Die Zürcher Staatsanwältinnen und Staatsanwälte sehen sich mit immer komplexeren Verfahren konfrontiert.
Es ist eine Irrsinnstat. Am Mittag des 1. Oktober 2024 postet ein junger Chinese, der in einem Zürcher Studentenwohnheim in Oerlikon lebt, auf Instagram einen wirren Liebesbrief.
Kurz darauf greift er bei einem Kinderhort in der Nähe mehrere Kinder mit einer Stichwaffe an. Drei fünfjährige Knaben werden bei der Messerattacke verletzt. Nur dank dem beherzten Eingreifen einer Angestellten des Horts und eines Mitarbeiters des nahe gelegenen Migrationsamts endet die Attacke einigermassen glimpflich. Der Student wird festgenommen – und sitzt seither in Untersuchungshaft.
Der Angriff in Zürich Oerlikon ist nur eine Tat von vielen, welche die Zürcher Staatsanwaltschaft im letzten Jahr beschäftigt haben.
Die Arbeitslast der Zürcher Staatsanwältinnen und Staatsanwälte befindet sich weiterhin auf Höchstniveau. 31 876 Fälle sind im vergangenen Jahr eingegangen. Das hat die Leitende Oberstaatsanwältin Susanne Leu am Freitag im Rahmen des Jahresrückblicks 2024 bekanntgegeben. Die Zahl der Fälle liegt damit nur leicht unter dem Rekordniveau des vergangenen Jahres, aber 11 Prozent über dem Wert von 2019.
Diese Entwicklung spiegle unter anderem das anhaltende Bevölkerungswachstum im Kanton, die zunehmende digitale Vernetzung und die starken Migrationsbewegungen, sagt Leu. Einen Anstieg der Fälle registrierte die Ermittlungsbehörde insbesondere bei Vermögensdelikten wie Cyber-Betrug, Delikten gegen die Freiheit wie Drohungen und Nötigungen sowie bei Verstössen gegen das Ausländer- und Integrationsgesetz.
Mit mehr Personal und gezielten Optimierungsmassnahmen sei es der Staatsanwaltschaft aber gelungen, die Zahl der pendenten Verfahren leicht zu reduzieren. Leu sagt: «Wir haben allerdings nach wie vor sehr viele Altfälle. Aber es gibt am Ende des Tunnels langsam ein bisschen Licht.»
Trendwende nicht in Sicht
Eine Trendwende ist laut Susanne Leu allerdings nicht in Sicht, im Gegenteil: Man gehe davon aus, dass die Zahl der Verfahren in den nächsten Jahren stärker zunehmen werde als das Bevölkerungswachstum.
Die von der Staatsanwaltschaft zu bearbeitenden Fälle werden laut der Leitenden Oberstaatsanwältin nicht nur zahlreicher, sondern auch komplexer. Eine Auswertung habe ergeben, dass die durchschnittliche Zahl der einzelnen Verfahrensschritte bei Strafuntersuchungen in den vergangenen Jahren um fast 50 Prozent gestiegen sei.
Einer der Gründe: Man habe es zunehmend mit global agierenden Tätergruppierungen zu tun, sagt Leu – etwa bei Cyber-Betrügereien oder organisierter Kriminalität. «Da haben wir Handlungsbedarf.»
Mögliche Massnahmen im Kampf gegen das organisierte Verbrechen sieht Leu in Sammelverfahren, etwa bei Online-Anlagebetrug, oder in der Schaffung von überkantonalen Kompetenzzentren.
Pilotprojekt für neuen Pikettdienst
Bei der Bewältigung der hohen Arbeitslast stark gefordert ist auch der Pikettdienst der Strafverfolger. Die dafür zuständigen Staatsanwältinnen und Staatsanwälte entscheiden unter anderem darüber, ob bei festgenommenen Personen ein dringender Tatverdacht sowie Gründe für einen Antrag auf Untersuchungshaft vorliegen.
Sie stehen dabei unter hohem Zeitdruck, weil innerhalb der gesetzlichen Frist von 48 Stunden entschieden werden muss, ob etwa ein Antrag auf Untersuchungshaft gestellt oder andere Massnahmen getroffen werden sollen.
2021 hat die Strafverfolgungsbehörde dabei das sogenannte Pikett West eingeführt. Dabei wechseln sich die drei regionalen Staatsanwaltschaften Zürich-Limmat, Zürich-Sihl und Limmattal/Albis wochenweise beim Pikettdienst ab.
Laut Oberstaatsanwalt Peter Pellegrini hat sich das System bewährt. Deshalb soll ab dem 1. Juli 2025 ein einjähriger Pilotversuch auf dem übrigen Kantonsgebiet gestartet werden. Im Pikettdienst Ost sollen die Teams der Staatsanwaltschaften Winterthur/Unterland und See/Oberland wochenweise über Hafteinvernahmen und Zwangsmassnahmen bei Beschuldigten entscheiden. Davon erhofft sich Pellegrini eine Reduktion der Piketttage der einzelnen Mitarbeiter und eine Vereinfachung der Abläufe.