Für AHV-Bezüger mit Kindern im Unterstützungsalter soll es künftig keine Kinderzulagen mehr geben. Bedürftige sollen dafür mehr Ergänzungsleistungen erhalten.
Ein Franken Verlust schmerzt etwa doppelt so stark, wie ein Franken Gewinn Freude bereitet. Das zeigt die internationale Forschung. Die Schweizer Politik liefert oft Belege für diese Asymmetrie der menschlichen Psyche: Zusatzsubventionen kommen viel einfacher durch als Einsparungen.
Besonders ausgeprägt gilt dies für die AHV. Die jährlichen Bundessubventionen für die AHV werden laut Schätzungen in den nächsten zehn Jahren selbst ohne Gesetzesänderung um etwa 5 Milliarden Franken steigen. Am vergangenen Sonntag hat das Volk zudem einen Rentenausbau mit jährlichen Zusatzkosten für die AHV von etwa 4 bis 6 Milliarden Franken beschlossen. Die Erhöhung des Rentenalters, welche die jährlichen AHV-Ausgaben innert zehn Jahren um etwa 2 Milliarden Franken reduziert hätte, lehnten dagegen drei Viertel der Urnengänger ab.
Nur mit Begleitmassnahmen
Trotzdem wagen bürgerliche Politiker wieder einen Versuch zu Einsparungen bei der AHV. Es geht mittelfristig um etwas über 200 Millionen Franken. Angesichts der jährlichen Zunahme der AHV-Ausgaben von über einer Milliarde Franken nur schon auf Basis des geltenden Rechts wäre das wenig, doch schon dies stösst auf Widerstand. Den Versuch startete die Sozialkommission des Nationalrats zu Beginn dieses Jahres – mit einer Motion zur Abschaffung der Kinderzulagen für Altersrentner in der AHV und der beruflichen Vorsorge. Die Samthandschuhe durften dabei allerdings nicht fehlen: Die Reform würde nur neue Fälle betreffen, und im Gegenzug wären die Ergänzungsleistungen für Altersrentner mit Kindern im Unterstützungsalter auszubauen.
Nach geltendem Recht haben Altersrentner mit Kindern, die minderjährig sind oder im Alter 18 bis 25 noch in der Erstausbildung stecken, Anspruch auf eine Kinderzulage (oft «Kinderrente» genannt, obwohl nicht die Kinder die Rente bekommen). Diese Kinderzulage beträgt im Grundsatz 40 Prozent der Altersrente der Betroffenen. 2022 bezogen gut 31 000 Altersrentner eine solche Zulage. Über 90 Prozent davon sind Männer, weil aus biologischen Gründen vor allem Männer im fortgeschrittenen Alter noch Kinder bekommen. Die Kosten für die AHV beliefen sich 2022 auf knapp 240 Millionen Franken; etwa ein Sechstel dieser Summe floss ins Ausland. Die mittlere Kinderzulage betrug rund 7600 Franken pro Jahr.
Zielfernrohr statt Giesskanne
Kinderzulagen für Altersrentner sind eine Giesskanne, weil Arme und Reiche Anspruch haben; Personen mit höheren AHV-Renten erhalten sogar höhere Zulagen als solche mit tieferen Renten. Eine Studie des Berner Büros Bass hatte 2019 im Auftrag des Bundes die wirtschaftliche Lage der Altersrentner mit Kinderzulagen untersucht. Die Studie berücksichtigte nicht nur die Einkommen, sondern zählte auch 5 Prozent des «rasch verfügbaren» Vermögens zum Einkommen dazu. Nicht berücksichtigt waren damit aber potenziell bedeutende Vermögen in Immobilien. Rentner besitzen häufiger Immobilien als junge Familien, was den Vergleich in der besagten Studie erheblich verzerren dürfte.
Der Befund der Untersuchung war durchwachsen: Die Bezüger von Kinderzulagen im AHV-Alter sind im Mittel ärmer als Erwerbstätige mit Kindern, aber längst nicht in allen Fällen wäre die Kinderzulage nötig. Die Studie beruht auf Daten für 2015. Das mittlere Einkommen der Rentnerhaushalte mit Kinderzulage belief sich gemäss der Studie umgerechnet auf einen Haushalt mit einer Person («Äquivalenzeinkommen») auf knapp 55 500 Franken. Dies war in der gleichen Grössenordnung wie das Einkommen von Personen im Erwerbsalter mit Kindern.
Mit einem Wegfall der Kinderzulage für Rentnerhaushalte in der AHV und der beruflichen Vorsorge würden deren Einkommen um durchschnittlich etwa 8500 Franken sinken. Die Quote der Armutsgefährdung (definiert als Einkommen unter 60 Prozent des mittleren Einkommens) würde laut den Schätzungen von etwa 24 auf 35 Prozent steigen. Bei den Erwerbshaushalten mit Kindern im Unterstützungsalter lag diese Quote bei etwa 16 Prozent.
Klassische Links-rechts-Front
Wegen der befürchteten Zunahme der Armutsgefährdung lehnt der Bundesrat die Motion zur Abschaffung der Kinderzulage für Altersrentner ab. Der Nationalrat hat aber am Donnerstag den Vorstoss mit 117 zu 62 Stimmen bei 8 Enthaltungen angenommen. Die Bürgerlichen und die Grünliberalen waren grossenteils dafür, während der Linksblock geschlossen Nein stimmte.
Der Walliser Mitte-Nationalrat Benjamin Roduit brachte als Sprecher der Sozialkommission diverse Begründungen für die Abschaffung vor: Die Kosten für die Kinderzulagen seien stark gestiegen; manche dieser Zulagen flössen ins Ausland («speziell nach Thailand»); Gutsituierte erhielten höhere Zulagen als Ärmere; die Kinderzulage diskriminiere jüngere Familien sowie Frauen; für die Bedürftigen sei eine Kompensation durch den Ausbau der Ergänzungsleistungen vorgesehen.
Die Kritik der Linken fasste die Zuger Nationalrätin Manuela Weichelt (Grüne) zusammen: Der geplante Abbau stehe im Widerspruch zum Volksentscheid vom letzten Sonntag für höhere AHV-Renten; die Erzählung, wonach ältere Schweizer in Thailand Kinder zeugten, um höhere Renten zu erhalten, sei «absurd», da mehr als 70 Prozent der unterstützten Kinder in der Schweiz lebten; der Wegfall der Kinderzulage würde die Armutsgefährdung stark erhöhen; der Abbau ginge zulasten der Kinder.
Ins Auge springt wie so oft bei der Altersvorsorge das opportunistische Vorschieben des Geschlechterthemas. Die Linke, die jeden AHV-Ausbau gerne auch mit der Unterstützung von Frauen begründet, erwähnt das Frauenthema lieber nicht, wenn es um die Abschaffung einer Leistung geht, die vor allem Männer beziehen. Hingegen werfen die Bürgerlichen das Frauenargument gerne in die Waagschale, wenn es bei der Begründung einer Leistungsreduktion hilft. Appetitlich ist das Ganze nicht, doch so läuft Politik.
Mehr Geld für Bedürftige
Wer bedürftig ist, hat von der Abschaffung der Kinderzulage wenig zu befürchten. Mit dem Wegfall der Kinderzulagen würde das anrechenbare Einkommen sinken und damit im Gegenzug der Anspruch auf Ergänzungsleistungen entsprechend steigen. Gemäss der erwähnten Bass-Studie bezogen im Untersuchungsjahr 2015 total 13,6 Prozent der Rentnerhaushalte mit Kinderzulagen Ergänzungsleistungen. Diese Quote würde laut Schätzung der Studie mit dem Wegfall der Kinderzulagen auf 16,6 Prozent steigen; dies liegt etwas über der Quote der Gesamtbevölkerung (12,5 Prozent).
Die vom Parlamentsvorstoss geforderte Zusatzunterstützung bedürftiger Rentner mit Kindern brächte eine weitere Zunahme der Ergänzungsleistungen. Das Ausmass ist noch undefiniert.
Die Kinderzulagen werden noch einiges zu reden geben. Nach dem Ja des Nationalrats geht die Abschaffungsmotion nun in den Ständerat. Stimmt auch dieser zu, muss der Bundesrat ein konkretes Gesetzesprojekt bringen. Und dann wird die Debatte von neuem losgehen.