Der Bürgermeister von Venedig soll bei einem Immobilienprojekt private und politische Interessen vermengt haben. Seine politischen Mitstreiter halten sich mit Unterstützung zurück. Bereits schielen andere auf sein Amt – das Rathaus von Venedig ist begehrt.
Sie nennen ihn den «Berlusconi von Venedig» oder, je nachdem, den «Lagunen-Trump»: Luigi Brugnaro, 62-jährig, liberalkonservativer Bürgermeister seit 2015, davor Geschäftsmann und Unternehmer, Präsident des regionalen Industrieverbandes und Besitzer eines erfolgreichen Basketballklubs. Geliebt von den einen, gehasst von den anderen.
Seit rund einer Woche sieht er sich mit schwerwiegenden Vorwürfen konfrontiert. Die Staatsanwaltschaft ermittelt gegen ihn und 18 weitere Personen wegen Korruption in der städtischen Verwaltung. Der für Mobilität verantwortliche Stadtrat Renato Boraso wurde in Haft genommen. Er soll bei öffentlichen Ausschreibungen die Kriterien geändert haben, um bestimmte Unternehmen zu begünstigen, von denen er im Gegenzug Geld erhielt.
Im Fall des Bürgermeisters geht es um ein grosses Grundstück landeinwärts, nahe der Brücke, welche die historische Lagunenstadt mit dem Festland verbindet. Seit 2015 zählen dieses Gebiet und einige Gemeinden in der Umgebung zur sogenannten Metropolitanstadt Venedig, welcher Brugnaro vorsteht. Das erwähnte Grundstück befindet sich in seinem privaten Besitz. Es handelt sich um eine durch Abwässer aus der nahen Industriezone stark belastete Fläche, die Brugnaro laut Medienangaben 2006 für 5 Millionen Euro gekauft hat.
Zweifel an Blind Trust
Als Brugnaro Stadtpräsident wurde, überantwortete er seine Firmen und Beteiligungen inklusive des Grundstücks einem sogenannten Blind Trust, einer Treuhandgesellschaft, die ohne Kontakt zu ihm handeln sollte, um möglichen Interessenkonflikten vorzubeugen. In Venedig gab es freilich schon früh Zweifel an dieser Konstruktion. Sie scheinen sich jetzt zu bestätigen.
Laut einigen von den Medien verbreiteten Untersuchungsakten sollen Brugnaro und zwei seiner engsten Mitarbeiter eine Vereinbarung mit einem an dem Grundstück interessierten Investor aus Singapur getroffen haben, um die Bebauungskriterien für die Fläche anzupassen. Nach Angaben der Staatsanwaltschaft sollte der Investor 150 Millionen Euro zahlen. Im Gegenzug wäre die Zahl der auf dem Gebiet zulässigen Gebäude erhöht und die Bebauungspläne geändert worden.
Noch handelt es sich erst um Ermittlungen, die sich noch hinziehen werden. Doch Brugnaro gerät bereits jetzt in arge Bedrängnis. Massimo Cacciari, einer seiner Vorgänger im Rathaus von Venedig, hat am Dienstag in der «Repubblica» unverblümt Brugnaros Rücktritt gefordert. «Es besteht kein Zweifel, dass er zurücktreten muss», sagte Cacciari. Er halte es für «kompliziert, in einer solchen Situation eine Verwaltung zu führen, ohne die Stadt dabei in Mitleidenschaft zu ziehen». Brugnaro solle sich wieder ganz auf seine Tätigkeit als Unternehmer konzentrieren.
Cacciari ist nicht irgendwer. Der 80-jährige Philosoph ist im In- und Ausland bekannt und gilt vor allem in der linken und linksliberalen Szene Italiens als Schwergewicht. Wenn er spricht, hören ihm nicht nur Italiens Intellektuelle zu. Gravierender für Brugnaro dürfte allerdings die Tatsache sein, dass selbst das ihm nahestehende politische Milieu derzeit wenig Anstalten zeigt, ihn tatkräftig zu unterstützen. Der «Corriere del Veneto» hat die bisherigen Reaktionen der rechten Mehrheit, der Brugnaro angehört, als «lauwarm» bezeichnet. Man warte auf weitere Ergebnisse der Untersuchungen. Auch in der Hauptstadt hält man sich zurück.
Die Regierung um Giorgia Meloni ist sichtlich bemüht, die Affäre von sich fernzuhalten. Brugnaro gehört einer moderaten bürgerlichen Kleinpartei an, die Teil der Regierungskoalition ist. Zu dieser Partei zählt im Übrigen auch der Präsident der Region Ligurien, Giovanni Toti. Dieser steht seinerseits unter Korruptionsverdacht und befindet sich seit Monaten in Hausarrest.
Der «Doge» steht bereit
Sollte Luigi Brugnaro als Bürgermeister von Venedig tatsächlich «freiwillig» zurücktreten, stünden die Nachfolger schon bereit. Venedig ist wegen seiner internationalen Ausstrahlung ein begehrter Ort für ehrgeizige Politiker. Die «Serenissima», wie man die Stadt auch nennt, ist seit je ein globaler Sehnsuchtsort, und das Amt des «sindaco» verspricht Glamour und Glanz. Ende August beginnen die Filmfestspiele, es werden Gäste wie George Clooney, Brad Pitt, Angelina Jolie, Lady Gaga oder Pedro Almodóvar erwartet. Bei solchen und anderen Anlässen sind die Scheinwerfer der Welt jeweils auf die Lagunenstadt gerichtet. An Profilierungsmöglichkeiten mangelt es nicht.
Einer könnte es sich wohl gut vorstellen, in die Ca’ Farsetti, das Rathaus der Stadt, einzuziehen: Luca Zaia, der Präsident der Region Veneto, eine elegante Erscheinung und ein konziliant auftretender Politiker. Der populäre Lega-Mann ist seit 2010 an der Macht, im nächsten Jahr läuft seine Amtszeit ab, und das politische Italien fragt sich, was er danach zu tun gedenkt. Mit seinen 56 Jahren ist er zu jung, um aufs politische Abstellgleis geschoben zu werden. Ausserdem ist er zu ambitioniert und zu beliebt. Manche sehen ihn schon an der Spitze der Lega, die unter der Führung von Matteo Salvini nach den früheren Grosserfolgen wieder zur Kleinpartei geschrumpft ist.
Das Bürgermeisteramt von Venedig wäre für ihn ein adäquater Posten. «Wer Venedig mit Charisma und einer klaren Zukunftsvorstellung anführt, kann zu einem absoluten Hauptdarsteller werden, viel mehr als ein Regionalpräsident oder ein Minister», schreibt der «Corriere della Sera».
Der Umzugsstress würde sich in Grenzen halten. Zaias heutiges Büro im Palazzo Balbi, dem Sitz der Region Veneto, liegt nur einen kurzen Spaziergang entlang dem Canal Grande und über die Rialto-Brücke hinweg von der Ca’ Farsetti entfernt. Und auch den richtigen Übernamen hat er schon. In Venedig nennen sie Luca Zaia den «Dogen». So hat man zu den grossen Zeiten Venedigs das Staatsoberhaupt der damaligen Republik genannt. Die Etikette stimmt schon einmal.







