Die Marxistisch-Leninistische Gesellschaft Schweiz hat Massenmörder wie Mao zum Vorbild, will «das System» vernichten – fühlt sich aber in ihren bürgerlich-demokratischen Rechten verletzt.
Ein Gespenst geht um in Zürich, es ist das Gespenst der Diskriminierung des Kommunismus. So etwa könnte man eine ziemlich schräge Episode beschreiben, die sich in den letzten Tagen in der Stadt Zürich zugetragen hat.
Einer der Protagonisten ist, nicht ganz freiwillig, der Zürcher Stadtrat und Sozialvorsteher Raphaël Golta. Er ist als SP-Mitglied ein Vertreter des permissiven rot-grünen Milieus, das auch linksextremen Gruppierungen wie dem Revolutionären Aufbau viel Nachsicht entgegenbringt. Doch selbst ihm wird es offenbar irgendwann zu viel.
Golta, beziehungsweise eine seiner Mitarbeiterinnen aus dem Sozialdepartement, hat ausgerechnet einem Grüppchen engagierter Linker verboten, einen Raum in einem städtischen Quartierzentrum für eine Veranstaltung zu mieten.
Kein Fussbreit Quartierzentrum für Umstürzler
Es handelt sich allerdings nicht um irgendeine linke Gruppe. Und auch nicht um irgendeine Veranstaltung.
Die verhinderte Mieterin ist die Marxistisch-Leninistische Gruppe Schweiz (MLGS). Sie ist eine linksextreme Vereinigung, die kommunistische Massenmörder zum Vorbild hat: Wer Mitglied werden will, verpflichtet sich gemäss Statuten zum Studium der «Mao-Tse-Tung-Ideen» und, natürlich, des Marxismus-Leninismus. «Falsches Denken» ist unerwünscht, entlarvte «Parteifeinde» und «Agenten» werden ausgeschlossen.
Die MLGS wollte in den Räumen des Quartierzentrums Bäckeranlage einen ideologischen Anlass veranstalten. Im leninistischen Lehrgang sollten «die Teilnehmenden einfach und verständlich die Grundzüge des Sozialismus/Kommunismus erarbeiten».
Davon aber wollte die Stadt Zürich als Vermieterin nichts wissen. Die zuständige Mitarbeiterin schrieb den Kommunisten, jedenfalls gemäss deren Darstellung, dass die städtischen Richtlinien Gruppierungen ausschlössen, die «rassistisch, sexistisch, gewaltverherrlichend oder ausgrenzend» seien oder die «einer demokratischen Grundordnung zuwiderliefen».
Dazu gehört nach Ansicht der Stadt auch die MLGS. Sie strebe einen politischen Umsturz an, und das sei nicht mit den Schweizer Grundrechten vereinbar. Ergo gebe es keinen Raum für sie im Quartierzentrum.
«Die Absage erfolgte, da die Veranstaltung nicht den Vermietungsrichtlinien der Sozialen Dienste Zürich entsprach», bestätigt Julia Köpfli, Sprecherin der Sozialen Dienste, gegenüber der NZZ.
Die Mao-Versteher streiten gar nicht ab, dass sie beabsichtigen, die Schweiz, wie sie heute existiert, zu zerstören. «Wir machen kein Hehl daraus, dass wir dieses imperialistische System abschaffen wollen, um nicht in der Barbarei des Kapitalismus unterzugehen», schreiben sie in ihrer Replik auf die Absage der Stadt.
Trotzdem wollen sie das Njet nicht einfach hinnehmen. Stattdessen berufen sie sich auf die Gesetze ebenjener Ordnung, die sie doch zerschlagen wollen: Die Schweizerische Bundesverfassung schütze die Meinungsfreiheit. Niemand dürfe wegen seiner weltanschaulichen und politischen Überzeugung diskriminiert werden. Das gelte auch für Marxisten. Ihre «bürgerlich-demokratischen Grundrechte» würden infrage gestellt.
Die orwellsche Argumentation dreht noch weiter: Wer, wie das Sozialdepartement der Stadt Zürich, antikommunistisch eingestellt sei, der grenze andere auch aus. Die Stadt verstosse also gegen ihre eigenen Prinzipien.
Diese Vorwürfe will die Stadt derzeit nicht kommentieren. Die juristischen Abklärungen würden laufen, sagt die Sprecherin Köpfli. Dass Veranstaltungen in Quartierräumen abgelehnt würden, komme aber nur sehr selten vor.
Sozialismus «from the river to the sea»
Gewürzt wird die ganze Affäre noch mit einem Antisemitismus-Vorwurf: In ihrer Absage kritisiert die Stadt Zürich einen Flyer der Marxisten, der sich mit dem Konflikt zwischen Israel und der Terrorgruppe Hamas auseinandersetzt. Die MLGS verwendet eine Variante des hoch umstrittenen «From the river to the sea»-Slogans, bei ihnen lautet er aber: «Socialism from the river to the sea».
Das sei nicht antisemitisch, sagt die MLGS, denn unter Hammer und Sichel seien Israeli wie Palästinenser frei. Es ist eine Aussage, der wohl wenige zustimmen würden, die als Juden – oder Muslime – den real existierenden Sozialismus erlebt haben.
«Der Slogan kann als antisemitisch verstanden werden», sagt Julia Köpfli von den Sozialen Diensten. «Deshalb kann angesichts der aktuellen Situation mit einer starken Polarisierung der Veranstaltungsreihe gerechnet werden.» Eine solche polarisierende Wirkung könne ein Grund sein, warum Veranstaltungen nicht bewilligt würden.
In ihrem Kampf gegen das von ihnen verspürte Unrecht setzen die Zürcher Marxisten jetzt auf einen bekannten linken Anwalt, auf Marcel Bosonnet. Er hat schon Julien Assange vertreten. Und den Terroristen Carlos, nicht zu verwechseln mit dem gleichnamigen Zürcher Gewalttäter – den er aber auch verteidigt hat. Der über 70-jährige Bosonnet bringt als Mitglied der ebenfalls kommunistischen Partei der Arbeit den richtigen Stallgeruch mit.
Auch Genosse Bosonnet argumentiert mit den Gesetzen des Systems, das eigentlich überwunden werden soll: Weil die Stadt den Kommunisten keinen Raum vermieten wolle, diskriminiere sie die MLGS, und damit verletze sie sogar die Menschenrechtskonvention, schreibt er in einem Brief an Stadtrat Golta, der auf der Website der Gesellschaft veröffentlicht worden ist. Der Vorwurf des Antisemitismus wegen des Spruchs auf dem Flyer wiederum sei ehrverletzend.
Bosonnet fordert die Stadt namens der MLGS auf, die Vermietung der Räume doch noch zu bewilligen. Eine Antwort steht aus.
In der Zwischenzeit scheint der Marxismus-Leninismus-Grundkurs eine neue temporäre Heimat gefunden zu haben, im Café Boy. Dieses ist ein Traditionslokal der Zürcher Linken und wird von einer SP-nahen Genossenschaft geführt. Die angehenden Kommunisten treffen sich im Café, wo denn sonst, im Saal «Karl Marx».