Die Milben, die heftigen Juckreiz auslösen und sich in der Schweiz ausbreiten, lassen sich mit Tabletten bekämpfen. Doch die Grundversicherung finanziert diese nicht. Die Hoffnung ruht nun auf den Apotheken.
Die Corona-Pandemie brachte manch sonderbare Episode hervor. Eine davon war der Hype um den Wirkstoff Ivermectin. Manche Studien deuteten darauf hin, dass das Parasitenmittel auch gegen Covid-19 helfen könnte. Diese Ergebnisse waren indes sehr umstritten. «Ihr seid keine Pferde. Hört auf damit!», erklärte die amerikanische Arzneimittelbehörde.
Trotzdem bestellten so viele Schweizer das Medikament illegal im Internet, dass sich auch die Schweizer Heilmittelbehörde Swissmedic zu einer Warnung veranlasst sah: «Wer Ivermectin unkontrolliert einnimmt, gefährdet seine Gesundheit.»
Drei Jahre später spielt Ivermectin nun tatsächlich eine Schlüsselrolle in der Bekämpfung einer ansteckenden Krankheit, die in der Schweiz Tausende von Menschen trifft: die Krätze, auch Scabies genannt. Die parasitäre Hauterkrankung wird durch die Krätzmilbe verursacht, ein Spinnentier, das tunnelförmige Gänge in die Hornschicht der Haut gräbt und dort seine Eier ablegt.
Problem für Krippen
Gefährlich ist die Krankheit nicht. Aber äusserst unangenehm, vor allem wegen des starken Juckreizes. Dermatologen gehen davon aus, dass die Zahl der Betroffenen in der Schweiz in den letzten Jahren gestiegen ist. Immer wieder kommt es in Kitas, Schulen oder Asylzentren zu Ausbrüchen. Gerade für Krippen kann dies finanziell zum Problem werden.
«In gewissen Fällen sind Schliesstage notwendig, um die Hygienestandards zu gewährleisten. Diese werden aber nicht von der Versicherung abgedeckt, weil die Krätze nicht meldepflichtig ist», sagte ein Sprecher des Kinderbetreuungsverbands Kibesuisse gegenüber «20 Minuten». Den Kitas entgingen dadurch Einnahmen, ihre wirtschaftlich ohnehin angespannte Situation verschlechtere sich dadurch weiter.
Genaue Zahlen zu Scabies hat wegen der fehlenden Meldepflicht niemand. Der Dermatologe Thomas Gutersohn aus Zofingen sagt aber, er habe täglich mit Krätze-Fällen zu tun. Er spricht von einer «stillen Epidemie». Man sieht den Patienten die Erkrankung meistens nicht an, sie husten auch nicht. «Und dass man herumerzählt, dass man Krätze hat, ist wohl auch eher selten», sagt Gutersohn.
Es gibt zwar auch eine Salbe, aber das effizienteste Mittel gegen Krätze ist Ivermectin. Seit 2023 ist das Medikament unter dem Namen Subvectin in der Schweiz zugelassen. Allerdings hat der Hersteller, die Firma Leman SKL, bisher laut dem Bundesamt für Gesundheit (BAG) keine Anstrengungen unternommen, Subvectin auf die sogenannte Spezialitätenliste (SL) des BAG zu setzen. Und nur Arzneimittel, die auf der SL figurieren, müssen von der Grundversicherung bezahlt werden.
Das Kalkül der Hersteller
Ob Hersteller ein Gesuch um Aufnahme auf die Liste stellen, ist ihnen überlassen – der Bund kann sie nicht dazu zwingen. Für die Produzenten ist es unter Umständen lukrativ, wenn ein Medikament gar nicht kassenpflichtig wird. Denn so können sie die langwierigen Preisverhandlungen mit dem BAG umgehen und selbst einen Marktpreis festlegen.
Eine Therapie mit Subvectin wird für eine Familie ziemlich teuer. Denn es müssen wegen der grossen Ansteckungsgefahr alle Mitglieder eines Haushalts behandelt werden, und dies zweimal. Ein Elternpaar mit zwei Teenagern und einem Nachzügler braucht laut dem Arzt Gutersohn 42 Subvectin-Tabletten. Das kostet bei einem Preis von rund 10 Franken pro Tablette insgesamt 400 Franken.
Und da sind andere Personen, die wegen engen Körperkontakts ebenfalls behandelt werden müssten, nicht eingerechnet – etwa die Freunde der Jugendlichen. «Angesichts der hohen Preise für das Medikament wird dann vielleicht eine Person, die nur einmal bei der Familie übernachtet hat, nicht behandelt», sagt Gutersohn. «Und die Infektion geht weiter.»
Patienten beklagten sich
Für die hohen Kosten der Behandlung gäbe es allerdings eine Lösung. Sie heisst Magistralrezeptur: Apotheken dürfen für ihre Kundinnen und Kunden selbst Kapseln oder Sirups herstellen, die den Wirkstoff Ivermectin enthalten. Diese Medikamente sind günstiger und werden dann sogar von der Grundversicherung bezahlt. Gutersohn beobachtet, dass immer mehr Apotheken solche eigenen Ivermectin-Produkte anbieten: «Offensichtlich haben sich manche Betroffene wegen des hohen Preises für Subvectin beklagt.»
Die Nachfrage nach magistralen Präparaten gegen Scabies sei wieder erhöht, bestätigt auch Gregory Nenniger vom Apothekerverband Pharmasuisse. Im Kanton Zürich beispielsweise haben laut einem Verzeichnis der Zürcher Gesundheitsdirektion rund 70 der über 200 Apotheken selbstproduzierte Ivermectin-Produkte vorrätig oder können sie bei Bedarf herstellen oder beschaffen.
Was das Portemonnaie der Patienten schont, ist indes für die Apotheken kein gutes Geschäft: Die Preise für Magistralrezepturen würden den Aufwand der Herstellung nicht decken, sagt Nenniger. Denn das BAG habe den Tarif dafür seit 1995 nicht mehr angepasst. Und das, obwohl die Herstellung wegen neuer Auflagen und der gestiegenen Löhne für die Apotheken immer teurer geworden sei.
«Lohnt sich nicht»
Der Fall Ivermectin zeige dieses Problem exemplarisch, sagt auch Johnny Schuler von der Dr. Bähler Dropa AG, die in der Schweiz rund 120 Apotheken und Drogerien betreibt. Der staatlich festgesetzte Preis für die Eigenherstellung in kleiner Menge falle tiefer aus als der Preis für das Fertigarzneimittel aus der industriellen Grossproduktion, erklärt Schuler. «Derzeit kann deshalb nicht davon gesprochen werden, dass sich eine solche Herstellung wirtschaftlich lohnt.»
Bereits breit zur Anwendung kommen Ivermectin-Magistralrezepturen im Asylbereich, wie der Bundesrat in der Antwort auf eine Interpellation der SVP-Gesundheits- und Migrationspolitikerin Martina Bircher festhält. Das teure Subvectin werde in den zwanzig Bundesasylzentren (BAZ) nur vereinzelt verwendet.
Die BAZ gelten als Hotspots für Scabies-Fälle. Wie ein Sprecher des Staatssekretariats für Migration (SEM) gegenüber SRF erklärte, könnte dies einen Zusammenhang mit den vielen Gesuchen von unbegleiteten minderjährigen Asylsuchenden haben: Meist würden die jungen Männer auf der langen Flucht in einem Flüchtlingscamp mit Krätze infiziert.
Nicht Aufgabe der Armeeapotheke
In der Schweiz werden Migranten bei der Ankunft zwar von geschultem Pflegepersonal auf mögliche Krankheiten und Infektionen untersucht und entsprechend behandelt. Allerdings besteht laut SEM die Gefahr einer Ansteckung der jungen Männer untereinander. Deshalb achte man auf eine gründliche Reinigung der Zimmer. Des Weiteren würden Kleider und die Bettwäsche regelmässig gewechselt.
Martina Bircher, die mittlerweile in den Aargauer Regierungsrat gewählt wurde, regte in dem Vorstoss zu den Asylbewerbern auch an, die Armeeapotheke Ivermectin für die breite Bevölkerung produzieren zu lassen. Doch von dem Vorschlag hält der Bundesrat nichts: Das sei nicht Aufgabe der Armeeapotheke, antwortete er Bircher knapp.