Bei Metastasen sind die Aussichten für Krebskranke immer noch schlecht. In Zukunft könnte es aber gelingen, Tumorzellen daran zu hindern, sich im Körper auszubreiten. Zürcher Forschende spielen dabei eine wichtige Rolle.
In den Köpfen vieler Menschen ist die Vorstellung fest verankert: Hat ein Krebs erst einmal gestreut, sind die Überlebenschancen minimal. Dazu passt die beängstigende Zahl, die immer wieder zu lesen ist: Rund neunzig Prozent der Krebstodesfälle gehen auf Metastasen zurück. Ob und wann es passiert, lässt sich nicht voraussagen. Aber bei einigen Tumoren beginnen sich früher oder später Zellen zu lösen. Ihnen gelingt es, in die Blutgefässe oder Lymphbahnen zu gelangen, durch den Körper zu wandern und sich an anderer Stelle anzusiedeln – als Metastasen. Diese sind insbesondere in Leber, Gehirn, Lunge und Knochen zu finden. Doch sind Metastasen tatsächlich ein Todesurteil?
«Nicht nur bei Krebsbetroffenen allgemein, auch bei einigen Patientinnen und Patienten mit Metastasen sind die Aussichten heute besser», sagt Richard Cathomas, Chefarzt Onkologie am Kantonsspital Graubünden. Dank neuartigen zielgerichteten Therapien und Immuntherapien konnten die Überlebenschancen bei gewissen Tumorarten erhöht werden. «Bei Melanomen mit Metastasen erreichen wir heute eine Fünf-Jahres-Überlebensrate von bis zu fünfzig Prozent. Vor rund zehn Jahren lag diese noch bei unter fünf Prozent», sagt Cathomas. Auch bei Dickdarmtumoren mit Metastasen in der Leber seien die Aussichten heute deutlich besser: «Es war früher fast ein Dogma: Hat sich auch nur eine einzige Metastase gebildet, ist eine Behandlung nicht mehr erfolgreich. Heute wissen wir, dass es Situationen gibt, in denen dies möglich ist.»
Die Herausforderung bleibt
Cathomas ist trotzdem vorsichtig, von Heilung zu sprechen: «Gerade bei Metastasen ist die Gefahr gross, dass sie zurückkehren.» So sei die Überlebensrate bei Metastasen immer noch deutlich geringer als bei einem Tumor ohne Metastasen. «Aber auch wenn eine Heilung eher selten ist, können wir die Erkrankung je nach Tumorart heute deutlich häufiger so kontrollieren, dass eine gute Lebensqualität noch über viele Jahre möglich ist», sagt Cathomas. Entsprechend gebe es nicht nur mehr «Cancer-Survivors», sondern auch mehr «Metastasen-Survivors» – auch wenn diese vielleicht in gewissen Phasen wieder eine Therapie benötigen, damit man den Krebs unter Kontrolle hält.
«Jetzt geht es darum, die positiven Resultate der Immuntherapie, die bei gewissen Tumoren, die metastasiert haben, erzielt wurden, auf andere Krebsarten zu übertragen», sagt Olivier Michielin, Chefarzt Onkologie am Universitätsspital Genf. Denn trotz den bisherigen Fortschritten sei klar: «Metastasen bleiben lebensbedrohlich.»
Dass die Herausforderungen noch gross sind, bestätigen die Zahlen der Nationalen Krebsregistrierungsstelle. So konnten etwa bei Darmkrebs, der metastasiert hat, in den vergangenen rund zwanzig Jahren nur geringe Verbesserungen erreicht werden. Die Überlebensrate fünf Jahre nach der Diagnose konnte von rund dreizehn auf sechzehn Prozent erhöht werden. Bei Lungenkrebs war die Verbesserung etwas ausgeprägter, die Überlebensrate liegt mit weniger als zehn Prozent aber auch heute noch sehr tief.
Die aggressivsten Krebszellen
Metastasen sind grundsätzlich schwieriger zu behandeln als der sogenannte Primärtumor. Denn dieser ist lokal begrenzt und damit einer breiteren Palette von Behandlungen zugänglich. Man kann ihn im besten Fall zum Beispiel chirurgisch entfernen, bestrahlen oder mit Hitze oder Kälte veröden. Vom Tumor abgelöste Krebszellen aber verbreiten sich im ganzen Blut- und Lymphsystem. In der Bildgebung sind sie erst als festgesetzte Metastasen ab einer Grösse von drei bis fünf Millimetern nachweisbar. Solche Makrometastasen lassen sich zwar manchmal auch chirurgisch entfernen. Aber das Risiko ist gross, dass dann bereits unzählige Mikrometastasen im Körper vorhanden sind. Insofern ist eine systemische Therapie gefragt, die im ganzen Körper wirkt – etwa in der Form einer Chemotherapie.
Und auch dann ist nicht sicher, dass man alle wandernden Krebszellen erwischt. Denn diese können sich in einem Schlafzustand versteckt halten. Manchmal beginnen sie sich erst Jahre nach der erfolgreichen Therapie eines Primärtumors zu vermehren. Ausserdem gelten die Zellen von Metastasen als die aggressivsten Krebszellen. Sie haben einen Selektionsprozess durchlaufen und sich auf der Reise durch den Körper gegen das Immunsystem und allfällige Therapien durchgesetzt. Insofern sind sie besonders fit und damit schwierig zu bekämpfen.
Cluster sind erfolgreicher
Seit etwa zwanzig Jahren richtet die Krebsforschung ihren Fokus vermehrt auch auf Metastasen. So ist heute klarer, warum und wie bestimmte Tumoren metastasieren. Man versteht inzwischen besser, was auf der Ebene der Gene und Proteine abläuft. Zudem ist inzwischen bekannt, dass nicht nur Primärtumoren, sondern auch Metastasen selber wiederum Ableger bilden können.
Zu den international führenden Metastasen-Forschungsgruppen gehört das Team um Nicola Aceto, Professor für Molekulare Onkologie an der ETH Zürich. Seine Gruppe konnte zeigen, dass das gängige Bild von einzelnen Zellen, die sich vom Tumor lösen und im Körper zirkulieren, überholt ist. Nicht diese separaten Zellen sind besonders erfolgreich darin, Metastasen zu bilden, sondern sogenannte Cluster. Solche Anhäufungen von Krebszellen bilden sich in besonders sauerstoffarmen Teilen von Tumoren. Sie lösen sich als kleine Klumpen vom Tumor. Die Gruppe um Aceto deckte auf, wie Gene bei diesem Prozess mitspielen und dass auch der Tag-Nacht-Rhythmus dabei wichtig ist. Am Beispiel von Brustkrebspatientinnen wiesen sie nach, dass sich die Cluster vor allem während des Schlafes vom Tumor lösen. Dies gibt neue Ansatzpunkte, um die Metastasenbildung zu blockieren.
Eine zusätzliche Pille
Weil es so schwierig ist, die aggressiven Metastasenzellen abzutöten, will Aceto einen anderen Weg gehen: die Bildung von Clustern verhindern oder diese zerschlagen und wieder in einzelne Zellen auflösen, am besten bevor sie den Tumor verlassen. Die Vision von Nicola Aceto: Wird in Zukunft bei einer Person ein Tumor diagnostiziert, kommt die bestmögliche Therapie dagegen zum Einsatz. Ist je nach Tumorart das Risiko für Metastasen erhöht, kann die Person zusätzlich eine Pille einnehmen, die Cluster auflöst.
Den ersten Schritt auf dem Weg zu dieser Vision hat sein Labor an der ETH Zürich bereits gemacht. Ende 2023 hat Aceto in Zusammenarbeit mit drei Schweizer Spitälern eine erste klinische Studie mit einer kleinen Zahl von Brustkrebspatientinnen erfolgreich abgeschlossen. Dabei wurde ein Herzmedikament getestet, das zuvor im Tierversuch Cluster aufzulösen vermochte. In der Tat hatte das Medikament in der Studie auch bei den Patientinnen dieselbe Wirkung. Jetzt wollen die Forschenden den Wirkstoff weiter verbessern und planen die nächste Studie mit mehr Teilnehmenden. «Auch wenn weiterhin alles klappt, wird es aber noch Jahre dauern, bis ein entsprechendes Medikament verfügbar ist», sagt Aceto.
Neue Ansätze in Sicht
Nach den bisherigen Verbesserungen bei der Behandlung von Metastasen einzelner Tumoren sind also neue Ansätze vorhanden, die in Zukunft hilfreich sein könnten. So hat das Wissen über molekulare und genetische Mechanismen bei der Metastasenbildung Ansatzpunkte für neuartige zielgerichtete Therapien ergeben. «Entsprechende Therapien werden derzeit entwickelt und in den nächsten Jahren auf den Markt kommen», sagt Aceto. Olivier Michielin vom Universitätsspital Genf rechnet vor allem auch damit, dass in Zukunft Immuntherapien für weitere Tumoren, die metastasiert haben, verfügbar sein werden.
Zudem dürfte sich die Diagnostik weiter verbessern. «Bluttests, die zirkulierende Krebszellen und Cluster nachweisen, könnten in Zukunft einen Teil der Bildgebung ersetzen», sagt Richard Cathomas vom Kantonsspital Graubünden. Allerdings werde dies auch neue Fragen aufwerfen. Denn in unserem Körper finden dauernd Mutationen statt, und es entstehen potenzielle Krebszellen. Meist schafft es unser Immunsystem, diese rechtzeitig zu beseitigen. Wenn ein hochsensitiver Bluttest solche Krebszellen und Cluster feststellt – was heisst dann das? Soll man präventiv besser eine in Zukunft hoffentlich existierende Pille dagegen einnehmen oder erst einmal das Immunsystem seine Arbeit tun lassen? Dies wird zu klären sein.
Ein Artikel aus der «»