Die Landtagswahlen im Fürstentum bringen ein historisches Resultat – nach einem Wahlkampf, der Skurrilitäten bot und am Ende hitzig geführt wurde. Was mit einem Spitzenkandidaten zu tun hatte, der Donald Trumps Aussenpolitik bewundert.
Eines muss man Ernst Walch lassen: Er hat grosse Träume. Vor ein paar Jahren kaufte er sich ein Ticket, um mit einer Rakete ins Weltall zu fliegen, es soll einen sechsstelligen Frankenbetrag gekostet haben. Deshalb mutmassten Liechtensteiner Medien, dass Walch der weltweit erste Regierungschef werde, der die Erdatmosphäre verlasse.
Denn Walch brachte sich im Zuge der Landtagswahl im Fürstentum, die am Sonntag stattfand, als mögliche Führungsfigur ins Spiel. Er liess sich als Spitzenkandidat der Fortschrittlichen Bürgerpartei (FBP) aufstellen, die sich beim Balgen um das höchste Regierungsamt im Land traditionell ein spannendes Duell mit der Vaterländischen Union (VU) liefert.
Beide Parteien vertreten wertkonservative Positionen; die rote VU mehr in der Mitte, die schwarze FBP, die als wirtschaftsliberal und fürstentreu gilt, ein wenig weiter rechts. Und Ernst Walch, unterdessen 68 Jahre alt, sah da die Chance, ältester Regierungschef in der Geschichte des Landes zu werden.
Noch ist nicht klar, wie sich die Regierung konstituieren wird – aber Walch kommt nicht mehr als ihr Chef infrage. Denn seit dem frühen Sonntagabend ist so gut wie fix, dass seine FBP drei Sitze im 25-köpfigen Landtag verliert und eine monumentale Niederlage kassiert, die der Partei die Grundlage dafür entzieht, bei der Regierungsbildung den Lead zu übernehmen. Die VU hingegen hat ihre bisherigen zehn Sitze erfolgreich verteidigt und damit auch ihren Führungsanspruch.
Es sieht nun ganz danach aus, als würde deren Spitzenkandidatin Brigitte Haas die erste Regierungschefin in der Geschichte des Fürstentums – 41 Jahre nachdem Liechtenstein als letztes europäisches Land das Frauenstimmrecht eingeführt hat.
Die designierte Neugewählte ist Juristin und Geschäftsführerin der Liechtensteinischen Industrie- und Handelskammer. Haas verkörpert vom Charakter her so ziemlich das Gegenteil von Walch und trat bis dato dezent auf. Ihre Verwandten, der frühere Erzbischof Wolfgang Haas und der FC-Luzern-Trainer Mario Frick, haben sich schon wesentlich pointierter exponiert. Und im Vergleich zu ihnen scheint sie einen asketischeren Lebensstil zu pflegen.
«Ein Trump-Fan an der Spitze?»
Mit Walch hat die FBP auf einen Kandidaten gesetzt, der in Liechtenstein bekannt ist wie ein bunter Hund. Ein gewisses Geltungsbedürfnis kann er nicht abstreiten, seine Auftritte sorgen für Aufsehen, Schmunzeln oder Kopfschütteln. Ernst Walch lässt niemanden aus seinem Umfeld kalt.
Als im jüngsten Wahlkampf wegen seines fortgeschrittenen Alters Zweifel an seiner Fitness aufkamen, forderte er die Leute auf, ihn zu besuchen und gegen ihn zu einem Liegestütz-Wettkampf anzutreten, er schaffe bei dieser Übung noch immer hundert Wiederholungen. Die letzten Neujahrsgrüsse überbrachte er beim Baden in einem drei Grad kalten See. Und wer in Liechtenstein Geburtstag hat, kann sich fast sicher sein, von Walch die besten Wünsche zu erhalten.
Sein Privatleben spielte sich häufig in der Öffentlichkeit ab, er stand immer wieder als Schauspieler in Theaterstücken und Musicals auf der Bühne. Seine Familie mit den sechs Kindern bildete er so ausführlich mit allen Vor- und Zunamen im Telefonbuch ab, dass dies eine Fasnachtszeitung aufgriff. Und er erzählt gerne davon, dass er jedes Jahr Harfenspieler aus der ganzen Welt zu einem Treffen einlade. Eine verstorbene Grosstante hatte ihm einst eine alte Harfe vererbt und ihm das Versprechen abgerungen, dass er diese urtümliche Kunst in ihrem Sinne weiterpflege.
Die Bevölkerung erfuhr auch, dass die Harfe unterdessen zerstört wurde. Weil ein Blitz in sein Haus einschlug, «laut Messungen der Polizei genau zwei Meter fünfzig neben Ernst Walchs Bett, in welchem er schlief», wie die Zeitung «Liechtensteiner Vaterland» berichtete. Walch sagte dazu: «Ein Probelauf, alles Persönliche, Materielle beim Sterben zu verlieren. Ich bin gewappnet – für vieles.»
In letzter Zeit beschäftigte er sich aber eher mit Blitzern als mit Blitzen. In einem Instagram-Video versprach er, sich gegen das willkürliche Aufstellen von Radarkästen in seinem Land einzusetzen, sollte er Regierungschef werden. Und er liess aufhorchen, als er ein Loblied anstimmte auf die Aussenpolitik, wie sie die USA während der ersten Amtszeit des Präsidenten Donald Trump betrieben hätten. Die «Süddeutsche Zeitung» warf daher vor den Liechtensteiner Wahlen im Titel die Frage auf: «Ein Trump-Fan an der Spitze?»
Was Walchs Rivalen geflissentlich verschweigen: Er sieht Trump auch kritisch, gerade was dessen Respekt für politische Gegner angeht – obschon auch in Walchs Welt «das Recht des Stärkeren» gilt, wie er in einer Rede untermauerte. Und er forderte seine Mitbürger auf, «bauernschlau» zu sein, er, der Gründungspräsident der Vereinigung der Bäuerlichen Organisationen im Land.
Zu den USA hat Walch ein besonderes Verhältnis. Das Studium als Rechtsanwalt schloss er in New York ab, und er ist Ehrenbürger des Gliedstaats Texas und von deren Hauptstadt Austin. Mit den Vereinigten Staaten hatte er immer zu tun, etwa, als er von 2001 bis 2005 als Aussenminister tatsächlich in Liechtensteins Regierung sass. Zudem unterhielt die von ihm mitgegründete Anwaltskanzlei viele geschäftliche Kontakte in den USA.
Diese Gemengelage verwendeten seine Gegner gerne für den Vorwurf, er sei damals als Aussenminister in einem Interessenkonflikt gestanden. Walch hingegen betont, unter ihm als Amtsträger seien die politischen Beziehungen zwischen Liechtenstein und den USA besser gewesen als heute, da es Sanktionen gebe, die unbedingt beseitigt werden müssten.
FBP verliert viele Stimmen an Kleinpartei
Den Wahlsonntag verfolgt Walch in der «Braustube» in Schaan, wo der grösste Teil von Liechtensteins Bier hergestellt wird – ein Ort, an dem er sich wohlfühlen muss, gibt er doch als Leibspeise an: Tiroler Speckknödel mit Gulasch und Kartoffelsalat (mit viel Mayonnaise).
Als die ersten Hochrechnungen eintreffen und deutlich wird, dass seine Partei in Gemeinden verloren hat, in denen sie früher dominiert hatte, sagt Walch: «Das tut weh!» Schon da zeichnet sich ab, dass die FBP viele Stimmen an die noch etwas weiter rechts stehende Kleinpartei Demokraten pro Liechtenstein (DpL) abtreten muss. Die junge DpL dürfte am Ende auf einen Schlag ihre Vertretung im Landtag von zwei auf sechs Sitze ausbauen.
Walch bedauert, seine FBP sei halt vor seiner Nomination zu weit nach links gerutscht und erhalte dafür nun die Quittung. Und er ärgert sich darüber, dass ihn seine Gegner immer wieder auf persönlicher Ebene attackiert hätten.
Der Wahlkampf war lange einigermassen geordnet verlaufen. Doch in den letzten Tagen wurde es hitzig. Den Ausschlag dafür gab ein journalistischer Text, der ursprünglich in ausländischen Medien publiziert wurde und den das «Liechtensteiner Vaterland» im Wortlaut übernahm.
Der Autor, ein Schweizer, hatte wenig schmeichelhafte Worte für Walch übrig. Das Pikante dabei: Seit Anfang 2023 das «Volksblatt», die Zeitung der Schwarzen, eingestellt wurde, hatte das «Vaterland», die Zeitung der Roten, immer wieder betont, nun politisch neutral zu berichten, obwohl in seinem Verwaltungsrat weiterhin bekannte VU-Politiker Einsitz nahmen.
Ein Zeitungsverleger sagte zu diesem Thema einmal: Die beiden Zeitungen hätten früher Köpfe aus dem anderen politischen Lager nie abgebildet – oder nur, wenn sie diese in unvorteilhafter Pose zeigen konnten, etwa beim Nasenbohren.
Spätestens durch den übernommenen Artikel sah die FBP die vom «Vaterland» propagierte Neutralität verletzt – und liess Gegendarstellungen abdrucken. Sie warf der VU eine orchestrierte Schmutzkampagne vor, wie man sie sonst nur aus anderen Ländern kenne. Eine denkbar ungünstige Ausgangslage dafür, dass VU und FBP auch künftig die historisch gewachsene Koalition an der Regierungsspitze bilden sollen.
Einen Tag nach Erscheinen des heiss diskutierten Artikels kündigte der Chefredaktor des «Vaterlands» seinen Rücktritt an. Als er am Sonntag auftrat, sagte er mit rot-schwarzer Brille auf der Nase: Neutralität sei im Journalismus halt «ein schwieriger Begriff».
Stärkste Polarisierung seit 1993
Weil Ernst Walch derart polarisierte und die Debatte über ihn fast alles übertünchte, ging beinahe vergessen, wen die VU als Regierungschefin portierte. Als ein Porträt über Brigitte Haas erschien, wurde sie gefragt, welches ihr Lieblingsfilm sei. Sie gab «Little Miss Sunshine» an, als würde sie eine Beschreibung von sich selber abgeben. Als Lieblingslied nannte sie «Respect», interpretiert von Aretha Franklin.
Ernst Walch hielt der VU vor, sie habe als Spitzenkandidaten politisch unerfahrene Quereinsteiger ins Rennen geschickt. Mit französischen Jasskarten auf dem Tisch sprach er in eine Kamera, dass die VU kein rotes Ass habe. Jetzt hat Haas ihn übertrumpft.
Die FBP muss dieser Wahlausgang schmerzen, hätte doch nicht viel gefehlt, und sie hätte 2021 die erste Regierungschefin gestellt; Sabine Monauni war bei den letzten Wahlen nur wegen weniger Stimmen gescheitert. Monauni war zuletzt immerhin Vizeregierungschefin und Wirtschaftsministerin. Sie ist die einzige Person aus der jetzigen Regierung, die dem Gremium auch in Zukunft angehören dürfte, alle anderen bisherigen Kandidaten sind nicht mehr angetreten.
Es wird nun diskutiert, ob die FBP für den Chefposten nicht noch einmal Monauni hätte nominieren sollen. Dem halten Stimmen entgegen, dass die Partei sie damit der Gefahr einer weiteren knappen Niederlage ausgesetzt hätte, und eine solche hätte ihre politische Karriere bedroht. Und so sollte Ernst Walch womöglich als eine Art Blitzableiter fungieren.
Eine solche Polarisierung bei den Regierungswahlen war in Liechtenstein letztmals 1993 zu beobachten, als überraschend der FBP-Kandidat Markus Büchel Chef wurde. Er sollte jedoch nur wenige Monate im Amt bleiben, nachdem ihn seine eigene Partei zum Rücktritt aufgefordert hatte. Fürst Hans-Adam II. löste daraufhin das Parlament auf und setzte Neuwahlen an.
Aber wie steht es nun um Ernst Walchs Flug ins Weltall? Wird er diesen trotzdem antreten?
Gegenüber der NZZ bekräftigt er diesen Plan. Die Reise mit der Rakete soll ungefähr Anfang 2026 starten, im US-Gliedstaat New Mexico, wo der entsprechende Anbieter ansässig sei. Mindestens hundert Kilometer wolle er ins All fliegen. Keine Sicherheitsbedenken? Walch sagt, das sei mindestens so sicher, wie an seinem Wohnort Planken über die Strasse zu laufen. Der Polit-Fuchs dürfte sich in seinem Land schon wohler gefühlt haben.