Im Bundestagswahlkampf versprach Friedrich Merz, links-grüne Herzensprojekte rückgängig zu machen. Doch die Sozialdemokraten drücken der deutschen Gesellschaftspolitik weiter ihren Stempel auf.
Friedrich Merz ist mit einem klaren Ziel in die Koalitionsverhandlungen gegangen. «Links ist vorbei», lautete das Wahlkampfversprechen des Vorsitzenden der Christlichdemokraten. Die ideologiegefärbten Projekte der Vorgängerregierung aus SPD, Grünen und FDP sollten rückgängig gemacht werden.
Schaut man in den am Mittwoch veröffentlichten Koalitionsvertrag, muss man jedoch konstatieren: Die konservative Wende in der deutschen Politik bleibt vorerst aus. Die Sozialdemokraten haben sich bei vielen gesellschaftspolitischen Themen durchgesetzt.
NGO werden weiter vom Staat finanziert
Die künftige Regierung will etwa das Programm «Demokratie leben!» fortführen. Es fördert Projekte «gegen jede Form von Demokratiefeindlichkeit», wie es auf der Webseite des Programms heisst. Im Jahr 2023 lag dessen Budget bei 182 Millionen Euro. Kritiker, darunter auch eine frühere Mitarbeiterin, monieren jedoch eine rot-grüne Agenda bei der Mittelvergabe und eine fehlende Kontrolle der geförderten Projekte.
Die Union kritisierte zuletzt, dass sich die staatlich geförderten Nichtregierungsorganisationen (NGO) politisch betätigten, unter anderem in Form von Demonstrationen gegen die CDU. Sie stellte daher eine Anfrage an die Regierung, in der sie wissen wollte, wie viel Geld etwa die an den Protesten beteiligte Organisation «Omas gegen Rechts» vom Staat erhalten habe. Der SPD-Vorsitzende Lars Klingbeil warf der Union daraufhin «Foulspiel» vor.
Im Koalitionsvertrag konnten sich Konservative und Sozialdemokraten nun immerhin darauf einigen, dass das Programm «in Bezug auf Zielerreichung und Wirkung» unabhängig überprüft werden soll.
Das Selbstbestimmungsgesetz bleibt
Ein weiterer Konfliktpunkt bei den Koalitionsverhandlungen dürfte das sogenannte Selbstbestimmungsgesetz gewesen sein. Es trat Ende vergangenen Jahres in Kraft. Seitdem lässt sich der Geschlechtseintrag alle zwölf Monate durch einen einfachen Antrag beim Standesamt ändern.
Unionspolitiker hatten das Gesetz schon bei der Verabschiedung deutlich kritisiert. Die CSU-Politikerin Dorothee Bär sagte etwa, es richte mehr Schaden an als Nutzen. Sie warnte vor den Folgen für Jugendliche, die ihr Geschlecht voreilig änderten. Die Union forderte daher Nachbesserungen.
Konkrete Änderungen nennt der Koalitionsvertrag nun jedoch nicht. Das Gesetz soll lediglich bis zum 31. Juli 2026 evaluiert werden – insbesondere im Fokus «auf die Auswirkungen auf Kinder und Jugendliche, die Fristsetzungen zum Wechsel des Geschlechtseintrags sowie den wirksamen Schutz von Frauen».
Das Cannabis-Gesetz soll überprüft werden
In Sachen Drogen hätte die Union die liberalere Politik der Vorgängerregierung am liebsten ganz zurückgedreht. «Wir machen die Teillegalisierung von Cannabis rückgängig», so stand es noch in einem an die Presse durchgestochenen Papier aus den Koalitionsverhandlungen. Dieser Punkt blieb offenbar bis zuletzt unter den Verhandlern strittig.
Die Entscheidung haben die Union und die Sozialdemokraten nun noch einmal vertagt. «Im Herbst 2025 führen wir eine ergebnisoffene Evaluierung des Gesetzes zur Legalisierung von Cannabis durch», heisst es im Koalitionsvertrag lediglich.
Werden die Auskunftsrechte der Bürger beschnitten?
Ein Vorstoss der Union hatte bereits während der Verhandlungen für Kritik gesorgt. Die Konservativen schlugen vor, das Informationsfreiheitsgesetz «in seiner bisherigen Form» abzuschaffen. Das Gesetz erlaubt es Bürgern und Journalisten, vom Staat Unterlagen zu verlangen.
Die Formulierung ging wohl auf den CDU-Politiker Philipp Amthor zurück. Dessen politische Karriere kam vor einiger Zeit aufgrund einer Lobbyismus-Affäre ins Straucheln. Sie gelangte auch mithilfe des Gesetzes erst an die Öffentlichkeit. Amthor hingegen sagte, ihm ginge es um die Belastung der Verwaltung.
Im Koalitionsvertrag heisst es nun dazu: «Das Informationsfreiheitsgesetz in der bisherigen Form wollen wir mit einem Mehrwert für Bürgerinnen und Bürger und Verwaltung reformieren.» Ob sich hinter diesem Kompromiss eine Einschränkung des Gesetzes verbirgt, wird wohl erst die Zeit zeigen.
Abtreibungen bleiben strafbar
In einem Punkt hat sich die Union hingegen klar durchgesetzt. Der Abtreibungsparagraf 218 bleibt im Strafgesetzbuch. Frauen machen sich also auch künftig grundsätzlich strafbar, wenn sie abtreiben.
Die Union sieht in dem Paragrafen einen gelungenen Kompromiss, da unter bestimmten Umständen von einem Vollzug der Strafe abgesehen wird – wenn der Abbruch vor der zwölften Schwangerschaftswoche vollzogen wird und sich die Frau zuvor beraten lässt. Die SPD hatte den Paragrafen jedoch streichen wollen. Davon ist im Koalitionsvertrag nun keine Rede mehr.
Stattdessen wollen die Koalitionäre die Versorgung von ungewollt Schwangeren verbessern. Medizinische Behandlungen sollen in Nähe des Wohnorts erreichbar sein. In einigen Regionen Deutschlands müssen Frauen dafür derzeit weite Wege in Kauf nehmen. Zudem sollen künftig mehr Kosten durch die gesetzliche Krankenversicherung übernommen werden.