Die Aktien des bayerischen Chipausrüsters leiden enorm unter der Unsicherheit um die Chipbranche, begleitet von technologischen Umbrüchen. Dabei hat Suss die Prognosen weit übertroffen, Geschäftsaussichten und Bilanz sind solide. Auf dem jetzigen Kursniveau ist Suss ein Schnäppchen.
Seit Anfang Jahr scheinen die Aktien von Suss Microtec wie Steine zu fallen. Inmitten der Wirren um die Trump-Zölle notierten die im SDax vertretenen Papiere des bayerischen Chipausrüsters vergangene Woche zeitweise bei 27 € und damit 45% unter dem Schlusskurs 2024.
Damit ging es für Suss fast doppelt so stark abwärts wie für die Branche: Der globale Halbleiterindex SOX fiel seit Jahresbeginn um 24%. Die Papiere der globalen Chipmaschinenhersteller gaben deutlich weniger nach: ASML aus den Niederlanden um 17%, Tokyo Electron aus Japan um 19%, Applied Materials und LAM Research aus den USA um 15% respektive 12%.
Der Hype um Künstliche Intelligenz (KI) und Rechenzentren ist zu Ende, die Nachfrage nach Chips lahmt. Der von US-Präsident Donald Trump angezettelte Handelskrieg droht auch die Chiphersteller und ihre Ausrüster zu treffen, wenngleich Trump die bereits angekündigten Zölle auf Chips und Chipmaschinen schnell wieder zurücknahm.
Die extreme Verunsicherung zeigte sich vergangene Woche beim Quartalsbericht von ASML: Das Unternehmen erhielt deutlich weniger Bestellungen als erwartet, Prognosen sind fast unmöglich. Selbst wenn Zölle auf Chipmaschinen ausbleiben, könnte der Handelskrieg in eine globale Rezession münden, die die Verkäufe etwa von Smartphones und Autos schwächen würde. Dies würde die Chipnachfrage verringern – und in der Folge Investitionen in Chipmaschinen.
Ein solches von Unsicherheit geprägtes Umfeld trifft Aktien eines Maschinenherstellers mittelständischer Grösse wie Suss stärker als Papiere eines Weltmarktführers wie ASML, dessen Lithografiesysteme in den meisten Chipfabriken der Welt stehen.
Negative Nachrichten schlagen durch, positive nicht
So schlug jede negative Nachricht zuletzt bei Suss besonders durch, während die Anleger positive News weitgehend ignorierten. The Market hatte Suss im November wegen ihrer Wachstumsstrategie und der gegenüber dem Sommer bereits kräftig reduzierten Bewertung empfohlen.
Die Kursmisere begann damit, dass die Analysten von UBS Anfang Januar die Coverage mit einer Verkaufsempfehlung aufnahmen und Jefferies Suss auf «Hold» herabstufte. Beide befürchten ab 2026 Umsatzrückgänge dadurch, dass Suss grösster Kunde Taiwan Semiconductor Manufacturing Company (TSMC, über 10% Umsatzanteil) mit Einführung der neuesten Generation ultraleistungsfähiger HBM-Speicherchips (High Bandwidth Memory Chips) seine Produktionstechnologie teilweise umstellen könnte.
Ende Januar schockte das chinesische KI-Start-up Deepseek die Märkte, das für seine grossen Sprachmodelle deutlich weniger Rechenleistung benötigt als etwa ChatGPT. Anfang April folgte Trumps dann wieder zurückgenommene Zollankündigung.
Dabei wäre Suss von Trumps Zöllen kaum direkt betroffen. Die USA standen 2024 nur für 6% des Umsatzes und 13% des Auftragseingangs.
Zahlen und Prognosen weit über den Erwartungen
Suss› Geschäftszahlen für 2024, die deutlich oberhalb der Analystenschätzungen ausfielen, und ein Ende März veröffentlichter, unerwartet guter Ausblick für 2025 konnten den Abwärtstrend der Aktien nicht stoppen. «KI-bezogene Investment Cases bleiben Herausforderungen ausgesetzt. Der Markt befürchtet, dass das Momentum von Suss‘ Umsatzwachstum in den nächsten Quartalen nachlassen könnte», erklärte Deutsche-Bank-Analyst Michael Kuhn.
2024 schloss Suss mit einem Umsatzsprung um 47% auf 446 Mio. € ab. Dies lag 10% oberhalb der Konsensschätzung und auf dem für 2025 und 2026 erwarteten Umsatzniveau. Der Gewinn vor Zinsen und Steuern (Ebit) stieg um 170% auf 75 Mio. €. Die Ebit-Marge kletterte auf den Rekordwert von 16,8% und übertraf den Konsens um einen Prozentpunkt.
Für 2025 prognostiziert Suss-CEO Burkhardt Frick 470 Mio. bis 510 Mio. € Umsatz, im Mittelwert der Bandbreite also 10% Wachstum. Die Ebit-Marge soll 15 bis 17% erreichen, voraussichtlich also einen leichten Rückgang. Suss errichtet seit Herbst 2024 eine neue Fabrik in Taiwan zur Verdopplung der dortigen Kapazität und erwartet für Vorbereitung und Umzug der Produktion Einmalbelastungen.
Allerdings traut ein Teil der Analysten den Suss-Prognosen nicht: So wird im Schnitt nur gut 6% Wachstum im laufenden Jahr geschätzt, und für 2026 nur noch 2%.
Historisch günstige Bewertung
Daraus resultiert eine Bewertung, die so niedrig ist wie selten zuvor. Das Kurs-Gewinn-Verhältnis (KGV) auf Basis des für die nächsten zwölf Monate erwarteten Gewinns liegt aktuell leicht über 10 und damit weit unter dem Zehn-Jahres-Schnitt von 19,7.
«Die Bereitschaft der Anleger, für KI-getriebene Aktien eine Prämie zu bezahlen, ist verschwunden oder hat sich in einen Discount verwandelt», kommentiert Deutsche-Bank-Analyst Kuhn.
Suss-Aktien waren getrieben vom KI-Hype
Tatsächlich zeigte Suss im Sommer 2024 mit einem KGV von 32 Signale einer stark ausgeprägten KI-Blase. So wie Anleger sich dieser Tage unbedingt in Rüstungswerten engagieren wollen, gierten sie in der ersten Jahreshälfte 2024 nach KI-Exposure. Da traf es sich, dass Suss ab Mitte 2023 eine Welle von KI-bezogenen Aufträgen eingefahren hatte.
Die Münchner hatten Maschinen zum temporären Bonden (Verbinden) entwickelt, die zur Produktion der HBM-Speicherchips benötigt werden. Diese werden anschliessend mit Rechenchips, sogenannten Logikchips, zu Grafikprozessoren (GPU) zusammengefügt – dem Kernprodukt des US-Riesen Nvidia.
Die Speicherchiphersteller Micron und Samsung überfluteten Suss mit Aufträgen, um gegenüber dem bei HBM vorangepreschten Rivalen SK Hynix aufzuholen. Auch TSMC, die die GPU-Module in Nvidias Auftrag montiert, bestellte kräftig: neben temporären Bondern auch Suss‘ UV-Projektionsscanner. So hing 2024 ein Drittel von Suss‘ Umsatz an KI, zuvor waren es weniger als 10%.
Nunmehr scheine bei Suss‘ Kunden eine gewisse Sättigung einzutreten, notiert Berenberg-Analystin Nicole Winkler. Vor einer Woche gab Nvidia zudem Abschreibungen von bis zu 5,5 Mrd. $ bekannt, da die Trump-Regierung auf Ausfuhren der eigens für China entwickelten H20-Hochleistungsprozessoren neu eine Lizenz verlangt.
Für Momentum-getriebene Anleger lösen solche Nachrichten Fluchtreflexe aus. So übertrieben hoch Suss‘ Bewertung vergangenen Sommer war, dürfte sie nun übertrieben niedrig sein.
«Die Aktie ist im historischen Vergleich fundamental sehr günstig», sagt Raik Hoffmann vom FPM Stockpicker Germany Small Mid Cap Fund. «Dies gilt auch, wenn Suss in den nächsten Jahren kaum wachsen würde. Die Bewertung entschädigt auch für ein Seitwärtsjahr.» Er habe im ersten Quartal 1% des Fondskapitals in Suss-Aktien investiert.
Wie sind die Aussichten für die nächsten Jahre?
Suss‘ Auftragseingang erreichte 2024 dank eines erfolgreichen Schlussspurts 423 Mio. €, ein Miniplus von 0,8% gegenüber 2023. Der Auftragsbestand am Jahresende von 428 Mio. € deckt den für 2025 geplanten Umsatz bereits grossteils ab.
Suss rechnet für die Sparte Advanced Backend Solutions für 2025 mit einem Umsatzanstieg im mittleren einstelligen Prozentbereich. Das Stammgeschäft mit Maschinen zur Herstellung und Reinigung von Fotomasken, die im Frontend zur fehlerfreien Belichtung von Siliziumscheiben etwa in den Lithografiemaschinen von ASML eingesetzt werden, soll 10 bis 20% mehr Umsatz erwirtschaften. In dieser Nische hat Suss 85% Marktanteil im High-End-Segment.
Nach Ende des KI-Booms haben sich die Lieferzeiten der meisten Suss-Anlagen für das Backend – das Trennen, Montieren und Verpacken der Chips – wieder auf sechs Monate normalisiert. Einzige Ausnahme sind die für 2025 ausverkauften UV-Projektionsscanner. Bei den anderen Anlagen ist es für Chiphersteller also unnötig, länger im Voraus zu bestellen. Quartale mit schwachem Auftragseingang sind insofern kein klares Indiz für den Umsatz für 2026 und darüber hinaus.
Während UBS-Analystin Jenkins seit Monaten schreibt, sie sehe im aktuellen Marktumfeld das Risiko von Verschiebungen, hat Suss nach Angaben ihres Investor-Relations-Chefs Sven Köpsel bisher keine Verschiebungen oder Stornierungen verzeichnet.
Stattdessen weitet Suss-Kunde Micron seine HBM-Kapazität insbesondere für Nvidia mit einer neuen Fabrik in Singapur aus, die 2026 die Produktion aufnehmen soll. «Da sind wir mit hoher Wahrscheinlichkeit dabei», sagt Köpsel.
UBS-Analystin Jenkins verweist auf Prognosen ihres hauseigenen asiatischen Tech-Teams, wonach TSMC den Zubau von HBM-Produktionskapazität in der «CoWoS»-Fertigungstechnik (Chip on Wafer on Substrate) 2025 und 2026 verlangsamen wird. Köpsel sagt: «Kurz- und mittelfristig bleibt die Nachfrage nach unseren Lösungen für den CoWoS-Prozess hoch.»
Die UBS-Analysten erwarten, dass TSMC für Nvidias nächste «Rubin»-GPU-Generation ab 2026 nicht mehr auf CoWoS, sondern auf SoIC (System-on-Integrated Chip) mit hybridem Bonden setzt. Beim Hybrid Bonding werden noch mehr Speicherchips übereinandergestapelt, indem sie noch dünner geschliffen werden und ohne Lötstellen aufeinandergelegt haften.
Wie schnell die Umstellung auf SoIC und hybrides Bonden kommen wird, darüber streiten Experten, zumal diese Produktionstechnik sehr teuer ist. Die Research-Firma Yole Group rechnet damit, dass dies erst mit der übernächsten HBM-Generation 2029 der Fall sein wird. Der weitaus grösste Anbieter, die niederländische BE Semiconductor Industries, meldete allerdings gestern Aufträge von zwei Speicherchipherstellern für Anlagen zum hybriden Bonden bereits für die nächste HBM-Generation.
Suss will zur Jahresmitte ihre erste Maschine fürs hybride Bonden auf den Markt bringen, wobei diese bei der Geschwindigkeit noch hinterherhinkt. Philipp Struwe, Fondsmanager bei Metzler Asset Management, rechnet damit, dass die Penetration des hybriden Bonden noch länger dauert, womit Suss den angestrebten Marktanteil von mehr als 10% erreichen könnte. Zudem steigt Suss ab 2027 ins Geschäft mit Maschinen zur Reinigung von Wafern ein.
All dies werde, schätzt auch die Deutsche Bank, Suss in den nächsten Jahren weiteres Wachstum bringen.
Neue Technologien könnten Suss Zusatzumsatz bringen
«Was die langfristigen Perspektiven angeht, sehe ich keinen Grund zur Sorge bei Suss», sagt Metzler-Fondsmanager Struwe. Dies werde ein Kapitalmarkttag im November zeigen, bei dem Suss ihre neuen Technologien vorstellen wird. Geplant ist, 2026 vier bis fünf neue Produktgenerationen auf den Markt zu bringen. Diese sollen dank geringerer Komplexität höhere Margen ermöglichen.
«Mittelfristig ist unsere Ambition, das für 2025 erwartete Margenniveau von 15 bis 17% zu übertreffen», sagt IR-Chef Köpsel. «Wir bereiten das Unternehmen auf weiteres Wachstum vor.»
Suss› Bilanz ist stark mit 123 Mio. € Nettoliquidität per Ende 2024. Der freie Cashflow aus fortgeführten Aktivitäten wurde 2024 auf 25,3 Mio. € mehr als verdreifacht. Die Kapitalrendite blieb in der Historie zwar meist hinter den Kapitalkosten zurück, machte aber zuletzt Fortschritte.
Aus Sicht von The Market spricht einiges dafür, dass der Kursverfall übertrieben ist – und das niedrige Kursniveau eine Kaufgelegenheit darstellt. Allerdings nur für Anleger mit guten Nerven und einem langem Atem.