Der US-Notenbank drohen die Zinsen zu entgleiten. Für Fed-Chef Jerome Powell geht es dabei um viel. Sieben Fragen helfen, die Gefahr eines Policy Errors abzuschätzen.
«Three and Out» heisst es im American Football, wenn die Offense vor einem New First Down dreimal von der Defense des Gegners gestoppt worden ist. Dann kommt der Punter und: Fernsehwerbung. Der Gegner bekommt den Ball, Zeit für den Quarterback, sich an der Seitenlinie zu schämen. Das passiert den Rookies aus den Colleges oft, die neu in der NFL sind, aber gelegentlich auch dem erfahrensten Quarterback.
Doch möglicherweise steht mit Jerome Powell auch der «Signal Caller» der US-Notenbank vor der gleichen peinlichen Situation. Nichts hassen Notenbanker mehr, als eines «Policy Errors» bezichtigt zu werden. Er prägt oft den Nachruhm des Amtsinhabers.
Was beim American Football die Offensive Line ist, also die Wand von Fleisch, die den teuersten Spieler der Mannschaft vor dem gegnerischen «Pass Rush» beschützen soll, ist es beim Zinsspiel der möglichst hohe Realzins, der den zinssenkungswilligen Notenbankchef vor einem neuen Aufflackern der Inflation bewahren soll. Ist er hoch genug, dann, so die Theorie, lahmt die Konjunktur, fällt die Teuerung, kann die Notenbank den Leitzins senken.
Dabei geht es in beiden Fällen um viel Geld. Der teuerste Quarterback in der NFL kostet derzeit 81’250’000 $ pro Jahr, bei der Notenbank geht es mit der Kaufkraft der US-Haushalte, sprich des amerikanischen Wählers, der 2024 gesprochen hat, um umso mehr:
Der US-Wähler sich für Trump entschieden. Der Chart zeigt warum. Den Wähler interessierte das feinsinnige Selbstlob der Demokraten nicht, dass sich der «Konsumentenpreisindex ermässigte». Er ist einfach ein bisschen weniger schnell gewachsen. Alles, was der Medianwähler braucht, wird trotzdem immer teurer, gleichzeitig sind die realen Löhne tiefer als vor fünf Jahren.
Wirken die hohen Realzinsen?
Die Frage ist zentral auch für uns, die Anleger in der Schweiz: Macht eine Investition in US-Bonds Sinn? Verdienen wir 2025 damit Geld, oder drohen Verluste?
Schauen wir auf die Korrelation des Monats:
Ein Bild sagt mehr als tausend Worte: Die US-Kapitalmarktzinsen werden vom Leitzins verankert. Der Zinsmarkt versucht, die Notenbank zu antizipieren, und das gelingt in aller Regel gut, doch derzeit ist der Zinsmarkt maximal verunsichert. Die Marktzinsen trauen dem Zinssenkungs-Case nicht mehr. Zu Recht?
Was sagen unsere Modelle?
Der Finanzmarkt schaut auf drei Variablen, wenn es darum geht, zu beurteilen, ob die Leitzinsen der Notenbank restriktiv sind, also die Konjunktur bremsen, oder neutral oder gar stimulierend: es sind dies die Teuerung («Inflationsmandat»), die Arbeitslosenrate («Arbeitsmarktmandat») und die Lohnkostensteigerungen (Gefahr von Zweitrundeneffekten in der Inflation). Alle drei sind Nachfolgefaktoren der Konjunktur, können also prognostiziert werden. Wer sich für die Einzelheiten interessiert, erfährt hier mehr dazu.
Unsere Prognosemodelle besagen, dass die Kernteuerung im Sommer 2025 bei ziemlich genau 2% zu stehen kommen sollte, also eine Punktlandung auf dem Notenbankziel, nicht mehr, aber – leider – auch nicht weniger. Die Vorläufer zum Arbeitsmarkt sind verhalten positiv, die Arbeitslosigkeit ist stabil und niedrig, und das Lohnkostenwachstum flacht graduell ab; zusammen ergibt das eigentlich ein positives Bild für die Notenbank angesichts ihres festen Willens, die Leitzinsen zu senken.
Ebenfalls kongruent ist das Bild mit den Markterwartungen von mindestens zwei weiteren Zinssenkungen bis Ende 2025. Das ist deutlich weniger als auch schon, und trotzdem scheinen die höheren Realzinsen zu wirken. Unsere Vorläufer für die Konjunktur sind verhalten, der starke Dollar drosselt das Wachstum der globalen Liquidität (M2), der beste Vorlaufindikator, den wir kennen.
All dies spricht für Investitionen in US-Treasuries, wie unser Zinsmodell zeigt: Zwar winken keine Kapitalgewinne, dafür erhält man einen attraktiven Carry, also Coupon, der fast schon luxuriös ist angesichts der faktischen Nullzinsen in der Schweiz.
Das Problem: Die Sicherheitsmarge ist niedrig. Tauchen wir also ein in die aktuellen Diskussionspunkte im Zinsmarkt und versuchen wir die Frage zu beantworten: Three and Out? Ist nach den ersten drei Zinsschritten der Zinszyklus schon wieder beendet? Hat Powell einen Politikfehler begangen?
Sieben knifflige Fragen für 2025
Ist 2% genug?
Die Inflation ist rückläufig, aber immer noch hoch. Wir sagen bis Mitte 2025 eine Kernteuerung von rund 2% voraus. Ist das niedrig genug für einen ausgeprägten Zinssenkungszyklus? Fakt ist, dass die Notenbank ohne Zeichen von Stress einen Zinszyklus angestossen hat, und die expansive Fiskalpolitik hilft nicht. Die Notenbank agiert auf dünnem Eis.
Setzt Trump auf tiefe Inflation?
Es gibt eine Theorie im Markt, dass Trump die Teuerung v.a. über tiefere Ölpreise («Drill, Baby, Drill») reduzieren will, um damit geopolitisch Druck zu erzeugen und im Inland Goodwill zu schaffen. Tatsächlich sind die USA heute die grösste Ölförderin der Welt, und es bestehen Pläne, dies zu perpetuieren. Das stünde im kompletten Widerspruch zum aktuellen Konsens des Trump-Effekts, der von höheren Inflationsraten ausgeht. Dies wäre ungemein bullish für Treasuries. Wir sind jedoch skeptisch.
Oder ist er doch der «Human Steepener»?
Der Big Red Sweep hat Trump ein starkes Mandat gegeben, und seine Verlautbarungen sprechen stark für höhere Zinsen, eine steilere Zinskurve und damit weniger Zinssenkungen als heute im Markt eingepreist. Noch nie hat der Zinsmarkt eine Zinssenkung mit höheren Zinsen bedacht wie diesmal. Der Markt traut eher dem Szenario des Human Steepener, und das ist bearish für Treasuries.
Bewegt sich Angebot und Nachfrage nach Treasuries Richtung höherer Zinsen?
Das US-Treasury muss 2025 die unvorstellbare Summe von 7 Bio. $ refinanzieren. Es macht die Sache nicht besser, dass die Regierung 2024 angesichts der hohen Zinsen den Grossteil der Finanzierung über kurz laufende Bills getätigt hat. Ein Va-banque-Manöver, das sich rechnet, wenn die Zinsen fallen, aber die Lage verschlimmert, sollten die Zinsen steigen.
Es gibt ernstzunehmende Stimmen im Markt, die davon ausgehen, dass dieses Manöver die längeren Zinsen um 100 Basipunkte gedämpft haben soll! Gleichzeitig brechen wichtige ausländische Gläubiger weg, China vor allem, und vielleicht bald auch Japan. Diese Diskussion wäre allerdings Makulatur, wenn es zu einem Finanzcrash kommen sollte. Es gibt kaum ein Szenario, in dem die Treasury-Zinsen in diesem Fall nicht sinken würden.
Spielen die Schulden nach zehn Jahren wieder eine Rolle in der Zins-Gleichung?
Wir reden nicht von einer linearen, sondern von einer hyperbolischen Entwicklung der Schulden: Die US-Staatsschulden wachsen aktuell 5 Mrd. $ pro Tag. Das sind 5’000’000’000 $ täglich! Wir sehen verschiedene Menetekel an der Wand: Die Zeitprämie von längeren Treasury-Bonds steigt, die Risikospreads von Corporate Bonds fallen, Asset-Swap-Spreads sind negativ etc. Der Markt verarbeitet damit die Einsicht, dass die Schuldenarithmetik immer ungünstiger wird und die Risiken für die Finanzstabilität zunehmen. Verliert der Markt 2025 die Nerven?
Braucht der US-Konsument überhaupt tiefere Zinsen?
Der Median-Konsument wohl nicht: Er ist weitgehend entschuldet, sitzt auf enorm viel Home-Equity, hat seine Hypothek während der Tiefzinsphase langfristig refinanziert, erntet reichlich Zinsen auf dem Cash, hat einen sicheren Job in einer Wirtschaft mit immer noch reichlich offenen Stellen. Das spricht für anhaltend hohe Zinsen.
«Hilft» China dem Federal Reserve auch 2025?
China befindet sich in einer Balance-Sheet-Recession. Eine solche muss mit Fiskaldefiziten behoben werden, wie das Beispiel Japan zeigt. Doch wie soll das gehen? China ist bereits stark verschuldet, für seinen Entwicklungsstand sogar ausgesprochen hoch. Die Welt wartet auf Einzelheiten zum angekündigten chinesischen Stimulus. Überzeugt er die Finanzgemeinde nicht, sinkt der Yuan, fallen die Preise noch stärker und die Wachstumsziele werden zur Makulatur.
Die wichtigsten Vorläufer wie die chinesische Geldmenge M1 und der Fiskalimpuls implizieren bereits einen starken deflationären Druck auf die westlichen Volkswirtschaften. Kommt es zum ungebremsten Zerfall des Yuan? Der Crash bei den chinesischen Zinsen ist ein maximal schlechtes Omen. China spricht für tiefere Zinsen, bis der Gegenbeweis erbracht ist. China ist in jedem Fall das grösste Tail Risk für die Finanzmärkte im kommenden Jahr.
Das Basisszenario ist also optimistisch, doch es gibt einiges, das richtig oder falsch laufen kann. Ein wahrlich interessanter Cocktail!
Für Powell geht es dabei um sein Vermächtnis: Ist er ein «Premium Franchise Quarterback» oder ein «Bust»?
P.S. Ein schlechtes Omen für Powell könnte der höchstbezahlte NFL-Quarterback Dak Prescott sein. Dak wer? Er steht für ein eklatantes Missverhältnis von Gehalt und Leistung: Obwohl er regelmässig versagt, wenn es drauf ankommt (Play-offs), hat er vor drei Monaten einen Vertrag über 240’000’000 $ für vier Jahre erhalten als Spielführer von «Team America», den Dallas Cowboys. Er ist derzeit verletzt.
Jürg Lutz
Jürg Lutz ist Anleihenspezialist beim Schweizer Vermögensverwalter PK Assets, der auf die Anlage von Pensionskassengeldern spezialisiert ist. Er bezeichnet sich selbst als alten Hasen im Bondmarkt, was angesichts seiner dreissigjährigen Erfahrung in der Verwaltung von Anleihenportfolios nicht ganz abwegig ist. Vor geraumer Zeit hat er – gemäss eigenen Worten – nach einem dreijährigen Martyrium den CFA-Charterholder erworben. Der Bündner ist verheiratet und Vater von zwei Kindern. Er ist beseelt von der Vorstellung, bis zu seinem Ableben die Via Spluga, die entlang des alten Säumerpfades von Thusis ins italienische Chiavenna führt, mindestens hundert Mal zu wandern. Viel fehlt ihm bis zu diesem Ziel nicht mehr.