Es wäre schon cool zu wissen, ob man 80 Jahre alt werden kann. Oder ist es vielleicht doch besser, das Ende im Ungewissen zu lassen?
Es tönt verlockend: einen kurzen Test machen – und schon weiss ich, wie lange ich noch lebe. Das ist jetzt zwar noch nicht meine Hauptsorge, aber cool wäre es natürlich schon zu wissen, ob man voraussichtlich die 80 erreicht.
Also, auf geht’s. So ein Test wurden kürzlich von der Forschergruppe um Ulman Lindenberger vom Max-Planck-Zentrum für Altersforschung in Berlin sowie Kollegen aus Genf und Colorado präsentiert, zusammen mit den Ergebnissen von über fünfhundert Probanden.
Tiere und Wörter mit S aufzählen
Aufgabe 1: Zählen Sie innert 90 Sekunden so viele Tiere auf, wie Ihnen einfallen. Völlig egal, ob exotische Wüstenbewohner oder kuschelige Haustiere. Ameise, Bison, Kobra, Zebra – ich wähle lauter kurze Namen, dann bekomme ich mehr Tiere unter.
Vermutlich bin ich keine neutrale Versuchsperson. Als Biologin und Wissenschaftsjournalistin beschäftige ich mich regelmässig mit Tierstudien. Ich habe es daher mit Werkzeugen als Wörtern probiert. Ehrlich gesagt, ganz so üppig sprudelte es da nicht.
Aufgabe 2: Zählen Sie innert 90 Sekunden lauter Wörter auf, die mit S beginnen. Sonne, Schauer, Schlamm, Schlinge, schlottern – ups, zählen Verben überhaupt?
Das Ergebnis: Jedes genannte Tier reduzierte mein Sterberisiko um gut 5 Prozent. Jedes S-Wort um mehr als 3 Prozent. So schreiben es die Forscher in ihrer Veröffentlichung.
Aber was heisst das nun konkret? Dazu müsste ich wissen, wie hoch derzeit mein Sterberisiko ist. Das hängt von vielen Faktoren ab: Gewicht, Blutwerten, familiären Belastungen, Krankheiten, akuten wie vergangenen (und auch jenen, die ich noch gar nicht bemerkt habe).
Netterweise liefert die Studie weitere Zahlen zur Einordnung. Die Probanden, die 11 Tiere oder 7 S-Wörter nennen konnten, lebten noch 3 Jahre. Waren den Menschen hingegen 33 Tiere oder 22 S-Wörter eingefallen, konnten sie auf 12 weitere Lebensjahre hoffen.
Der Unterschied ist erstaunlich. Aber ich bin Mitte 50. Und keine 70 zu werden, das finde ich jetzt keine Superaussicht. Wie immer im Leben muss man aufs Kleingedruckte achten. Für die Studie wurden nämlich ausschliesslich Menschen ab 70 regelmässig alle zweieinhalb Jahre bis zu ihrem Tod befragt. Es sei nicht klar, welche Aussagekraft die Tests bei Jüngeren hätten, betonen die Autoren. Zudem müssten nun die Ergebnisse in anderen Studien mit anderen Teilnehmern bestätigt werden.
Simple Aufgabe – komplexe Gehirnaktivität
Ob sich die Ergebnisse verallgemeinern lassen, ist also noch unklar. Aber die Tests sind doch mehr als nur eine nette, spielerische Aufgabe.
Denn die Wortübungen seien für unser Gehirn gar nicht so simpel, wie sie erschienen, schreiben die Forscher. Bei beiden Aufgaben müssen Wörter aus dem Gedächtnis aktiviert und vor dem Sagen daraufhin überprüft werden, ob sie zur gestellten Aufgabe passen. Sie müssen korrekt aufgesagt werden, ohne dass man zwischendurch ein Phantasiewort einstreut. Dafür müssen verschiedene Gehirnareale interagieren. Aus früheren Studien ist bekannt, dass Menschen, deren Gehirne solche Aufgaben gut meistern, länger leben – wenn nicht ein Herzinfarkt dazwischenkommt.
Wenn mir diese beiden Worttests nun doch nicht die mir verbleibende Lebenszeit verraten, ist das vielleicht ganz gut so. Je länger ich darüber nachdenke, desto besser finde ich es, das Ende im Ungewissen zu lassen. Aber ich werde nun noch intensiver dafür sorgen, dass mein Hirn regelmässig mit anspruchsvollen Aufgaben beschäftigt ist.