Industriezulieferer wie Lem sind in China zunehmend lokaler Konkurrenz ausgesetzt. CEO Frank Rehfeld bleibt trotzdem optimistisch; er sieht sein Unternehmen für die neuen Realitäten in China gut gerüstet. Doch die Börse bleibt skeptisch.
«Bis 2019 hatte der Westen gegenüber China technologisch die Nase klar vorne», sagt Frank Rehfeld, Konzernchef des Elektrokomponentenherstellers Lem. Egal ob in der Automobiltechnik, in der Stahlindustrie, bei Sensoren oder in der künstlichen Intelligenz: Überall sei der Westen der chinesischen Performance ein paar Jahre voraus gewesen. Dass das Wissen westlicher Firmen stark nachgefragt wurde, kam besonders auch Lem zugute.
Das Westschweizer Unternehmen ist auf Komponenten spezialisiert, mit denen elektromagnetische Ströme gemessen und gesteuert werden. Überall wo Elektrizität fliesst – ob in einem Fahrzeug, einer Photovoltaikanlage oder in einem anderen Elektromotor –, sind Lems Strom- und Spannungswandler eine unerlässliche Komponente. Sie machen zwar nur einen geringen Anteil der Gesamtkosten aus, müssen aber zuverlässig funktionieren.
Dabei profitieren die Schweizer gleich von zwei Megatrends: der Elektromobilität und der fortschreitenden Dekarbonisierung. Beide Themen hatten bis zuletzt einen Hype erfahren, der sich im Nachhinein als etwas zu voreilig erwies. «Wie viele andere sind auch wir den unbestrittenen Trend zur Nachhaltigkeit zu optimistisch angegangen», räumt Rehfeld ein. Der Deutsche, der 2016 zu Lem stiess und 2018 den CEO-Posten übernahm, betont im Gespräch, dass der dramatische Rückgang von Umsatz und Gewinn im vergangenen Halbjahr in erster Linie der ungünstigen Marktentwicklung zuzuschreiben sei. Gleichzeitig sei es Lem gelungen, durch eine «höhere Agilität und die deutliche Verbesserung der Kostenposition vorher verlorengegangene Marktanteile wieder zurückzuerobern».
Lem-Aktien unter Druck
Im ersten Semester ist der Umsatz knapp 30% auf 157 Mio. Fr. zurückgegangen, der Gewinn auf Stufe Ebit ist sogar rund 72% eingebrochen auf noch 13 Mio. Fr. Die dazugehörige Marge hat sich von 23 auf 9% reduziert.
Für Marc Possa, der die Aktien im von ihm verwalteten SaraSelect-Fonds hält, ist das Glas in dieser Hinsicht jedoch halb voll. «Zeigen Sie mir ein Unternehmen in der Schweiz, das bei einem solchen Umsatzeinbruch die Marge noch so positiv halten kann.»
Handelt es sich also nur um ein vorübergehendes Problem der Endmärkte von Lem? Die massive Korrektur bei den Aktien – die weiterhin anhält – spricht eigentlich dagegen. Anfang November büssten die Titel am Tag der Zahlenpublikation rund 22% ein, seit dem Hoch Ende 2021 haben sie 70% an Wert verloren, ein Boden hat sich nicht gebildet.
«Was wir beim Investment Case von Lem hinterfragen, sind die Neueintritte von Wettbewerbern auf dem chinesischen Markt», sagen Adrian Lechthaler und Manuel Bottinelli von der Vermögensverwaltungsboutique Peter J. Lehner & Partner. Die technischen Komponenten von Lem seien qualitativ zwar sehr hochwertig, doch die Chinesen hätten aufgeholt. Die Portfoliomanager halten Lem nicht in ihren Depots, beobachten die Aktien jedoch.
Steigende Konkurrenz in China
Das Thema der lokalen Konkurrenz in China beschäftigt europäische Unternehmen, die im Reich der Mitte tätig sind, immer stärker. Gemäss einer vergangene Woche veröffentlichten Umfrage der Deutschen Industrie- und Handelskammer in China identifizieren deutsche Unternehmen den Preisdruck (52%) als eine der drei grossen geschäftlichen Herausforderungen im Reich der Mitte – nach der schwachen Nachfrage (56%) und einer Verschlechterung der chinesischen Wirtschaft im Vergleich mit dem Vorjahr (60%).
Als Reaktion auf den Wettbewerbs- und Preisdruck geben überdies 40% der Unternehmen an, unabhängiger von ihrem Hauptsitz in Deutschland zu arbeiten, was einem Plus von 12 Prozentpunkten gegenüber dem Vorjahr entspricht. Man setze zunehmend auf die Strategie «in China für China», lautet das Ergebnis der Umfrage. Zwar gelten diese Zahlen für deutsche Unternehmen, doch sowohl Schweizer und auch andere europäische Firmen dürften diese Themen kaum weniger beschäftigen.
Für Lem ist das Thema China besonders relevant, macht das Unternehmen doch rund 40% seines Umsatzes im Land. Und auch die Westschweizer spüren die Zurückhaltung, wie die dortige Umsatzentwicklung zeigt. Die Verkäufe sind bereits vor der Flaute in Europa eingebrochen. Immerhin: Der Umsatz hat sich in den letzten Quartalen stabilisiert, wenn auch auf einem niedrigen Niveau um die 30 Mio. Fr.
«China hat zwei Gänge hochgeschaltet»
Doch ist das schrumpfende Geschäft in China tatsächlich nur ein vorübergehendes Problem des dortigen Endmarktes? Oder ist es die Folge eines immer stärker wachsenden Wettbewerbs mit lokalen, also chinesischen Konkurrenten?
Für Rehfeld ist klar, dass sich für europäische Industriezulieferer in China seit 2019 eine völlig neue Situation ergeben hat. Während der durch Corona ausgelösten Halbleiterkrise seien viele westliche Zulieferunternehmen auch in China nicht mehr lieferfähig gewesen. «Chinesische Unternehmen haben es in dieser Zeit geschafft, zwei Gänge hochzuschalten und mit Good-Enough-Produkten einzuspringen», so der Lem-Chef.
Unter Good-Enough-Produkten versteht man Produkte, die auf eine ausreichende Qualität, Funktionalität und Leistung ausgerichtet sind, ohne dabei den Anspruch zu erheben, die besten oder innovativsten am Markt zu sein. Gemäss Rehfeld habe sich herausgestellt, dass diese chinesischen Produkte im wahrsten Sinne des Wortes «good enough» seien. Heisst, die deutlich günstigeren Komponenten erreichten ein Leistungsniveau, das ausreichte, um die Funktionalität sicherzustellen.
Wie reagieren europäische Nischen-Champions auf den neuen Wettbewerbsdruck in China? Eine Antwort liegt nahe: Die Kosten müssen runter. Lechthaler und Bottinelli sehen die Rückkehr zum alten Margenniveau als eine entscheidende Herausforderung. Vor diesem Hintergrund werde man den Preiskampf in China genau beobachten. Die jüngsten Preissenkungen hätten gezeigt, wie schwierig die Aufgabe werden dürfte. Zudem warte man auf eindeutige Antworten zur Frage: «Unterscheidet sich das Produkt von Lem von anderen Produkten oder können es die Chinesen zu einem niedrigeren Preis?»
CEO sieht Lem für neue Situation in China gut gerüstet
Die «Kostenposition vor Covid minus 30%» sei von nun an die neue Benchmark, an der man sich orientieren müsse, sagt auch Rehfeld. Der Lem-Chef sieht sein Unternehmen für die neue Realität gut gerüstet. «Wir haben jeden zweiten Mitarbeiter in China und produzieren in Asien rund 60% unseres Volumens». Zudem habe man sich in der Vergangenheit zu stark auf die Kooperation mit globalen Lieferanten konzentriert. «Jetzt zeigt sich, dass chinesische Lieferanten bei vergleichbarer Qualität deutlich günstiger sind.» Daraus ergebe sich ein enormes Potenzial zur Kostenoptimierung.
Noch wichtiger: Während seiner Reise in China Ende November habe er «hervorragendes Feedback» erhalten. «Die Kunden sehen, wie schnell es uns gelungen ist, unsere Kostenposition um die genannte Grössenordnung zu verbessern». Zudem schätzten die Kunden die «neue Geschwindigkeit» mit der Produkte entwickelt werden. «Zwischen Start und Endpunkt des Projekts haben wir die Zeit halbieren können.» So will sich Lem von der chinesischen Konkurrenz abheben. Rehfeld verweist diesbezüglich auch auf das breite Portfolio von über 2500 Produkten und die lange Erfahrung in den verschiedenen Kundenanwendungen, die kein anderer Player bieten könne.
Ein wichtiger Hoffnungsschimmer ist die Tatsache, dass Lem während der Krise offenbar keine Kunden in China verloren hat, das sagt zumindest Rehfeld. Offizielle Statistiken über den chinesischen Stromsensorenmarkt gibt es nicht. Laut dem Lem-Chef hat das Unternehmen in China sogar «in der Grössenordnung von 10 Prozentpunkten» Marktanteile gewonnen.
Auftragslage hat sich stabilisiert
Für Stephan Sola, der die Aktien von Lem im von ihm verwalteten Plutos-Schweiz-Fund hält, bieten die Kostensenkungen eine Chance, dass «das Unternehmen gestärkt aus der Krise hervorgehen könnte». Dennoch müsse sich der Markt langsam, aber sicher erholen. «Die Aufträge müssen im nächsten Jahr zurückkommen. Die Kosten lassen sich nicht unbegrenzt senken.» Immerhin: In den letzten Quartalen hat sich die Auftragslage stabilisiert – wenn auch auf tiefem Niveau.
Für Marc Possa ist die derzeitige Visibilität so schlecht, dass man schlicht nicht vorhersagen könne, wann es aufwärts geht. Dennoch erkennt der Fondsmanager in den mageren letzten Semestern auch eine Chance: «Nach schwachen Halbjahren werden irgendwann auch die Vergleichszahlen wieder vorteilhafter.» Grundsätzlich sieht er Lem als Marktführer in einer starken Position, um vom Megatrend der Elektrifizierung und von der steigenden Komplexität zu profitieren.
Bisher haben sich die Aktien vom Schock der Halbjahreszahlen Anfang November nicht erholt. Im Gegenteil, der Kurs tendiert weiter nach unten. Was Anleger davon abhält, ins fallende Messer zu greifen, ist neben der fehlenden Visibilität auch die noch immer nicht wirklich günstige Bewertung – neben dem Aktienkurs sind nämlich auch die Umsatz- und Gewinnschätzungen der Analysten stark gefallen. Ein Kurs-Gewinn-Verhältnis für das Geschäftsjahr 2025/2026 von 23 ist noch immer respektabel.
Auch The Market mahnt zur Geduld und rät vorerst von einem Einstieg ab. Zwar ist das Unternehmen bei strukturellen Wachstumsthemen wie erneuerbare Energie und der Elektromobilität sehr gut positioniert, und auch der Fokus auf China ist bei diesen Themen sinnvoll, ja fast alternativlos. Doch die fehlende Visibilität sowie der noch ausstehende endgültige Beweis, dass Lem das Ruder in China herumreissen kann, spricht dafür abzuwarten. Ausserdem scheint eine Dividendenkürzung unabdingbar zu sein. Für das Ende März endende Geschäftsjahr 2024/25 rechnen die Analysten im Schnitt noch mit einer Ausschüttung von weniger als 19 Fr. je Aktie – nach 52 Fr. im Vorjahr.