalten, ein Ungetüm von fast 1 Mrd. Fr. Gegenwert, errichtet in einer Zeit attraktiver Marktbedingungen und einem (glücklichen) Endverfall kurz vor der Katastrophe. Und tatsächlich war ich in dieser Zeit in einer Retraite zu Gast bei AIG Financial Products in der Nähe von New York, wo alle Abteilungen der Versicherung die Synthetisierung fast aller Anlagedomänen abfeierte. Zu früh, wie sich zeigen sollte.
CLO erfüllen alle Kriterien für den professionellen Investor: Sie ermöglicht es, in eine interessante Spielart von Private Debt zu investieren, mit ungewohnt hohen Ratings, verbesserter Liquidität, einem überaus interessanten Zins, der viel attraktiver ist als der Geldmarktzins, bei gleichzeitig verminderter Zinssensitivität, tiefer Default Rate und hohen Recoveries im Falle eines Bankrotts.
CLO haben im Markt für Unternehmensanleihen seit der grossen Finanzkrise alle anderen Instrumente an die Wand gespielt, besiegt, vernichtet. Sie haben die ganze Wertschöpfungskette reich gemacht. Und dies, obwohl sie heute regulierter und robuster sind denn je.
Noch nie ist eine AAA-Tranche eines CLO ausgefallen, nicht in der grossen Finanzkrise, nicht in den Covid-Zeiten, nie. Man muss sich das auf der Zunge zergehen lassen.
Ich habe Ihnen alles Wissenswerte, Positive und Negative, Schöne und Fragwürdige zum Thema CLO in dieser Broschüre zusammengetragen. Ich hoffe, sie bereitet Ihnen Freude bei der Lektüre.
Das Investitionsvehikel CLO investiert in sogenannte «Leveraged Loans» (deshalb das «L» im Akronym), diese bilden das Underlying. Das sind Schuldverschreibungen von mittelgrossen Unternehmen, vorrangig und mit speziellen Vermögenswerten besichert, mit einem Rating zwischen BB- und CCC; also Firmen mit sehr tiefen Ratings, die Finanzierung erfolgt schwergewichtig für fremdfinanzierte Übernahmen oder kurz LBO, der Zinssatz ist immer variabel. Man kann verkürzt sagen, dass Leveraged Loans einen guten Teil des LBO-Private-Equity-Markts finanzieren.
Pro CLO werden Loans von rund 200 Emittenten (auch 400 sind möglich) zusammen gepoolt, und damit wird eine hohe Diversifikation erreicht.
Kommen wir zur CLO-Struktur. Sie ist von einer geradezu atemberaubenden Schönheit. Sie ist in der Broschüre detailliert beschrieben. Technisch ausgedrückt schafft sie aus einem Bündel von Unternehmensschuldverschreibungen einen Strauss von Anlagemöglichkeiten, eine AAA-Tranche für Investment-Grade-Anleger, eine Equity-Tranche für Investoren mit hoher Risikotoleranz sowie Tranchen von AA bis BB für Fixed-Income-Anleger mit hoher Risikotoleranz.
Voraussetzung ist das Vorhandensein einer «Arbitrage»-Möglichkeit. Das ist dann der Fall, wenn die Finanzierungskosten verglichen mit den Cashflows aus dem Underlying genügend tief sind.
Warum ist die Struktur so unbeschreiblich schön? Sie ist ein lebender Organismus: Das Rückgrat bilden die Leveraged Loans im Portfolio, der Körper ist die Struktur mit dem Equity als Hirn, die Energie wird aus dem Sauerstoff der «Arbitrage» gezogen, der Organismus erneuert sich laufend durch Rückzahlungen und Reinvestitionen, das Blut bilden die Cashflows aus dem Underlying, das zuerst zu den Extremitäten geführt wird (AAA-, AA-, BB-Tranchen) und was übrig bleibt dem Hirn (Equity) zufliesst.
Durch die «Subordination» besteht eine wirksame Blut-Hirnschranke, die DNA wird geschützt durch strikte Diversifikationsregeln, der Organismus verfügt über eine Immunabwehr (Ratings von Underlying und Tranchen, Collateral Tests etc.) und er ist selbstheilend, denn erleidet die Struktur Schäden, dann wird Blut umgeleitet und zur vorzeitigen Amortisation der Tranchen mit dem höchsten Rating verwendet. Mit verschiedenen Tests wird die Struktur regelmässig auf ihre Fitness abgeklopft. Die Lebenszeit ist begrenzt auf i.d.R. maximal zwölf Jahre, ein vorzeitiges Ende ist aber die Norm. Der Weg allen Fleisches erfolgt graduell, indem zuerst die höchste Tranche beerdigt (zurückbezahlt) wird, gefolgt von der zweithöchsten etc. Gelegentlich wird auch der Freitod (Call) oder ein Verjüngungsbad (Refinanzierung, Reset) gewählt.
Es ist unmöglich, alle Facetten dieser Struktur in diesem Artikel zu besprechen, nehmen Sie sich Zeit, die kritische Würdigung in der Broschüre zu Gemüte zu führen.
Verwechseln Sie CLO nicht mit den notorischen CDO, den Brandbeschleunigern der Grossen Finanzkrise, die Unterschiede sind gravierend und entscheidend: Das Underlying der CLO (Loans) ist robuster (weniger korreliert), der Anspruch ist vorrangig und belehnt, die Diversifikation ist besser, die Struktur widerstandsfähiger, es besteht dank eines Tricks (mehr dazu später) kaum Gefahr eines Forced Selling, und am wichtigsten: Es gibt keine Verschachtelungen. Die berüchtigten CDO sind nicht etwa wegen der Technologie zugrunde gegangen, sondern weil der Leverage potenziert wurde mit hasardeurhaften Underlyings: Investiert wurde unglaublicherweise in andere CDO, was die Korrelation massiv erhöhte und zur Katastrophe geführt hat.
Zusammengefasst liegt die Potenz der CLO in ihrem robusten Underlying und der starken Struktur. CLO haben jedes Unwetter überstanden, obwohl das Underlying in den Stürmen durchaus gewackelt hat. Nun beginnen sich allerdings gewisse Fragen zu stellen:
Die erste Frage ist die nach dem Underlying: Es ist gut dokumentiert, dass die Qualität der Underlyings im Markt für Leveraged Loans (und unweigerlich auch in den Pools für CLO?) sich laufend verschlechtert. Ist etwas faul? Heiss diskutiert werden neuere Phänomene wie:
- Liability Management Exercises: Dem Loan-Schuldner wird zugestanden, die Schuldenlast umzuwandeln, Fälligkeiten zu verlängern oder Kapital zu beschaffen, um einen Bankrott zu verhindern, all dies ermöglicht durch schlechte Verträge für den Investor. Die Gefahr ist offensichtlich: ein späterer Default mit noch weniger Recovery.
- Covenant Light: Eine Konzession der Gläubiger (Angebot und Nachfrage) an die Schuldner, auf wichtige Rechte zu verzichten, ist leider Usus geworden im Markt für Leveraged Loans
- Payment in Kind: Schuldnern eröffnet sich die Chance, bei Liquiditätsproblemen statt Zinszahlungen neue Bonds an Zahlung zu geben, ebenfalls ermöglicht durch Covenant Light
- NAV-Loans und Dividend Recaps: Finanzierung von Ausschüttungen von Private-Equity-Gesellschaften mit Leveraged Loans, also Leverage statt Investitionen in die Produktivität
Wenn man ChatGPT fragt, warum die Default Rate in Leveraged Loans in den letzten Jahren so tief war, bekommt man Antworten wie: «günstige Finanzierung wegen tiefen Zinsen», «Covenant Light, die Schuldner können weitermachen, auch wenn sie bankrott sind», «amend and extend-Zombies», «starke wirtschaftliche Rahmenbedingungen», «Private Equity als Stütze», «starker Sekundärmarkt für Distressed Debt», «Ergebnis von lockerer Kreditvergabe, Refinanzierungen und günstigen Marktbedingungen». Eigentlich nicht die Gründe, die man sich wünscht, wie starke Bilanzen, robuste Cashflows oder überlegene Selektion durch Private-Equity-Sponsoren.
Die zweite Frage stellt sich nach den CLO-Strukturen.
Der «Trick», der das Produkt CLO vor Runs bewahrt, ist der Umstand, dass das Underlying nicht «marked-to-market» bewertet wird. Will heissen: Solange die Loans bedient werden, gibt es keine Wertberichtigung. Dies zurrt die Struktur gewissermassen wetterfest zusammen. Die Gefahr könnte nun sein, dass unentdeckt eine Verschlechterung des Underlyings stattfindet und dann eruptiv zum Vorschein kommt. Diese Sorge ist berechtigt. Allerdings bestehen wichtige Gegenkräfte: Qualitätstests, Ratings im Underlying, CCC-Beschränkungen im CLO-Pool etc.
Ebenso berechtigt ist die Sorge bezüglich des Ungleichgewichts von Angebot und Nachfrage, das die Preise für die Loans stützt, obwohl die Qualität sinkt. Das muss man unbedingt im Auge behalten.
Das Totschlagargument gegen die Zweifler von CLO liegt in der ultra-robusten Struktur, vor allem bei der höchsten Tranche: Wenn man davon ausgeht, dass ein typischer CLO 70% AAA-Tranche besitzt und 10% Equity, dann ist der Puffer für die AAA-Tranche nicht weniger als 30%. Geht man von einer Recovery Rate von 75% aus, braucht es einen kumulierten Default von 40% des Anlagepools. 40%! Abgesehen davon, dass die AAA-Tranche schon bei viel weniger hohen Defaults in den Amortisationsprozess überführt wird.
Die dritte Frage ist die nach der Korrelation in CLO-Strukturen. Sie werden in den Marketingbroschüren für CLO kaum Hinweise auf Korrelationsrisiken finden. Dabei sind sie zentral: Wenn Sie ein kompliziertes Finanzprodukt kaufen, müssen Sie sich ein Szenario zurechtlegen, ob die Bankrott-Wahrscheinlichkeiten bei den Bausteinen Ihrer Portfolios korreliert sind oder nicht. Im CLO heisst das (erklärt in der Broschüre), dass der Equity-Investor long Korrelation und der Inhaber der AAA-Tranchen short Korrelation ist.
Tönt kompliziert, ist es aber nicht. Wenn es tatsächlich zu einer Rezession kommt und einige Firmen hops gehen, gefolgt von vielen anderen (hohe Korrelation), dann kann es auch Tranchen mit gutem Rating treffen. Und wenn der Markt so dumm ist, ein Underlying zu kreieren, das die Korrelation maximal erhöht (googeln Sie mal «CDO-Squared»), kann auch bis dato Undenkbares geschehen. Unterschätzen Sie nie die Macht von Tail-Events.
Was ist nun die Quintessenz? Meiner Meinung nach gibt es drei Vorboten eines möglichen Scheiterns von CLO: Erstens die Errichtung von synthetischen Leveraged Loans. Check! Allerdings sind diese noch nicht sehr weit verbreitet. Was nicht ist, kann aber noch werden. Zweitens ETF auf CLO. Diese könnten die Loan-Vergabe-Anreize ändern. Check! Drittens die Errichtung von «CLO Squared», also CLO mit Referenz auf andere CLO. Synthetisch, versteht sich. Ich wette mit Ihnen, dass das in ein paar Jahren der Fall sein wird. Aber erst dann sind die Voraussetzungen für einen Korrelations-Spike geschaffen, der eine hohe Tranche bedrängen kann.
Also: CLO sind Instrumente für Leute, die nicht verkaufen müssen, wenn es stürmt. Wer verkaufen muss, ist immer der «Fish» im Finanz-Poker.
Wenn Sie investieren, dann bitte in herkömmliche CLO. Verfolgen Sie die Trends (regelmässige Inputs auf unserer Webseite) und verwechseln Sie CLO nicht mit Cash-Ersatz, dafür sind sie zu komplex und zu wenig standardisiert. Und vergessen Sie nicht: Je höher das Rating der Tranche, desto mehr sind Sie geschützt vor negativen Trends im Underlying.
P.S.: Ist es nur ein erstaunlicher Zufall, dass auch Swiss Re eine Abteilung hatte, die analog zu AIG mit «Financial Products» benannt wurde? Und dass auch diese Schweizer Versicherung beinahe den Korrelationstod gestorben wäre, wenn sie nicht von Warren Buffetts Berkshire Hathaway gerettet worden wäre? Die Firma verzockte sich massiv mit «CDS auf CDO». Die einst grundsolide Versicherung musste massive Verluste bekanntgeben, sah sich einer Pulverisierung des Aktienkurses ausgesetzt und wurde in einem selten erniedrigenden Ausmass vom Orakel von Omaha über den Tisch gezogen. Sollten wir prophylaktisch alle Schweizer Versicherungen angehen und anfragen, ob sie planen, eine Financial-Products-Abteilung zu eröffnen?
Jürg Lutz
Jürg Lutz ist Anleihenspezialist beim Schweizer Vermögensverwalter PK Assets, der auf die Anlage von Pensionskassengeldern spezialisiert ist. Er bezeichnet sich selbst als alten Hasen im Bondmarkt, was angesichts seiner dreissigjährigen Erfahrung in der Verwaltung von Anleihenportfolios nicht ganz abwegig ist. Vor geraumer Zeit hat er – gemäss eigenen Worten – nach einem dreijährigen Martyrium den CFA-Charterholder erworben. Der Bündner ist verheiratet und Vater von zwei Kindern. Er ist beseelt von der Vorstellung, bis zu seinem Ableben die Via Spluga, die entlang des alten Säumerpfades von Thusis ins italienische Chiavenna führt, mindestens hundert Mal zu wandern. Viel fehlt ihm bis zu diesem Ziel nicht mehr.