Der eine ist 16 Jahre alt, der andere 17, gemeinsam verblüffen sie in der Champions League. Der FC Barcelona ist stolz auf seine Youngsters, sorgt sich aber um die Schattenseiten ihres Aufstiegs.
Kürzlich stellte der FC Barcelona seine neue Streaming-Plattform vor. Zur Präsentation im Souterrain des Torre Glòries waren auch die Spieler der ersten Mannschaft einbestellt; in Gruppen defilierten sie durch das Scheinwerferlicht zum Photocall, mit extra schillernden Frisuren die einen, im selbstverständlichen Habitus jahrelanger Prominenz die anderen.
Nur einige wirkten ein bisschen verloren inmitten des ganzen Glamours, der Junge im schwarzen Sweatshirt etwa, mit dem kindlichen Gesicht und dem staunenden Lächeln. Pau Cubarsí ist ja erst 17 Jahre alt.
2 – Barcelona are the first team in Champions League history to start two players aged 17 or under in a Champions League knockout stage game: Lamine Yamal (16 years and 243 days) and Pau Cubarsí (17 years and 50 days). Courage. pic.twitter.com/Fibw9gbEjp
— OptaJose (@OptaJose) March 12, 2024
Vergleiche mit den Allergrössten
Auf dem Platz freilich, da wirkt der Innenverteidiger aus dem 195-Einwohner-Dorf Estanyol manchmal schon wie ein ausgewachsener Franz Beckenbauer – so ein Vergleich seines Teamkollegen João Cancelo nach den ersten Einsätzen im Winter.
Cubarsí spielte im Herbst noch an der U-17-WM. Ende Januar debütierte er in Barças erster Mannschaft. Nach der ersten Champions-League-Partie wurde er im März gegen Neapel von der Uefa zum «Man of the Match» ernannt. Und beim 3:2 in der vergangenen Woche im Viertelfinal-Hinspiel bei Paris Saint-Germain verblüffte er erneut die Fussballwelt – mit seinen Pässen, dem Stellungsspiel, der Übersicht.
«Wir haben es mit einem Fussballer zu tun, der eine Epoche markieren wird», sagt vor dem Rückspiel am Dienstag sein Trainer Xavi Hernández, der sich mit hauseigenen Talenten auskennt – er war einst ja selbst in La Masia, dem Klubnachwuchs. Jemanden wie Cubarsí hat aber auch Xavi noch nicht gesehen. Zumal seine Position nicht gerade als Spielwiese für Frühreife gilt: ein Abspielfehler, ein verlorener Zweikampf, eine verpasste Finte des Stürmers – schon grüsst der Innenverteidiger traurig von allen Zeitungsfotos.
Carles Puyol und Gerard Piqué etwa, die Innenverteidiger des legendären Barça-Teams um Xavi, waren längst über 20 Jahre alt, als sie sich fest etablierten. Cubarsí jedoch wirkt schon jetzt wie die Mischung aus seinen zwei Vorbildern, er strahlt die Eleganz Piqués aus und hat die Präsenz Puyols. Ein erfahrener Positionskollege, wie der Cádiz-Profi Fali vom letzten Gegner in der Liga (0:1 für Barcelona am Samstag) schwärmt: «Ich bin selbst Innenverteidiger und sterbe für so etwas: Es ist wundervoll, so einen zentralen Abwehrspieler zu sehen.»
Alle reden über Cubarsí – wenn sie gerade nicht über Lamine Yamal sprechen. Der ist nochmals ein Jahr jünger, trägt Zahnspange und ist ebenfalls Stammspieler bei Barça. Zwar spielt er als Flügelstürmer auf einer Position, auf der Youngster eher mal früh reüssieren. Aber so früh?
Der im nahen Mataró aufgewachsene Sohn eines marokkanischen Vaters und einer äquatorialguineischen Mutter ist unter anderem der jüngste Torschütze in der Geschichte von La Liga und der spanischen Nationalmannschaft. Mit seinen Dribblings, seiner Phantasie und seiner Improvisationskunst kann er Partien im Alleingang entscheiden. Manche seiner Aktionen erinnern an den jungen Lionel Messi, der wie Yamal ein Linksfuss ist, auch wenn Xavi die gelegentlichen Vergleiche abwehrt: «Die hat noch jeder Spieler verloren.»
Im Hinspiel in Paris am vergangenen Mittwoch assistierte Yamal zum Führungstreffer von Raphinha, zuvor war er vom mehr als doppelt so alten Robert Lewandowski bedient worden, den wiederum Cubarsí angespielt hatte. Von Lewandowski kam kürzlich aber auch eine Mahnung: «Der Druck, unter den sie gesetzt werden, ist enorm», sagte er im polnischen Fernsehen: «Mal sehen, ob diese Spieler mental zehn, zwölf oder mehr Jahre aushalten.»
Yamal erfuhr letzte Woche von den Schattenseiten der Prominenz, als im spanischen TV seine Herkunft aus einem bescheidenen Viertel Matarós vom argentinischen Experten Germán Burgos zum Anlass für eine Diskriminierung genommen wurde. Der frühere Profi sagte: «Vorsicht, wenn die Karriere nicht gut läuft, endet er an einer Strassenampel.» Barça reagierte prompt und verweigerte – wie auch PSG – dem übertragenden Sender die üblichen Interviews nach dem Spiel.
Im FC Barcelona hat Yamals Schutz oberste Priorität. Die Klubverantwortlichen wissen nur allzu gut, dass es für jeden Messi auch einen Bojan Krkic gibt – der einst als nächstes Wunderkind gefeierte Stürmer konnte wegen Depressionen sein Potenzial nie voll entfalten. Oder einen Ansu Fati – der Angreifer, der 2019 mit 17 Jahren und 40 Tagen zum jüngsten Torschützen der Champions League avancierte und bald Messis Nummer 10 erbte, wurde seither von einer Verletzung nach der anderen geplagt. Momentan ist er an den englischen Klub Brighton ausgeliehen und mässig erfolgreich.
Die Begehrlichkeiten des Verbands bereiten dem Klub Sorgen
Und so könnte Barça zwar einerseits vor Stolz auf seine einmalige Jugendarbeit platzen. Mit Yamal, Cubarsí und Gavi kommen die drei jüngsten spanischen Nationalspieler der Geschichte aus La Masia. Andererseits bereiten die Begehrlichkeiten des Verbandes dem Verein grosse Sorgen. Der Antreiber Gavi, 19, riss sich im Herbst während eines bedeutungslosen EM-Qualifikationsspiels das Kreuzband. Allzu gegenwärtig sind überdies die Erinnerungen an den Fall Pedri. Der Mittelfeldkünstler musste 2021 als 18-Jähriger nach einer langen Saison sowohl die EM als auch die Olympischen Spiele durchspielen. Seither hangelt auch er sich von Verletzung zu Verletzung.
Spanien schreibt unter der Androhung von Berufsverboten eine gesetzliche Abstellungspflicht für Sportauswahlen vor, die auch für die Olympischen Spiele gilt – obwohl der Weltfussballverband Fifa die Spiele ausdrücklich von dieser Pflicht ausnimmt. Bei Barça hofft man nun inständig auf Vernunft und Verantwortungsgefühl der Auswahltrainer.
Besonders Yamals Bänder und Sehnen befinden sich noch in Entwicklung; im Klub werden seine Einsatzzeiten daher penibel dosiert. In Cádiz spielte er nur wenige Minuten. Mit 16 Jahren sind seine Bühne bereits Matches wie am Dienstag gegen PSG.
Los debutantes más jóvenes de la historia de la @sefutbol:
🥇 Lamine Yamal: 16 años y 57 días
🥈 Pau Cubarsí: 17 años y 60 días
🥉 Gavi: 17 años y 62 días💎 #MadeInLaMasia pic.twitter.com/nJL13EigXF
— FC Barcelona (@FCBarcelona_es) March 23, 2024