Er benutzt einfach Lampen. Und sorgt im Museum für Erleuchtung: der amerikanische Lichtkünstler Dan Flavin zeigt der Welt, was Kunst auch noch sein kann.
Mit seiner strikten Beschränkung auf industriell hergestellte Leuchtstoffröhren gilt Dan Flavin als ein besonders radikaler Vertreter der amerikanischen Minimal Art. In der Wahl seiner Werkstoffe war er Minimalist par excellence. In der Wirkung seiner Werke aber ist er der absolute Maximalist.
Was Flavin auf simpelste Weise mit unserer Wahrnehmung anstellt, ist unerwartet und in der Kunst ziemlich einzigartig. Dieser bedeutende Vertreter der amerikanischen Nachkriegskunst führt uns die rätselhafte Phänomenologie von Licht vor Augen, wie es niemand vor ihm, weder die Impressionisten im Medium der Malerei noch die Fotografen mit ihrer belichteten Kunst, jemals vermochte.
Dabei liegen die Ursprünge seiner Kunst relativ weit zurück. Im Grunde im Jahr 1879, als Thomas Edison die elektrische Glühlampe erfand. Ende der dreissiger Jahre des letzten Jahrhunderts kamen die Leuchtstoffröhren auf, General Electrics machten damit ein Vermögen. Ab Anfang der sechziger Jahre schliesslich schickte sich Dan Flavin an, als Künstler solche Röhren zu verwenden. Mit diesen banalen Alltagsgegenständen entwickelte er seine genuin eigene Kunstform in Gestalt von Lichtkunst.
Der 1933 geborene Künstler und einstige Priesterseminarist mit irisch-katholischem Hintergrund verstand sich auf die Zelebrierung des Erhabenen. Eine Lichtröhre in die Ecke gestellt, dorthin, wo sich bisher nie ein Kunstwerk verirrt hatte: Und der Raum wird zum sakralen Ort immaterieller Schwingungen. Der ausgebildete Meteorologe spielte auch virtuos auf der Klaviatur des Atmosphärischen. Mit der Temperaturskala von Licht schuf er ephemere Kunststücke, die wetterfühlig machen, berühren und unter die Haut gehen. Die Palette reicht von golden warm bis taghell kalt.
Das Unikat gibt es nicht
Dan Flavins erstes Werk von 1963 ist so schlicht wie berückend: eine diagonal an die Wand montierte Neonröhre. Was wir unter dem Titel «The Diagonal of Personal Ecstasy» (auch bekannt als «The Diagonal of May 25») in der grossen Retrospektive des Kunstmuseums Basel sehen, ist allerdings nicht das Original. Die ursprüngliche Neonröhre gibt es längst nicht mehr. Und diese im Grund lapidare, aber für unser Kunstverständnis auch irritierende Feststellung ist natürlich vom Künstler einkalkuliert. Flavins künstlerische Philosophie lautet: Das Unikat gibt es nicht, der Gegenstand ist unwichtig, was allein zählt, ist das Licht.
Flavin hatte sein Material mit Bedacht gewählt. Dass der Werkstoff seiner Kunst eine beschränkte Lebensdauer hat, gefiel ihm besonders gut. Die Halterungen und die Röhren selber weisen Ermüdungserscheinungen auf und müssen irgendwann ersetzt werden. Diese antifetischistische Auffassung vom Kunstwerk als Original ist Quintessenz von Dan Flavins radikaler Haltung als Künstler.
Dazu passt, dass sämtliche Masse und Lichtfarben, die man in Flavins Werken zu Gesicht bekommt, genau so aus dem Supermarkt kommen. Vier verschiedene Längen, vier verschiedene Weiss und sechs Farben, nämlich Rot, Gelb, Blau, dann Rosa, Grün und ein Ultraviolett: Das ist sein Vokabular. Spezialanfertigungen, wie sie der eine oder andere Elektriker für den Meister gerne ermöglicht hätte: Das wollte Flavin nicht. In seiner kompromisslosen Anspruchslosigkeit zeigt sich vor allem auch Flavins ungemeine Freiheit von jeglichem Dünkel als Künstlergenie.
Ein naiver Autodidakt, der einfach einmal draufloswerkelte, war Flavin dennoch nicht. Er kannte seine Kunstgeschichte. Sein frühes Werk «Primary Picture» – vier Neonröhren, wie ein Bild an der Wand zum Viereck angeordnet – besteht aus den vier Grundfarben. Damit referierte Flavin auf einen Grundsatz der Farbenlehre, wie er von Künstlern wie Henri Matisse hochgehalten wurde. Allein, dass Flavin die Farbe aus dem Kontext der Malerei herauslöste und sie in den dreidimensionalen Raum übertrug. Dem grossen Matisse widmete er denn auch eines seiner besonders farbenfrohen Neon-Werke, die jetzt in Basel zu sehen sind.
Auf Carl Andre, den Künstler der Bodenplatten, bezieht sich Flavin mit einer Auslegeordnung von Neonröhren auf dem Boden. Flavin freute sich diebisch, als bei der Vernissage, an der das Werk erstmals gezeigt wurde, ein Besucher drauftrat und eines der Leuchtmittel zertrümmerte. Der Künstler schritt in den Baumarkt, holte Ersatz und demonstrierte damit, wie wenig Wert die Kunst als Ding hat. Nicht im Material besteht das Werk, sondern in der Wirkung, die es im Raum entfaltet.
Wechselspiel der Konträrfarben
Und diese Wirkung ist ein Wechselbad zwischen Askese und Ekstase. Kaum der Rede wert das Material, die damit erzeugte Magie aber schon: Fast schmerzhaft dringt Flavins Lichtzauber ins Auge. Wer eintaucht in den sinnlichen Lampen-Pool im Kunstmuseum Basel, tut dies vielleicht sogar besser mit Sonnenbrille. Die Überreizung des Sehnervs jedenfalls gehört zu Flavins Kunst. Verlässt man den einen Raum in gleissendem Grün, flammt der nächste umso röter auf. Das Wechselspiel der Konträrfarben zeigt da seine volle Wirkung.
Um Flavins Lichtkunst maximal zur Geltung kommen zu lassen, wurden die Räume des Kunstmuseums sozusagen entkleidet. Bodenleisten wurden entfernt, Beleuchtung wurde abmontiert. Die Nacktheit der Ausstellungsräume koinzidiert bestens mit Flavins radikaler Kunst. Und diese wird zusehends komplexer. Anfänglich genügt eine Röhre, um den Raum in Kunst zu verwandeln. Bald aber arbeitet der Röhrenkünstler mit ganzen Batterien von Lichtstoffröhren, die er zu raketenartigen Gebilden zusammenfügt, in den Raum ragen lässt oder zu leuchtenden Portalen an der Wand arrangiert, durch die der Besucher am liebsten hindurchtreten möchte.
Was leicht als Spielerei und puristisches L’art pour l’art daherkommen mag, ist bei Flavin oft explizit politisch gedacht. Der 1996 verstorbene Künstler widmete seine Werke den Gefallenen im Vietnamkrieg, gab sie an Benefizauktionen für wohltätige Zwecke und stellte den Erlös aus Verkäufen pazifistischen Organisationen zur Verfügung. Flavin setzte persönliche Statements mit seinen Werken. Damit lehnte er sich gegen die Minimal Art auf, der er sich nie als eigentliches Mitglied zugehörig sah. Das selbstreferenzielle Konzept dieser Kunstströmung, die mit Serialität, Reduktion und Sachlichkeit den Künstler als Person hinter dem Werk ausradieren wollte, war nicht seine Sache.
Wegweisend für die Minimal Art war die Ausstellung «Primary Structures» 1966 im Jüdischen Museum in New York. Zu Flavins Entzücken wanderte sein Beitrag nach der Schau in einen von Künstlern frequentierten Nachtklub ab, wo er die Tanzfläche in intensives Rot tauchte. Kunst als Selbstzweck? Nicht bei Dan Flavin. Denn Lampen sind da, um Licht zu spenden.
«Dan Flavin», Kunstmuseum Basel, bis 18. August.