Ein Küchengerät wird gefeiert, als wäre es ein Tech-Wunder aus dem Silicon Valley. Ist das die deutsche Antwort auf die Suche nach Fortschritt?
Die USA haben das Silicon Valley, Deutschland hat den Thermomix. In einer abgedunkelten Messehalle in Berlin wurde vor wenigen Tagen das neueste Modell des Küchengeräts vorgestellt – oder eher: enthüllt. Denn Vorwerk, das Unternehmen hinter dem Thermomix, beliess es nicht bei einer einfachen Produktpräsentation. Es inszenierte eine «reveal party».
Auf einer riesigen Leinwand wurde den geladenen Thermo-Influencern ein Video präsentiert, das genauso gut der Trailer zum nächsten «Star Wars»-Film sein könnte. In Zeitlupe dockt ein Mixtopf an seinen Standfuss an wie eine Raumkapsel ans Mutterschiff. Der Bass donnert durch die Halle, und für einen Moment scheint es, als würde gleich der Imperator persönlich auf die Bühne schreiten. Stattdessen fährt zum Finale ein Küchenhelfer aus dem Boden empor. Doch die Gäste sind keineswegs enttäuscht. Sie kreischen, jubeln, filmen mit ihren Telefonen. Massenekstase wegen eines Mixers.
Man kennt solche Produktenthüllungen von Apple. Steve Jobs inszenierte seine Keynotes stets wie Bühnenstücke, immer mit dem Anspruch, das Publikum mit einer Geschichte zu fesseln. Nun hat das mit Vorwerk ein Familienunternehmen aus Wuppertal geschafft. Das ist kluges Marketing, zweifellos. Aber es ist auch ein Zeugnis der Zeit. Während die Tech-Firmen in Kalifornien künstliche Intelligenz vorantreiben, stellen die Deutschen eine Küchenmaschine vor.
Das Sackmesser unter den Küchengeräten
An dieser Stelle muss gesagt werden: Der Thermomix ist ein durchaus vielseitiges Teil, das angetreten ist, um alle anderen Küchengeräte überflüssig zu machen. Er kann wiegen, mixen, erhitzen, kneten und dünsten. Der Thermomix ist das Schweizer Taschenmesser im Haushaltsuniversum. Im Innern des Edelstahltopfs rotiert ein vierklingiges Messer, das im Uhrzeigersinn zerkleinert und im Gegenuhrzeigensinn rührt. Über einen Bildschirm weist das Gerät seinen Besitzer an, was als Nächstes zu tun ist. Das stellt auch gleich die Rangordnung klar: Der Thermomix kocht, der Mensch folgt.
Der Ur-Thermomix kam im Jahr 1971 unter dem Namen VM2000 auf den Markt. Vorwerk verkaufte ihn zunächst nur in Frankreich, weil die Franzosen Suppen mögen und der Thermomix das dafür nötige Anbinden besonders gut beherrschte. In den achtziger Jahren brachte Vorwerk den Thermomix nach Deutschland.
Dort kannte man das Unternehmen schon wegen seiner Staubsauger – und der Vertreter, die sie überall in Deutschland verkauften. Schnell aber lief der Thermomix den Saugern den Rang ab. TM3, TM5, TM6: Die Modelle wurden durchnummeriert wie das iPhone von Apple.
Jetzt also, nach sechs Jahren Wartezeit, der TM7. Anders als seine Vorgänger kommt er komplett in Schwarz daher. Auch das ovale Gehäuse, das ein bisschen an eine Kloschüssel erinnerte, ist verschwunden. Stattdessen sieht der Thermomix nun aus wie ein überdimensionierter Wasserkocher mit Touchdisplay. Ein Ungetüm bleibt auch der TM7: Er ist so gross wie zwei aufeinandergestapelte Schuhkartons und mit 1549 Euro beziehungsweise 1699 Franken so teuer wie ein Wochenendtrip nach London.
In Blogs und Internetforen war schon lange gerätselt worden, welche Eigenschaften ein neuer Thermomix haben könnte. Fans spekulierten über den Einsatz von künstlicher Intelligenz und die Möglichkeit, das Gerät per Sprache zu steuern. Doch dann die Enttäuschung: Der TM7 kann nichts von alldem. Die KI-Features würden nachgereicht, erklärte Vorwerk. Dafür ist es nun möglich, bei niedriger Geschwindigkeit ohne Deckel zu kochen.
Das Upgrade ist geradezu sinnbildhaft. Wer noch einen Beweis für Deutschlands Rückstand bei Innovationen sucht, findet ihn beim Thermomix.
Ein Vertriebssystem wie Tupperware
Auch das Vertriebsmodell ist von vorgestern. Den Thermomix gibt es weder im Laden noch im Internet zu kaufen. Wer sich für ihn interessiert, hat ein Formular auszufüllen und wird anschliessend von einer «Repräsentantin» kontaktiert. Vorwerk beschäftigt weltweit mehr als 100 000 dieser Verkäuferinnen. Zwei Drittel von ihnen sind Frauen.
Ihr Job folgt dem Prinzip, das einst Tupperware gross machte: Sie laden Interessierte zu sich nach Hause ein, führen das Gerät vor, lassen es pürieren, dampfen und anbraten. In seinem natürlichen Habitat verkauft sich der Thermomix besser als bei Mediamarkt. Und wer als Beraterin sechs Geräte verkauft, bekommt den eigenen Thermomix gratis. Käuferinnen werden zu Verkäuferinnen.
Harley Krohmer ist Professor für Marketing an der Universität Bern. Er sieht in dem Direktverkauf durchaus Vorteile: «Vorwerk nutzt den direkten Kontakt zu seinen Kunden, um eine emotionale Bindung aufzubauen.» Gerade bei einem High-End-Produkt sei der persönliche Verkauf wichtig, sagt Krohmer. Deshalb funktioniert bei Thermomix, woran Tupperware gescheitert ist: Der Plastikdosenhersteller musste vergangenes Jahr Insolvenz anmelden.
Doch der Direktvertrieb hat auch Nachteile. Er ist umständlich und teuer. Davon profitieren die Mitbewerber. Hersteller wie Kenwood und Bosch oder der chinesische Hersteller Xiaomi bieten ähnliche Geräte für deutlich weniger Geld an. Und im Internet.
In den vergangenen Jahren sind die Verkäufe des Thermomix mehrmals zurückgegangen. Zwar schaffte Vorwerk im Jahr 2024 mit einer Million verkaufter Küchenmaschinen einen Rekordumsatz von 1,7 Milliarden Euro. Doch das Wachstum ergab sich nicht durch eine höhere Nachfrage, sondern durch mehrere Preiserhöhungen. Wer Fans statt Kunden hat, kann sich das erlauben.
Bei Vorwerk sieht man die Entwicklung entspannt. Das neue Modell sei «ein riesiger Schritt», sagte der Vorstandssprecher im Interview mit «20 Minuten». «Es ist durchaus möglich, dass unsere Konkurrenz in den nächsten Tagen in tiefe Depression fällt.»
Ein Abo für den Mixer
Denn da ist noch etwas anderes. Der Thermomix ist längst ein Teil eines ganzen Thermoversums. Auf Youtube existieren unzählige Videos von Frauen, die sich «Thermimaus» oder «Thermifee» nennen und ihren Followern zeigen, wie sie Risotto und Dinkelbrot in dem Gerät zubereiten. In Facebook-Gruppen mit sechsstelligen Mitgliederzahlen tauschen Leute ihre Rezepte und Tipps aus.
Der Marketingexperte Harley Krohmer sieht darin den Hauptgrund für den langfristigen Erfolg von Thermomix. Er sagt: «Auch wenn es zunächst überraschend klingen mag, spielt Community-Building selbst bei einem Küchengerät eine zentrale Rolle.» Eine loyale Fangemeinde sei heutzutage ein «unschätzbarer Marketingmotor».
Vorwerk hat daraus ein Abo-Modell entwickelt. Thermomix-Besitzer haben heutzutage eine App, über die sie Rezepte aus dem Internet laden können. Während des Kochens lesen sie direkt vom Touchscreen ab, was sie als Nächstes zu tun haben. Kritiker sehen darin den Niedergang der Kochkultur. Statt zu improvisieren oder kreativ zu werden, wird Kochen zum Tutorial. Vorwerk kann das egal sein: Die App-Mitgliedschaft kostet 60 Euro im Jahr – und sorgt dafür, dass der Thermomix auch nach dem Kauf weiter Umsatz generiert.
Das sorgfältig aufgebaute Ökosystem, die enge Bindung zur Community und die aufwendig inszenierten Produktshows – für den Marketingexperten Krohmer steckt dahinter eine klare Strategie. Er sagt: «Thermomix will sich nicht als blosses Küchengerät präsentieren, sondern soll für Innovation und Lifestyle stehen.»
Ein Haushaltsgerät als Symbol also. Der TM7 ist die deutsche Antwort auf die Suche nach Fortschritt. Manche Länder wollen zum Mars fliegen, Deutschland spricht vom Dampfgaren. Der Thermomix ist die Zukunft, und er kommt direkt aus der Vergangenheit.