Die starke Nachfrage nach grüner Schönheitspflege sorgt dafür, dass die Beauty-Industrie auch bei der Klimawende gut vorankommt. Besuch bei einigen Pionieren in Italien.
Klar, er spüre den Gegenwind, sagt Davide Bollati. Vor 19 Jahren hat er das elterliche Kosmetikunternehmen Davines aus Parma strategisch neu ausgerichtet und auf einen strammen Nachhaltigkeitskurs gebracht. Die Wende beflügelte das Geschäft mit Pflegeprodukten für Friseursalons, Kosmetikstudios und Spas. Der Exportanteil stieg auf 82 Prozent. Der Umsatz hat sich in den vergangenen fünf Jahren auf 295 Millionen Euro mehr als verdoppelt.
Gegenwärtig erlebt der Unternehmer jedoch, dass Nachhaltigkeit an Bedeutung verliert. «Heute scheinen kurzsichtige Logiken die Welt zu bewegen», sagt Bollati. Davines aber weicht nicht vom eingeschlagenen Weg ab, auch wenn sogar Europa in der Klimapolitik gerade auf vielen Gebieten den Rückwärtsgang einlegt. Doch Bollati hält dagegen: «Wir machen bestimmt keinen Schritt zurück.»
Megatrend im Geschäft mit Crème und Shampoo
Warum auch? Der Firmenerbe ist mit seiner Strategie weit gekommen. Die Zeiten seien zwar schwierig, findet der 59-Jährige. Aber ein Familienunternehmen, das von Weitsicht geleitet werde, ändere seine Strategie nicht aus kurzsichtigem Kalkül. «Auch die Konsumenten weisen uns einen anderen Weg», sagt er.
Wenn es eine Branche gibt, die von der Kundschaft massiv zur Ausrichtung ihrer Produktion auf den Umwelt- und Klimaschutz angetrieben wird, dann ist das die Schönheitsindustrie. Kosmetik geht schliesslich unter die Haut. «Nachhaltigkeit ist für uns Wettbewerbsfähigkeit», sagt Bollati.
Das grüne Herz seines Unternehmens schlägt im Davines Village vor den Toren der mittelitalienischen Stadt Parma. 17 Hektaren Gärten und Äcker, auf denen der Kosmetikhersteller regenerative Landwirtschaft betreibt und biologische Inhaltsstoffe anbaut, umschliessen die Firmenzentrale. Ringelblumen und Rotklee beginnen gerade zu blühen, Schafgarbe und Zitronenmelisse spriessen ungestüm.
Aus Parma werden 50 000 Schönheitssalons und 6000 Spas mit Produkten von Davines beliefert. Bollatis Ansatz ist radikal: «Es reicht heute nicht, dass Unternehmen ihren Fussabdruck verringern, sie müssen dem Planeten mit einer regenerativen Wirtschaftsweise mehr Ressourcen zurückgeben, als sie verbrauchen.»
Aufwendiger Ersatz von synthetischen Zusatzstoffen
Seinem Ziel nähert sich der Unternehmer in einem messbaren Verbesserungsprozess. Seit 2016 gehört Davines dem Nachhaltigkeitsnetzwerk B Corp an. Unternehmen mit dem B-Corp-Siegel streben eine Wirtschaftsweise an, die nicht nur auf die Maximierung von Gewinnen abzielt, sondern auch einen positiven Beitrag zur Gesellschaft und zur Umwelt leistet. Sie unterwerfen sich alle zwei Jahre einer Prüfung, bei der die ökologischen und sozialen Auswirkungen ihres Wirtschaftens analysiert und ihre Nachhaltigkeitsfortschritte zertifiziert werden. Weltweit gibt es mehr als 9400 B Corps, darunter 330 in Italien und 130 in der Schweiz.
Der grüne Trend verlangt der Kosmetikbranche hohe Investitionen ab. Denn wirksame Produkte frei von synthetischen Zusatzstoffen herzustellen, ist nicht banal. Bei Davines arbeiten 65 der 500 Beschäftigten in den Forschungs- und Entwicklungslabors. Sie haben den Anteil natürlicher Inhaltsstoffe bis heute auf 87 Prozent gesteigert. Gerade gelang es nach zwei Jahren Forschung, in der professionellen Haarpflege-Hauptlinie weitere vier Klassen chemischer Inhaltsstoffe zu ersetzen. Die neuen Produkte kommen 2026 auf den Markt – mit einem Umsatzziel von 90 Millionen Euro.
Besonders wichtig ist in der Schönheitsindustrie auch das Thema Verpackung. Marco Occhipinti von der Beratungsfirma Quantis in Mailand sagt: «Die Verpackung verursacht in der Kosmetik 70 Prozent der Umweltbelastung.» Davines hat deshalb das Gewicht der Verpackungen massiv gesenkt.
Bollati gehörte 2022 zu den Gründern der B Corp Beauty Coalition, der sich weltweit inzwischen hundert Kosmetikunternehmen angeschlossen haben. Zusammen erwirtschaften sie 12 Milliarden Euro. An der Kosmetikmesse Cosmoprof in Bologna berichteten die B Corps der Beauty Coalition im März von ihren Erfahrungen.
Die Zulieferer sind entscheidend
Erstaunliche Wirkung entfalten die Unternehmen mit einem Schneeballeffekt. Das B-Corp-Prinzip beruht auf Vernetzung. «Ohne die richtigen Lieferanten erreicht man die eigenen Nachhaltigkeitsziele nicht», sagt Domenico Scordari, Gründer des Naturkosmetikherstellers N&B aus dem süditalienischen Apulien. Er hat es geschafft, drei seiner wichtigsten Zulieferer in das B-Corp-Netzwerk zu holen. Unter ihnen auch einen führenden Hersteller von Flakons und Tiegeln. «Wir wollen nicht die Welt verändern, aber wir versuchen, unser Umfeld zu verändern», sagt er.
Scordari sitzt zwischen Töpfen mit Aloe vera, einer seit der Antike für ihre Heilkräfte gepriesenen Pflanze, an seinem Messestand in Bologna. In Martano im Salento, dem äussersten Zipfel des Stiefelabsatzes, machte der Selfmade-Unternehmer 1989 ein Labor auf, in dem er aus mediterranen Pflanzen Naturkosmetik herstellte. Zehn Jahre später gab er der Wüstenlilie Aloe in Italien eine neue Heimat.
Die feuchtigkeitsspendende, entzündungshemmende und die Regeneration der Haut anregende Heilpflanze ist der Hauptinhaltsstoff seiner heute mehr als hundert Pflegeprodukte. Kunden von N&B sind Kosmetikmarken aus aller Welt, darunter auch eine Schweizer Firma. In Martano südlich von Lecce werden die Formeln entwickelt und die Produkte hergestellt. 2024 stieg der Umsatz um 18 Prozent auf 14 Millionen Euro.
Beauty-Produkte haben eine Sonderstellung
Im mild-feuchten Klima auf dem schmalen Landstrich zwischen Adria und Ionischem Meer wachsen rund um die Fabrik 12 000 Wüstenlilien. Das frische Aloe-Gel wird innerhalb von zwei Stunden extrahiert und ohne Wärmezufuhr stabilisiert. Die Wirkstoffkonzentration der Aloe soll dadurch die marktüblichen Produkte aus Mittel- und Südamerika um das 4,5-Fache übertreffen.
Hinter Scordari liegt eine dieser klassischen Aufsteigergeschichten der italienischen Wirtschaft. Mit 15 begann Domenico, nach der Schule von Haus zu Haus Schweizer Kochtöpfe zu verkaufen. Er verdiente so viel Geld damit, dass er mit 16 das Gymnasium verliess. Mit 23 hatte er genug von Topf-Sets und setzte seinen Kindheitstraum um: Schon mit neun Jahren hatte ihn die Heilpflanzenkultur der Alten im Dorf fasziniert, nun gründete er sein eigenes Kosmetiklabor.
Dass das Geschäft mit nachhaltiger Kosmetik trotz Gegenwind brummt, erklärt der Unternehmer mit einer Besonderheit von Beauty-Produkten: Sie dienten schliesslich dem persönlichen Wohlbefinden. «Und die Welt da draussen macht den Menschen das Leben heute schon schwer genug», sagt Scordari.