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Vor 20 Jahren startete Google mit 2 Leuten in Zürich, heute sind es 5000. Und der Ausbau geht weiter, sagt die Chefin von Google Schweiz. Das nächste grosse Ding ist KI.
Zu hören ist nur das Brummen der Generatoren. Rund um die Uhr pumpen sie Frischluft in das Bürogebäude an bester Lage am See zwischen Enge und Bürkliplatz. Während mehrerer Jahre wurde es renoviert, nun steht es leer. Dasselbe Bild in der Innenstadt. Auch muss ein Bürotrakt von aussen beatmet werden, damit er nicht von Nässe und Schimmel zerfressen wird.
Die beiden Gebäude haben einen prominenten Mieter: den milliardenschweren Tech-Konzern Google. Ausgerechnet zum 20-Jahre-Jubiläum der Zürcher Dépendance machen die Amerikaner Schlagzeilen mit ihren Geisterbüros. Rund 500 Jobs hat Google letztes Jahr in Zürich in mehreren Abbaurunden gestrichen. Was ist da los? Ist Zürich für den Tech-Giganten zu teuer geworden?
Stellenabbau in Zürich war unvermeidlich
Christine Antlanger-Winter ist seit gut einem Jahr Schweiz-Chefin von Google. Weisse Sneakers, schwarzer Blazer, fester Händedruck: «Christine», stellt sie sich vor. Die Du-Kultur gilt auch in 7871 Kilometern Entfernung von der Zentrale in Kalifornien.
Krisenstimmung? Davon ist bei der gebürtigen Österreicherin nichts zu spüren. Mal abgesehen von Marillenknödeln, vermisst sie nichts in Zürich. Dass der konzernweite Abbau von 12 000 Stellen nicht spurlos an einem grossen Standort wie Zürich vorbeigehe, sei zwar schmerzhaft, aber unvermeidlich. «Dieser ökonomischen Realität müssen wir uns stellen.»
Dass Zürich den Realitätscheck schafft, steht für sie ausser Frage. «Als Entwicklungsstandort ist Zürich einzigartig», sagt Antlanger-Winter. «Mit den weltweit renommierten Hochschulen bietet Zürich eine blühende Technologielandschaft.» Nirgends sonst ausserhalb der USA beschäftigt Google mehr Leute als hier.
Das soll auch so bleiben. Google hat schon seit längerem eine enge Zusammenarbeit mit der ETH. Nun wird diese ausgebaut. Im April soll eine Partnerschaft mit dem ETH AI Center besiegelt werden. Sie sieht einen engeren Austausch zwischen den KI-Spezialisten beider Seiten vor.
Zürich verdankt den Boom einem Baselbieter
Die ETH war ein Schlüsselfaktor dafür, dass Google vor 20 Jahren nach Zürich kam. Oder präziser gesagt: der ETH-Absolvent Urs Hölzle. Der Baselbieter studierte in den 1980er Jahren an der ETH Informatik und machte seinen Doktortitel später an der Universität Stanford.
In Kalifornien lernte er die späteren Google-Gründer Larry Page und Sergey Brin kennen. 1998 stieg Hölzle als Mitarbeiter Nummer acht bei Google ein und wurde der erste Chefingenieur. Als Page und Brin nach einem Standort in Europa suchten, machte ihnen Hölzle Zürich schmackhaft.
2004 bezogen zwei Google-Leute ein Büro am Limmatquai. Vier Jahre später war die Belegschaft gross genug für den Umzug ins Hürlimann-Areal. Heute sind die «Zoogler», wie sich Zürcher Googler nennen, über die halbe Stadt verstreut. «Zürich war die beste Idee, die wir je hatten», sagte Hölzle beim Bezug der Büros in der Sihlpost vor sieben Jahren.
Ganz ungetrübt war die Beziehung zwischen dem Tech-Giganten von der US-Westküste und der Zwingli-Stadt aber nie.
Julien Borel, ein Google-Ingenieur mit Schweizer Hintergrund, mokierte sich 2017 über die Zürcher Manie, bei Arbeitsbewilligungen für Spitzenforscher zu knausern und die Arbeitszeiten kontrollieren zu wollen. «Zürich kommt mir vor wie eine schlecht organisierte Fussballmannschaft», sagte er in einem Interview der «NZZ am Sonntag». «Sie möchten die Champions League gewinnen, wollen aber keine Ausländer im Team. Und sie hören nach 45 Minuten auf zu spielen.»
Zürcher Bürokratie konnte den Ausbau nicht verhindern
Doch Fakt ist: Zum Zeitpunkt von Borels Tirade beschäftigte Google 1500 Leute in Zürich. Heute sind es 5000. Nicht einmal die Schweizer Bürokratie konnte den grossen Ausbau verhindern. Man bekomme heute die Leute, die man brauche, sagt Christine Antlanger-Winter. Mit dem Arbeitsinspektorat habe man keinerlei Probleme.
In jüngster Zeit drehte die Richtung der Kritik. Manche Zürcher sehen die Kalifornier nicht mehr als Importeure von Hipness und Hightech, sondern als Hemmschuh für die eigene Entwicklung. «Google wirbt die besten Schweizer Fachkräfte ab», sagte SP-Nationalrätin und IT-Unternehmerin Jacqueline Badran. «So verhindert die Firma, dass unsere guten Leute eigene Ideen entwickeln und zur Marktreife bringen. Google schadet also der Innovationskraft.»
Die Google-Chefin Antlanger-Winter hat das Interview wohl auch gelesen. «Mit der Grösse kommt ein kritischerer Blick. Das ist ganz normal.» Sie hat aber auch nachgerechnet: «Wir haben auch sehr viel beigetragen zum Standort Zürich und zum Technologie- und Innovationsökosystem. Ehemalige Google-Mitarbeitende haben mehr als 110 Unternehmen mit 1700 Stellen gegründet.»
Die Zusammenarbeit mit der ETH und der EPFL bringe beiden Seiten viel Mehrwert. «Zürich und die Schweiz profitieren davon, dass viele hochtalentierte Menschen hier sind und das Ökosystem bereichern.»
Google wirkte als Magnet für andere Tech-Konzerne
Google saugt also keineswegs nur Talente ab, sondern ist ein Motor für Startups. Bekannte Beispiele von Gründungen durch Ex-Googler sind etwa Daedalean AI, eine Anbieterin von Steuerungsystemen für Flugzeuge und Helikopter, die Online-Werbeagentur Webrepublic, die Marketingfirma Frontify oder der Camper-Vermittler My Camper.
Die Bedeutung von Google für die Schweiz geht aber weit über einzelne Firmen hinaus. Google brachte das Land erst auf die globale Karte der Tech-Industrie. Und löste eine Kettenreaktion aus.
«Vor 20 Jahren befürchteten wir noch, dass die Schweiz den Anschluss bei der IT verpassen wird», sagt Sonja Wollkopf Walt, die Geschäftsführerin der Standortmarketing-Organisation Greater Zurich Area. Das änderte sich mit der Ansiedlung von Google. «Unternehmen sind Herdentiere. Wenn eine Schlüsselfirma kommt, dann folgen weitere», sagt sie.
«In Zürich entstand ein lokaler Talentpool, der eng verzahnt ist mit der ETH und der Universität Zürich und nach wie vor neue Firmen anlockt.» Im Kanton Zürich ist der Tech-Sektor mit gut
60 000 Jobs mittlerweile fast so gross wie der Finanzsektor mit
76 000 Stellen.
In Zürich wird auch an KI geforscht
Die Entwicklung ist nicht abgeschlossen. Mit KI kommt der nächste Schub. «Wir sehen künstliche Intelligenz als ‹Third Big Shift›, die dritte Neuausrichtung der Digitalisierung nach dem Internet und der Verlagerung aufs Mobile», sagt Antlanger-Winter.
Der Suchmaschinengigant steht beim jüngsten Technologiesprung mit generativer KI zwar im Schatten von Microsoft und Open AI. Antlanger-Winter betont aber: «Google hat viele der Basistechnologien entwickelt, auf der die generative künstliche Intelligenz aufbaut.» Auch in Zürich arbeiteten Teams an Gemini, der künstlichen Intelligenz von Google.
Und es kommen weitere Impulse von aussen: Das Boston Dynamics AI Institute hat vor kurzem einen Zürcher Ableger gegründet, und selbst der Chiphersteller Nvidia betreibt ein kleines Forschungszentrum an der Europaallee, seit er im Jahr 2022 ein ETH-Spin-off übernommen hat.
Das ist ein Versprechen für die Zukunft, denn Nvidia ist bis jetzt der mit Abstand grösste Gewinner des KI-Booms. Der Konzern hat ambitionierte Ausbaupläne, auch im Softwarebereich. In Zürich entwickelt er Avatare.
Apple, Microsoft und Meta unterhalten ebenfalls eigene Forschungseinrichtungen. Von den «Magnificent Seven», den sieben US-Tech-Giganten, fehlen einzig Tesla und Amazon. Dafür forschen auch IBM und Disney in Zürich.
«Im Schatten der grossen Firmen blühen zudem Jungunternehmen auf», sagt Sonja Wollkopf Walt von Greater Zurich Area. «Dieses ganze Ökosystem wäre undenkbar, hätte sich Google vor 20 Jahren nicht für Zürich entschieden.»
Google hat aber nicht nur die Schweiz verändert, die Schweiz hat auch den Tech-Giganten ein wenig verändert. «Die Schweiz war das erste Land, in dem wir ein Programm für Lernende gestartet haben», sagt Antlanger-Winter. Mittlerweile wurde es in mehreren Ländern ausgerollt, auch in den USA und in England bietet Google Berufslehren an. «Die Schweiz war die Inspiration dafür.»
Insgesamt schlossen über 100 Jugendliche in Zürich eine Lehre ab, derzeit befinden sich 44 in Ausbildung als Applikationsentwickler oder Interactive Media Designer. Angesichts der Gesamtzahl der von Google beschäftigten IT-Spezialisten ist das zwar bescheiden, «wir arbeiten aber daran, das Angebot weiter auszubauen», sagt Antlanger-Winter.
Google möchte auch in Zukunft zur Entwicklung Zürichs beitragen. Ob und wann die leerstehenden Büros bezogen werden, kann Antlanger-Winter zwar nicht sagen. Doch die Hoffnung besteht, dass die künstliche Beatmung bald gestoppt werden kann und «Zoogler» die Gebäude mit Leben füllen.