Sie lebt in London, ihre Eltern stammen aus Nigeria und ihre Vorbilder aus den USA. Little Simz verarbeitet die unterschiedlichen Einflüsse mit scharfsinnigem und schlagfertigem Rap.
Die Wurzeln in Schlamm und Schmutz, daraus aber wachsen feste, grüne Blätter und eine Blüte in strahlendem Weiss oder Rosa: Die Lotusblume gefällt Little Simz so gut, dass sie ihr neues Album danach benannt hat.
In einem Videointerview – ein kurzer Slot an einem gedrängten Promotionstag – erklärt die britische Rapperin die für sie wichtige Symbolik. Am Anfang habe sie in einer persönlichen Krise gesteckt. Sie habe aber versucht, die Probleme musikalisch so zu verarbeiten, dass sich der seelische Schlamm in musikalische Qualität verwandle. Und von der Qualität ist Little Simz überzeugt: «Super proud» sei sie jetzt auf das neue Album.
Während des Gesprächs sitzt die britische Rapperin in einem Londoner Büro gut zehn Meter vom Kameraauge entfernt auf einem verschatteten Sofa, so dass man sie bloss als Silhouette wahrnehmen kann. Und fast scheint es, als wolle sie sich auf diese Weise schützen gegen die persönlichen Fragen, die sich eigentlich aufdrängen: Worunter hat sie gelitten, was hat ihr Verdruss und Kummer bereitet?
Subjektiv und introspektiv
Was aber geht das Publikum das seelische Wohlbefinden der Künstlerin an, nachdem sie ihre Gefühle verarbeitet, veredelt und in eine Form gebracht hat, in der privates Erleben zu einer allgemeinmenschlichen Erfahrung wird? Im hymnisch-psychedelischen Titelsong des neuen Albums scheint Little Simz selber direkt auf solche Fragen zu sprechen zu kommen. «When I write, it’s introspective, somewhat subjective», rappt sie. Aber sie sei ein Leben lang ein Mensch gewesen, man solle ihre Texte deshalb als menschlich akzeptieren. Tatsächlich zeigt sie als Rapperin sehr verschiedene Facetten ihrer Menschlichkeit.
Sprachlich wie musikalisch legt Little Simz eine Vielfalt und Eigenständigkeit an den Tag, die sie zu einem Unikum der internationalen Hip-Hop-Szene macht. Gleichwohl bedeutet ihr die Anerkennung in der amerikanischen Szene offenbar viel. Denn als Fan der amerikanischen Rapperin Missy Elliott und der R’n’B-Sängerin Lauryn Hill habe sie mit neun Jahren zu rappen begonnen; erste Aufnahmen machte sie schon mit elf.
Heute zeigt sie viel Bewunderung für Rapperinnen wie Doechii oder Nicki Minaj, die einen sehr aggressiven, sozusagen sexistischen Feminismus zelebrieren, den man in der Musik der Britin kaum findet. Jede Rapperin bringe ihre eigenen Erfahrungen zum Ausdruck. Wichtig sei die Präsenz der Frauen im männlich dominierten Hip-Hop.
1994 in London geboren, beeinflusst aber von amerikanischem Hip-Hop und R’n’B, stand die Künstlerin stets im Spannungsfeld zweier verschiedener Musikszenen. Inspirieren lasse sie sich aber immer mehr auch von der boomenden Pop-Kultur Nigerias – der Heimat ihrer Eltern, die sie einst mit dem Namen Simbiatu Abisola Abiola Ajikawo getauft haben.
Little Simz also ist eine rappende Weltbürgerin. Das erklärt ihre musikalische Vielfalt. Während in «Lotus» nun soulige Beats dominieren, war die vorletzte Produktion, «Drop 7», durch kühle Elektronik geprägt, wie man sie aus der britischen Grime- und Hyper-Pop-Szene kennt.
Die künstlerische Karriere der Britin ist nicht auf Musik beschränkt. Little Simz setzt sich immer wieder auch als Schauspielerin in Szene: So spielt sie derzeit eine Rolle in der Netflix-Serie «Top Boy». Und vielleicht ist es auf ihre schauspielerischen Erfahrungen zurückzuführen, dass die Musikerin, die im Interview eher scheu wirkt, so viel Souveränität und Schärfe in ihren Sprechgesang investieren kann.
Das zeigt sich auch auf «Lotus». Wenn sie hier klagt, hadert oder hasst, dann sorgen die negativen Impulse sofort für Drive und Dramatik. Im Album-Opener «Thief!» breiten sich Bass und Gitarre in traurigen Girlanden aus. Plötzlich aber ziehen Drums und Rap eine gehässige Dringlichkeit in den Raum und adressieren den Dieb, den Feind: «You thought my career right now would be failing, but my ship won’t stop sailing.»
Aha, da wollte einer ihren Karriere-Dampfer zum Kentern bringen. Wer war’s? Wer nachforscht im weiten Web, stösst auf Inflo, einen Produzenten, mit dem sich Little Simz zerstritten haben soll. Er dürfte auch gemeint sein, wenn sie von einem Teufel in Verkleidung spricht: «this person I’ve known my whole life coming like the devil in disguise». Aber wenn sich dann Stimme und Sound im anklagenden Forte bündeln, denkt man als Zuhörer eher an die eigenen Feinde, die einem Lügen und Träume verkaufen: «selling lies, selling dreams».
Einen dramatischen Höhepunkt erreicht «Lotus» bereits im zweiten Titel, «Flood». Dass sich die Rapperin hier auf gefährlichem Boden – «wicked ground» – bewegt und der Teufel seine Hand ausstreckt, erfährt man zunächst aus einem Refrain, den der nigerianische Gast Obongjajar intoniert. Bedrohung und Gefahr sind auch aus dem ungewöhnlichen Bass- und Schlagzeug-Loop herauszuhören, der sich wie ein platter Reifen dreht.
Unter Hyänen
Little Simz bleibt auf der Hut. Ihre Stimme jedenfalls signalisiert Konzentration, vorsichtig bewegt sie sich durch ein Dickicht menschlicher Böswilligkeit, mit dem der Hip-Hop gemeint sein könnte, die Musikszene oder die ganze Welt. Sie behilft sich mit Durchhalteparolen: «Don’t trust all the hands that you shake» – «Vertraue nicht allen, denen du die Hand schüttelst». «Never eat with the hyenas, cause they will look at you as bones» – «Iss nicht mit Hyänen, denn sie halten dich für einen Knochen». «Keep the business away from the family, sibling rivalry’s vicious» – «Halte deine Geschäfte von der Familie fern, Rivalität unter Geschwistern ist schlimm».
Aber das neue Repertoire ist nicht auf Dunkelheit beschränkt. Der Anfang sorgt für eine Art Schockwelle, allmählich aber führt die Dynamik auch in hellere Klangfarben und in hymnische oder eingängige Songs wie «Lotus» oder «Free». Sie habe ihren Optimismus nie ganz verloren, sagt Little Simz. Und mit dem Album wolle sie das Publikum auch aufmuntern.
Dass sie auch über Witz verfügt, beweist das Video zu «Young», in dem sich eine ältere Frau mit golden blitzender Zahnspange nicht nur als enthusiastische E-Bassistin zeigt, sondern auch als streitbare und selbstbewusste Bürgerin. Wer sich das Alter so zuversichtlich ausmalt, kann noch lange mitmischen im Hip-Hop-Game.