Der neue Konzernchef beseitigt rasch die Krisenherde des Unternehmens. Das Ziel einer US-Kotierung rückt näher. Die geringe Bewertung ruft US-Investoren auf den Plan.
Zuerst wird es schlimmer, bevor es besser wird. Bei Landis + Gyr (L+G) wird es besser.
Das Schweizer Traditionsunternehmen hat vergangene Woche drastische Schritte eingeleitet. Vielleicht fielen sie in ihrem Ausmass unerwartet aus, aber sie sind konsequent, was die Neuausrichtung betrifft, und erhöhen die Wahrscheinlichkeit, dass L+G endlich Wert für die Aktionäre schafft.
E-Auto-Ladegeschäft wird Stecker gezogen
Das Geschäft mit Ladestationen für Elektrofahrzeuge wird per sofort eingestellt und abgewickelt. Es gehöre nicht zum Kerngeschäft des Herstellers von Strom-, Wasser- und Gaszählern und habe die Erwartungen nicht erfüllt, lautet die Begründung.
Die Aktivitäten waren ein Steckenpferd des vormaligen Konzernchefs Werner Lieberherr. Sie drohten zu einer notorischen Verlustquelle zu werden und haben wohl zum beschleunigten Abgang des L+G-Chefs geführt. Nach gut viereinhalbjähriger Amtszeit wurde Lieberherr im November 2024 über Nacht – ohne die übliche Erwähnung der Verdienste – durch das Verwaltungsratsmitglied Peter Mainz ersetzt.
Ins Ladegeschäft ist L+G vor vier Jahren durch eine Beteiligung am slowenischen Hersteller Etrel eingestiegen. Statt einer Skalierung und steigender Margen hat es bisher aber nur rote Zahlen geschrieben. Nach einem Verlust von 10 Mio. $ (bei 20 Mio. $ Umsatz) im Vorjahr werde der Fehlbetrag im Fiskaljahr 2024 (per Ende März 2025) noch höher ausfallen, heisst es nun.
Übrigens: Ähnlich unerfreuliche Erfahrungen macht derzeit der Elektrotechnikkonzern ABB. Er hat jedoch das Glück, seine defizitär gewordene E-Mobility-Sparte mit der Absicht eines Börsengangs bereits separiert und externe Kapitalgeber gefunden zu haben. Diese Geduld kann sich L+G nicht leisten.
Wie schlecht es um die aufgegebenen Aktivitäten bestellt ist, zeigt sich daran, dass die Suche nach einem Käufer schon gar nicht in Erwägung gezogen wurde. Ende März wird Schluss sein, rund 200 Arbeitsplätze gehen verloren.
Dieses Fiasko erklärt wohl auch, weshalb Lieberherr nicht in den Verwaltungsrat nachrückt. Stattdessen wird sich mit ihm auch Verwaltungsratspräsident Andreas Umbach, der 25 Jahre für das Unternehmen tätig war, verabschieden.
An der bevorstehenden Generalversammlung am 25. Juni wird er sich nicht zur Wiederwahl stellen. Dann kann also endgültig ein Strich unter die «alte» L+G gezogen werden. Ihr Leistungsausweis seit der Rückkehr an die Börse im Sommer 2017 ist eine Tragödie und kein Ruhmesblatt für die Verantwortlichen.
Ende mit Schrecken wird bevorzugt
Der in der Vergangenheit eher zögerlich und risikoavers wirkende Verwaltungsrat entschied sich dieses Mal für eine Radikalkur und gab dem neuen österreichischen Konzernchef freie Hand. Bei einem umfangreichen Managementwechsel ist der Zeitpunkt jeweils ideal, alle anstehenden Krisenherde auf einen Schlag zu beseitigen und den Schaden den Vorgängern anzulasten. Genau das macht die L+G-Führung.
Die mit dem Ausstieg aus dem Ladegeschäft zusammenhängenden Restrukturierungskosten (35 bis 45 Mio. $) und Goodwillabschreibungen (100 Mio. $) werden das Ergebnis des Unternehmens im Fiskaljahr 2024 (per Ende März 2025) in die roten Zahlen drücken. Doch das operative Geschäft entwickelte sich ebenfalls schwächer, als bisher versprochen wurde. Auch das wirft kein gutes Licht auf die frühere Führungscrew. Der Umsatz werde voraussichtlich um 8% zurückgehen und die bereinigte Ebitda-Marge bei nur noch 10% liegen. Zuvor wurden ein einstelliges Wachstum sowie eine Marge von 11 bis 13% versprochen.
Investoren und Analysten wurden von der Gewinnwarnung auf dem falschen Fuss erwischt. Noch wenige Wochen zuvor habe das Management die Prognose an der Investorenkonferenz bestätigt, monierte Baader-Helvea-Analystin Zana Mamelli.
Die Aktien von L+G gingen nach der Publikation der Warnung mit einem Tagesverlust von fast 22% aus dem Handel. Damit ist der Kurs wieder unter 50 Fr. gerutscht – zum dritten Mal seit dem Börsengang 2017.
«Kitchen-Sinking»
So düster die derzeitige Lage erscheinen mag, so erfolgversprechend bleibt der Weg, den das Unternehmen nun einschlägt. Die fragmentierte und stets nur mässig rentable Region Emea (Europa, Nahost, Afrika) ist ohne die Verlustquelle Ladestationen bereit für einen Verkauf. Mittlerweile wächst das Emea-Geschäft immerhin wieder. Wegen der Flaute in Grossbritannien und in der Türkei wird diese Region für das Fiskaljahr 2024 indes einen rückläufigen Umsatz zeigen.
Der Verkaufsprozess für Emea laufe, erste Interessenten aus dem Bereich Private Equity hätten sich bereits gemeldet, hört man. Auch der Name des französischen Mitbewerbers Sagemcom wird genannt. Viel Geld wird L+G mit dem Verkauf nicht lösen. Doch selbst bei einem bescheidenen Verkaufserlös sollte unter dem Strich ein Zustupf bleiben, denn die grössten Goodwillabschreiber werden dem laufenden Geschäftsjahr angelastet.
Laut Mainz komme es «ganz sicher noch 2025» zu einem Vertragsabschluss für das Emea-Geschäft. Das ist die Voraussetzung, um den nächsten Schritt zu tun: die Kotierung an einer amerikanischen Börse. Weil dies ein anspruchsvolles Prozedere ist, dürfte es nicht vor 2026 machbar sein.
Seit Jahrzehnten verdient L+G ihr Geld vor allem in Nordamerika. Rund 80% des operativen Konzerngewinns werden in der Region Americas erwirtschaftet, in der auch die Aktivitäten in Kanada, Südamerika und Japan gebündelt sind. In Nordamerika ist der Bedarf an intelligenten Energiemanagementlösungen grösser, die Konkurrenz hingegen geringer. Weil die Amerikaner ihre Stromnetze als kritische Infrastruktur und im öffentlichen Interesse betrachten, ist chinesischen Billiganbietern der Marktzugang verwehrt. Die üblicherweise geringeren Margen in Europa werden von Marktbeobachtern damit erklärt, dass auf dem Alten Kontinent die Versorger gerne die günstigeren Geräte aus Asien wählen, falls sie das dürfen.
Die jüngste Kurseinbusse des ähnlich grossen Hauptkonkurrenten Itron in den USA deutet darauf hin, dass die im Vergleich zu früher etwas dünneren Margen in Nordamerika kein rein unternehmensinternes Problem von L+G sind. Itron erzielt rund 80% der Einnahmen im Heimmarkt.
Doch auch in den USA ist für L+G nicht alles rosig. Mit dem Produktionsstandort Mexiko sind die Schweizer ein potenzielles Opfer von Strafzöllen. Gegenüber dem Vorjahr wird der Umsatz in der Region Americas zwar geringer ausfallen, weil das wegen der Pandemie ins Fiskaljahr 2023 verschobene Zusatzgeschäft im Umfang von rund 120 Mio. $ eine überhöhte Vergleichsbasis schafft. Bereinigt um diesen Effekt sei der Umsatz aber «im niedrigen einstelligen Prozentbereich» gewachsen, heisst es.
Bereits amerikanisiert
In vielen Belangen ist L+G schon sehr amerikanisiert. Sie rapportiert in Dollar, und die Rechnungslegung orientiert sich an US-GAAP-Richtlinien. Die neuen Führungskräfte kennen den US-Markt sehr gut. Konzernchef Mainz sass einst im Verwaltungsrat des Hauptkonkurrenten Itron, er hat langjährige operative Erfahrung beim Smart-Meter-Hersteller Sensus sowie einen MBA der Texas A&M University. Mit Jahrgang 1964 dürfte er jedoch nur eine Übergangslösung sein.
Mit Audrey Zibelman wird ab Juni zudem eine Amerikanerin den Verwaltungsrat präsidieren. Ihre Branchenkenntnisse sind umfassend und ihr Leistungsausweis vorzüglich. Jetzt fehlt nur noch ein Nachfolger oder eine Nachfolgerin für Finanzchefin Elodie Carr-Cingari. Ihr Abgang wurde schon im Oktober 2024 angekündigt; spätestens im Juli wird sie ihr neues Amt beim Stäfner Hörsystemhersteller Sonova antreten.
Bewertungsunterschied sollte sich angleichen
Allein mit einer Kotierung in den USA sollte sich der notorisch grosse Bewertungsunterschied zwischen Itron und L+G schliessen, denn die beiden Unternehmen haben viele Gemeinsamkeiten und sind sich grössenmässig ebenbürtig. Auf Basis des für die Kalenderjahre 2024 und 2025 geschätzten Gewinns sind die Itron-Aktien mit einem Kurs-Gewinn-Verhältnis (KGV) von 18 und 20 bewertet. Bei L+G sind es lediglich 13 bzw. 12.
Was jedoch die Kapitalrenditen betrifft, konnten bisher beide Unternehmen wenig glänzen. Da liegt sicher mehr drin.
Mit einer US-Kotierung wird sich jedoch auch der Charakter der L+G-Aktien verändern. Als 2017 der Entscheid zulasten einer US-Kotierung und zugunsten der SIX Swiss Exchange fiel, wurden sie als Dividendenwerte angepriesen und steigende Ausschüttungen versprochen. Nur die Pandemie machte diesem Versprechen einen Strich durch die Rechnung. Seither steigt die Dividende wieder und sollte es nach Einschätzung der Analysten auch künftig tun. Das ist mit ein Grund, weshalb sich L+G als Opportunitätsposition im Dividendenportfolio von The Market befindet.
Unter der Annahme einer gemäss Konsensschätzungen leicht höheren Dividende von 2.40 Fr./Aktie ergibt sich derzeit eine hohe Rendite von 4,8%.
Bald kein Dividendenwert mehr
Doch die Zeiten generöser Ausschüttungen werden wohl bald vorüber sein. Mit Blick auf Itron, die noch nie eine Dividende gezahlt hat, dürfte L+G ihre Dividendenstrategie überarbeiten, wenn sie sich in den USA kotieren lässt. In diesem Sektor erwarten US-Investoren keine hohen Ausschüttungen, sondern bevorzugen es, die Mittel für die Beschleunigung des Wachstums einzusetzen.
Für eine Doppelkotierung in den USA und in der Schweiz wird die Rest-L+G zu klein sein. Entscheidend wird sein, in möglichst vielen US-Indizes vertreten zu sein. Bei Itron sollen sich rund 30% der Aktien bei Indexinvestoren befinden.
Ganz muss L+G ihre Zelte in der Schweiz nicht abbrechen. Denkbar ist es, das Steuerdomizil in Zug zu behalten und nur den operativen Hauptsitz in die USA zu verlegen, also das Beste beider Welten mitzunehmen.
Doch all diese Überlegungen scheinen die Investoren derzeit wenig zu begeistern. Seit der Ankündigung der strategischen Neuausrichtung Ende Oktober ist der Aktienkurs um rund ein Drittel eingebrochen. Mittlerweile liegt die Bewertung auf einem Tiefpunkt. Das hat L+G auf den Radar von US-Fonds gebracht. Am Markt heisst es, sie seien daran, grössere Positionen aufzubauen. Im Kurs spiegelt sich das noch nicht. Wer es sich leisten mag und der neuen Führungscrew Vertrauen schenkt, kann schon jetzt einen Einstieg wagen.
Vorsichtigere Gemüter sollten die Publikation des Jahresresultats 2024 am 8. Mai abwarten. Der Konzernchef behauptet, in den USA seien keine Aufträge verloren gegangen. Die dortige Book to Bill Ratio, also das Verhältnis von Auftragseingang zu Umsatz, sei «sehr positiv», sagte er an der letztwöchigen Telefonkonferenz. Für den nüchtern und weniger enthusiastisch als sein Vorgänger auftretenden Mainz ist das eine starke Aussage.
Nun liegt es an ihm, das zweifellos vorhandene Potenzial des Unternehmens auszuschöpfen.