The Market zeigt monatlich die Schweizer Unternehmen, die im Fokus der Leerverkäufer stehen. Diese setzen darauf, dass die Aktienkurse sinken werden. Neu auf der Liste sind AMS Osram, Orior und Julius Bär.
Noch Ende Februar war fast jede zweite Aktie von DocMorris ausgeliehen. Damals häuften sich bei der hauptsächlich in Deutschland tätigen Versandapotheke einmal mehr die Sorgen vor einem finanziellen Engpass. Rund zwei Monate später hat sich die Lage vorerst beruhigt – zumindest, was die akute Schuldensituation betrifft: Ein Bankenkonsortium hat das Volumen der Mitte März angekündigten Kapitalerhöhung in Höhe von 200 Mio. Fr. fest übernommen.
Das scheint einige Leerverkäufer zum Rückzug bewogen zu haben. Mittlerweile sind «nur noch» 35% der Aktien leerverkauft, was aber noch immer locker für den Spitzenplatz unter den grössten Schweizer Shorts reicht. Allerdings: DocMorris hat Wandelanleihen ausstehend, die neben dem Zinscoupon eine Aktienkomponente enthalten. Investoren, die diese angesichts der starken Kursausschläge neutralisieren wollen, verkaufen die Aktien leer, ohne auf einen fallenden Kurs zu setzen.
Zur Erinnerung: Leerverkäufer leihen sich Aktien, verkaufen diese am Markt und hoffen, sie zu einem späteren Zeitpunkt zu einem niedrigeren Preis zurückzukaufen, um sie dann dem Eigentümer zurückzugeben. Geht die Wette auf, streichen sie die Differenz zwischen Verkaufs- und Rückkaufpreis als Gewinn ein.
Raus aus den Top Ten der grössten Schweizer Shorts sind Meyer Burger, Komax und SGS. Neu hinzu kommen dafür AMS Osram, Orior und Julius Bär.
Swatch Group – Wirbel um neuen Verwaltungsratskandidaten
Während die Leerverkäufer bei DocMorris zunehmend den Rückzug antreten, steigt ihr Interesse an Swatch Group. Ende April hat sich das Short-Volumen gegenüber dem Vormonat um ein Fünftel erhöht auf knapp 24%. Der Bieler Uhrenhersteller fiel in den vergangenen Monaten mehrfach negativ auf. So hat er mit seinen Zahlen für 2024 die Markterwartungen auf allen Ebenen weit verfehlt – was in deutlichem Kontrast zum Abschneiden des Luxusgüterkonzerns Richemont steht.
Zudem sorgt die umstrittene Unternehmensführung von CEO Nick Hayek für Unmut bei Investoren und Analysten. Das Unternehmen produzierte unbeirrt weiter Uhren auf Halde, obwohl die Nachfrage stetig zurückgeht, was das Lager immer weiter aufbläht. Was Hayek mit seiner unternehmerischen Pflicht begründet, in der Krise keine guten Mitarbeiter entlassen oder in Kurzarbeit schicken zu wollen, lässt viele Aktionäre die Hände über dem Kopf zusammenschlagen.
Ausserdem macht Swatch Group in Sachen Governance erneut keine gute Figur. So stellt sich die Familie Hayek gegen die Kandidatur des New Yorker Fondsmanagers Steven Wood als unabhängiger Vertreter der Inhaberaktionäre im Verwaltungsrat, obwohl eine externe Stimme im Gremium dringend nötig wäre. Zudem sieht die Einladung zur Generalversammlung vom 21. Mai keine gesonderte Abstimmung darüber vor, wen die Inhaberaktionäre als Vertreter im Verwaltungsrat möchten. Das verstösst gegen das Aktienrecht, wie The Market an dieser Stelle dargelegt hat.
Im Interview mit The Market vom gestrigen Montag fordert Wood «frische Perspektiven» und einen Kulturwandel im Unternehmen. Vor allem bei Premium-Marken bestehe «noch viel» Verbesserungsbedarf. An der Börse sieht Swatch weiterhin kein Land. Die Aktien notieren auf dem Stand von Anfang 2009. Leerverkäufer sehen offenbar noch mehr Potenzial für Kursverluste.
Barry Callebaut – Sorgen um die Liquidität
Prozentual noch mehr zugelegt haben die Wetten gegen die drittplatzierte Barry Callebaut, wo sich die Ausleihquote um gut ein Drittel auf rund 19% erhöht hat. Der weltgrösste Schokoladenproduzent kommt derzeit nicht aus den Schlagzeilen. Vor drei Wochen schreckte der Konzern mit einer Verschiebung der Sparziele Investoren auf – die erhoffte Trendwende dürfte sich somit nach hinten verschieben.
Zudem rückt langsam, aber sicher das Thema Liquidität in den Vordergrund: Angesichts der sich verschlechternden Bonitätskennzahlen – insbesondere der hohen Verschuldung – wächst die Unsicherheit, ob Barry Callebaut künftig noch zu vertretbaren Konditionen Kredit erhalten kann. Moody’s hat das «Baa3»-Rating für Barry Callebaut zwar grundsätzlich bestätigt – ein Investment-Grade-Rating, das noch immer als sicher und investitionswürdig gilt. Doch angesichts «einer anhaltenden Verschlechterung des Cashflows» senkte die US-Ratingagentur den Ausblick von stabil auf negativ – ein Warnschuss.
Immerhin scheint Grossaktionärin Artisan Partners den Glauben an Barry nicht zu verlieren. Kurz nach Verkündung der schwachen Halbjahreszahlen wurde Mitte April bekannt, dass der amerikanische Value-Investor die Kursschwäche genutzt und sein Aktienpaket auf gut 10% verdoppelt hat. Bereits im Interview mit The Market, das kurz vor der Zahlenpräsentation stattfand, bekräftigte Artisan-Fondsmanager David Samra sein Vertrauen in CEO Peter Feld.
Die Aktien handeln so niedrig wie seit 2011 nicht mehr. Auch The Market glaubt, dass die Valoren langfristig ein beträchtliches Potenzial aufweisen. Wer jetzt zugreift, muss allerdings starke Hände haben. Alle anderen warten weiter ab.
SIG – Wetten gehen zurück
Weiter rückläufig sind dagegen die Wetten gegen SIG – die Leerverkaufsquote hat sich noch einmal leicht verringert auf nun 9,4%. Neben der bislang enttäuschenden operativen Entwicklung der Scholle-IPN-Akquisition belasten Rechtsstreitigkeiten auf Verwaltungsratsebene den Aktienkurs des Herstellers von Abfüllanlagen und Getränkekartons. Das Unternehmen präsentiert am heutigen Dienstag das Erstquartalsergebnis für das Jahr 2025.
Leonteq – Kampf an mehreren Fronten
Kaum verändert hat sich die Short-Quote beim Derivatehaus Leonteq – Ende April liegt sie bei 8,5%. Weil die Wetten gegen den Stellenvermittler Adecco zurückgehen, rückt Leonteq um einen Platz auf Rang fünf vor. Die Aktien von Leonteq befinden sich seit Jahren im Abwärtssog, den wiederholte Gewinnwarnungen jeweils aufs Neue beschleunigt haben.
Anfang Februar schreckte das Management zudem mit einer neuen Hiobsbotschaft auf: Völlig unerwartet ist das Derivatehaus von der Finanzmarktaufsicht Finma neu der Eigenmittelverordnung unterstellt. Will heissen: Das Eigenkapital ist regulatorisch gebunden und kann nicht via Dividenden und Aktienrückkaufprogramme an die Aktionäre ausgeschüttet werden. Zudem verteuert der neue regulatorische Status künftiges Wachstum.
Das alles passiert in einer Zeit, in der der Gewinn ohnehin dahinschmilzt, und für das laufende Jahr droht gar ein Verlust. Eigentlich sollte daher die Dividende um drei Viertel auf noch 25 Rp. gekürzt werden. Die Grossaktionärin Raiffeisen drückte an der Generalversammlung Ende März jedoch durch, dass 3 Fr. je Aktie ausgeschüttet werden.
Kuros – Leerverkäufer misstrauen der Wachstumsgeschichte
Ende März tauchten die Aktien von Kuros Biosciences erstmals in der Liste der grössten Schweizer Shorts auf. Jetzt hat sich die Ausleihquote noch einmal leicht erhöht auf 8%, womit das Unternehmen aus Schlieren um einen Platz auf Rang sechs vorrückt. Die Titel haben vor allem im vergangenen Jahr eine aussergewöhnliche Rally durchlebt.
Ende 2023 hat das Unternehmen seine Biotech-Aktivitäten eingestellt und konzentriert sich seitdem vollständig auf das Medtech-Geschäft, das insbesondere in der Knochenregeneration und Wirbelsäulenchirurgie aktiv ist. Das Hauptprodukt MagnetOs, ein synthetisches Knochenersatzmaterial, war 2024 fast für den gesamten Umsatz von rund 75 Mio. Fr. verantwortlich.
Kuros erzielte 2024 erstmals einen Gewinn und peilt bis 2027 einen Umsatz von 220 bis 250 Mio. $ an. Dafür muss es dem Management gelingen, das Geschäft stark zu skalieren. Einige Leerverkäufer scheinen der Wachstumsgeschichte nicht zu trauen.
AMS Osram – US-Zölle belasten
Nach zweimonatiger Abstinenz kehren die Aktien von AMS Osram in die Top Ten zurück. Gegenüber dem Vormonat hat sich die Ausleihquote um mehr als zwei Drittel auf 7,5% erhöht – Platz sieben. Noch im Februar überzeugte das Halbleiterunternehmen mit seinen Ergebnissen für das vierte Quartal; insbesondere überraschten die Österreicher mit ihrer Profitabilität und dem freien Cashflow positiv. Die damaligen Kursavancen haben die Aktien jedoch inzwischen nahezu vollständig abgegeben.
Das Unternehmen gilt als ein Verlierer des Zollstreits. AMS Osram produziert einen beträchtlichen Teil ihrer Produkte in Asien und generiert gleichzeitig einen hohen Umsatz- und Gewinnanteil in den USA. Zudem befinden sich die Österreicher weiterhin in einem Turnaround-Prozess und haben noch einen langen Weg vor sich, um ihre Finanzsituation zu stabilisieren und das Geschäft wieder nachhaltig in Schwung zu bringen.
Adecco – weiterer Verlierer der US-Zölle
Leicht rückläufig sind die Wetten gegen Adecco. Ende April liegt die Short-Quote bei 7,4%, womit der Stellenvermittler auf Platz acht zurückfällt. Bis Anfang April hatten die Aktien auf Jahressicht deutlich besser abgeschnitten als der Swiss Performance Index. Dass das Management die bereits befürchtete Dividendenhalbierung umsetzte, um die Verschuldung endlich zu senken, quittierte die Börse zunächst mit einem Kurssprung der Aktien.
Doch mit Trumps Zollhammer vom 2. April stoppte der Aufwärtstrend abrupt, mittlerweile notieren die Titel auf Jahressicht gar wieder negativ. Die Zollwirren schüren die Sorge um einen globalen wirtschaftlichen Abschwung, der das Geschäft der Personalvermittler belasten würde.
Orior – Aktien im freien Fall
Nachdem die Aktien von Orior erst im Vormonat aus den Top Ten herausgefallen sind, kehren sie Ende April wieder in die Rangliste zurück – die Ausleihquote hat sich um ein Zehntel auf 7,3% erhöht. Ende Februar hatte die Lebensmittelgruppe die Publikation des Jahresresultats verschoben und die Guidance ausgesetzt. Als Grund gab das Unternehmen Bewertungsdifferenzen bei Lagerbeständen an, die im Rahmen der im Dezember angekündigten Restrukturierung aufgetaucht seien – seitdem geht es mit den Aktien bergab.
An der Kursmalaise änderte auch nichts, dass Orior Anfang April die definitiven Jahreszahlen nachreichte. Im Gegenteil, der Lebensmittelkonzern verzeichnete massive Einbussen bei Gewinn und Cashflow. Eine Neuausrichtung der Hauptkundin Migros sowie hausgemachte Probleme wie Werkschliessungen und Liegenschaftsentwicklungen lasten auf dem Geschäft. Zudem ist noch immer keine Dauerlösung für den CEO-Posten gefunden, der nach dem Rausschmiss von Daniel Lutz im Herbst frei wurde.
Julius Bär – Die Sorge um einen Abschwung belastet
Neu in der Rangliste belegen die Aktien von Julius Bär mit einer Short-Quote von 5,3% Platz zehn. Anfang April sind die Aktien beim vierten Versuch seit 2017, die Marke von 65 Fr. nachhaltig zu überwinden, erneut gescheitert. Nachdem die letzten Anläufe 2022 und 2023 wegen der Zinswende und den Geschäften mit dem konkursiten österreichischen Immobilienspekulanten René Benko missglückten, sind es diesmal die Zolleskapaden, die auf den Aktien lasten.
Seit Trumps Zollhammer haben Finanztitel – allen voran Banken – stark korrigiert. Zwar werden Finanzhäuser kaum Zölle zahlen müssen, dennoch schürt der Handelskrieg Unsicherheit, die eine Wirtschaftsflaute mit geringeren Investitionen, weniger Aktienhandel, weniger Börsengängen und Fusionen auslösen könnte. Die Short-Seller scheinen diesbezüglich in der Schweiz vor allem bei Julius Bär noch Rückschlagspotenzial zu orten.