Forschungsgelder machen einen grossen Teil der Ausbildungskosten aus. Aber braucht es sie überhaupt? Die FMH-Präsidentin Yvonne Gilli kann sich vorstellen, ein «Medizinstudium light» einzuführen.
Als der Ständerat in der Septembersession über den Numerus clausus debattierte, schaltete sich der Bildungsminister Guy Parmelin ein. Er wies darauf hin, dass nicht die Prüfung das Problem sei, sondern die Anzahl Studienplätze. Und diese zu erhöhen, sei teuer. Parmelin behalf sich mit dem guten alten Zweisatz: «Die Ausbildung kostet im Durchschnitt mehr als 100 000 Franken pro Jahr und Student. Nach sechs Jahren Studium wird ein Absolvent den Staat mehr als 600 000 Franken gekostet haben.» Ein plausibles Argument in einer Zeit, in der der Bund sparen möchte.
Nun schreibt die Vereinigung der Medizinstudenten (Swimsa) in einem Communiqué, das Medizinstudium koste «viermal weniger als erwartet». Konkret 30 000 Franken statt über 100 000. Diese «falsche Wahrnehmung» habe «besorgniserregende Folgen». Sie behindere unter anderem die Schaffung dringend benötigter Studienplätze.
Bloss: Wie kommt die Swimsa auf 30 000 Franken, wenn allenthalben von bis zu 120 000 Franken die Rede ist? Haben die Behörden etwa wieder falsch gerechnet?
«Ein Missverständnis»
Das Bundesamt für Statistik (BfS) sagt, beide Zahlen seien richtig, 30 000 und über 100 000. Aber es sei eine Frage der Interpretation.
Tatsächlich gibt es verschiedene Betrachtungsweisen. Jedes Jahr ermitteln die Schweizerische Hochschulkonferenz (SHK) und das BfS die «Kosten für Lehre und Forschung in der Humanmedizin». Die jüngste Auswertung behandelt das Jahr 2022. Die Swimsa stützt sich dabei auf den «Kostenindikator 1», der einzig die «Kosten der Grundausbildung» ausweist, also 31 108 Franken pro Student und Jahr. Parmelin und viele andere dürften sich dagegen auf den «Kostenindikator 3» bezogen haben, der neben den «Kosten für die Grundausbildung» auch den «Pro-Kopf-Anteil an den Forschungskosten» berücksichtigt. Das macht in der Summe 110 410 Franken pro Student und Jahr.
Die Differenz liegt also in den Forschungskosten, die in der Medizin besonders hoch sind: Geräte kosten bisweilen mehrere hunderttausend Franken, dazu die Labore. Da kommt einiges zusammen, und zwar so viel wie in keinem anderen universitären Forschungsbereich in der Schweiz. 1,256 Milliarden Franken flossen 2022 in Forschung und Entwicklung im Bereich der Humanmedizin.
Marc Reynaud de la Jara ist Mitglied der Swimsa. Er sagt: «Nicht wir Studierenden generieren die Forschungskosten. Die Schweiz hat sich dafür entschieden, an den Universitäten viel Forschung zu betreiben.» Das sei auch richtig, nur dürften die Kosten nicht den Studenten angerechnet werden. Ausserdem ignoriere die Rechnung, dass die Medizinstudenten in Form von Praktika oder Masterarbeiten auch Leistungen erbrächten. Dass gleichwohl von den über 100 000 Franken gesprochen werde, sei «ein Missverständnis» unter Politikern und Journalisten, das «zur Norm geworden» sei.
Medizinstudium ohne Forschung?
Doch das Medizinstudium lasse sich nicht losgelöst von der Forschung betrachten, findet Swissuniversities, die Konferenz der Rektorinnen und Rektoren der schweizerischen Hochschulen. Universitäre Lehre sei «immer forschungsbasiert» und der Forschungsanteil «notwendig», um eine hohe Qualität zu garantieren, schreibt sie. Die Forschungskosten könnten aus diesem Grund «nicht einfach subtrahiert» werden.
Anders sieht das Yvonne Gilli, die Präsidentin der Verbindung der Schweizer Ärztinnen und Ärzte (FMH). Sie kann sich vorstellen, dass Professuren ohne Forschungsbudget ergänzend geschaffen werden. Damit entfiele ein grosser Teil der Kosten.
Ein «Medizinstudium light», ohne Forschung? Ginge das überhaupt? Sicher ist: Medizinstudenten haben oft nur am Rande mit der Forschung zu tun. Bei Masterarbeiten etwa oder bei vereinzelten Veranstaltungen und Kursen.
Forschungsgelder sind begehrt
Roman Hari, Lehrdekan der medizinischen Fakultät der Universität Bern, ist kategorisch gegen die Einführung eines solchen Modells. Die Idee widerspreche dem Humboldtschen Bildungsideal, also der Einheit von Forschung und Lehre an Universitäten. Und gerade Ärztinnen und Ärzte müssten in der Lage sein, über ihren Beruf nachzudenken und diesen auch weiterzuentwickeln. Dafür sei die enge Bindung zur Forschung zentral.
Hari argumentiert aber nicht nur akademisch. Er hält das Modell auch für nicht umsetzbar. «Man findet als Universität keine Professorinnen und Professoren, die ausschliesslich unterrichten. Die besten Leute auf dem akademischen Markt wollen beides machen, Lehre und Forschung.» Haris Rechnung: Von einer hochwertigen Forschung mit guten Professoren und Geräten profitiert die ganze Universität und damit auch jeder einzelne Student.
Freilich wollen die Universitäten nicht auf diesen Luxus verzichten. Die Forschungsgelder sind begehrt. Das Communiqué der Swimsa ist deshalb bei den Universitäten nicht nur gut angekommen. Ein «Paradigmenwechsel», wie Hari das Medizinstudium light nennt, zeichnet sich jedenfalls nicht ab. Der FMH-Präsidentin Gilli schwebt aber zumindest eine «neue Balance zwischen Lehr- und Forschungsbudget» vor.
2040 fehlen 5500 Ärzte
Der Bericht über die Kosten des Medizinstudiums war ursprünglich für die Kantone gedacht. Sie sind es, die für die Ausbildung der Nachwuchsärzte aufkommen – mit Ausnahme des Bachelorstudienganges an der ETH in Zürich, der vom Bund finanziert wird. Der Bericht sollte den Kantonen zeigen, wie viel sie für ihre Studenten berappen müssen. Längst sind diese Zahlen im politischen Diskurs angekommen.
Im Ständerat indes verfingen sie nicht. Entgegen Parmelins Votum und der Meinung der vorberatenden Kommission beschloss die kleine Kammer, den Numerus clausus aufzugeben – auch in der Hoffnung, mehr Studienplätze schaffen zu können.
Mehr und mehr ist die Schweiz von ausländischen Ärzten abhängig. 2013 hatten 29 Prozent der Ärzte in der Schweiz ihren Abschluss im Ausland gemacht, heute sind es rund 40 Prozent. Ab 2017 investierte der Bund im Rahmen eines Sonderprogramms 100 Millionen Franken, um die Schweizer Masterabschlüsse von damals über 900 bis 2025 auf 1300 zu erhöhen. Das Ziel dürfte zwar erreicht werden, das Problem ist damit aber noch nicht gelöst. Laut einer Studie werden im Jahr 2040 rund 5500 Ärzte fehlen.
Die FMH fordert darum, das Sonderprogramm zu reaktivieren. Doch das dürfte kaum passieren. Im Zuge seiner Sparübung namens «Aufgaben- und Subventionsüberprüfung» hat der Bundesrat vor einem Monat beschlossen, die «projektgebundenen Beiträge des Hochschulförderungs- und -koordinationsgesetzes» zu streichen. Über diesen Topf wurde das Sonderprogramm finanziert. Ob er die Gelder wirklich streicht, ist noch nicht entschieden. Die Vernehmlassung beginnt im Januar des kommenden Jahres.