Die RhB muss auf einer Linie ab Davos Ersatzbusse einsetzen. Es ist nur eine Massnahme, mit der sie auf den Unterbestand beim Lokpersonal reagiert.
Die Rhätische Bahn (RhB) ist einer paradoxen Situation. 2023 war für sie ein Rekordjahr: Sie beförderte 16 Prozent mehr Passagiere als im bisherigen Spitzenjahr 2019 vor der Pandemie. Vor allem der Freizeitverkehr entwickelte sich gut. Im Jahr 2022 stellte die RhB mit dem längsten Personenzug einen Weltrekord auf, was ihr eine hohe Medienpräsenz bescherte. Aufmerksamkeit dürften auch die Züge bringen, die Stadler Rail für den Campus des chinesischen Huawei-Konzerns liefert. Diese sind äusserlich an die RhB-Triebwagen des Typs ABe 4/4 III der Bernina-Strecke angelehnt.
Doch bei all den Superlativen ist das Lokpersonal auf der Strecke geblieben. Der Unterbestand hat sich weiter zugespitzt: Am Donnerstag musste die RhB für Schweizer Verhältnisse weitgehende Anpassungen des Angebots bekanntgeben. Zum Schutz des Personals und um kurzfristige Ausfälle zu vermeiden, reduziere man den Bedarf an Lokführern, teilte die Bahn am Donnerstag mit.
Die Massnahmen gehen über das bisherige Streichen einzelner Züge hinaus. Auf der Strecke von Davos Platz nach Filisur stellt die RhB den Bahnbetrieb ab dem 11. März grundsätzlich bis zum regulären Fahrplanwechsel vom Dezember ein. Statt der roten Züge verkehren Ersatzbusse, die eine fast doppelt so lange Fahrzeit haben, da die Strasse einen anderen Weg nimmt. Es gibt aber Ausnahmen: von Mai bis Oktober verkehren täglich einige Zugspaare, in der Hochsaison im Juli und August zehn Zugspaare. Dazu zählt der beliebte historische Zug, mit dem es der RhB gelang, die Frequenzen auf der Nebenstrecke zu steigern.
Auch für Passagiere ins Unterengadin gibt es Verschlechterungen. Die Züge von Landquart nach Scoul-Tarasp enden neu in Sagliains, wo die Reisenden für die Weiterfahrt auf die Regionalzüge aus Pontresina umsteigen müssen. Zudem stellt die RhB S-Bahn-Züge im Raum Landquart ein. Stattdessen legen die Regioexpress-Züge nach Davos beziehungsweise ins Engadin zusätzliche Halte ein. Das verlängert die Fahrzeit. Wegen der Perronlängen ist der Ausstieg in einigen Bahnhöfen nur in einem Teil der Züge möglich. Immerhin erhalten einige Orte bessere Anschlüsse an den Fernverkehr der SBB in Landquart. Weiter ersetzt die RhB zu Randzeiten auf mehreren Strecken Züge durch Busse. Das gilt auch für die Zusatzzüge nach Arosa in der Sommersaison.
Drei Prozent der Züge betroffen
Die RhB versucht, die Auswirkungen auf möglichst wenig Reisende zu beschränken. Sie hat die Massnahmen, die nach der Wintersaison in Kraft treten, in Absprache mit dem Kanton Graubünden und dem Bund getroffen, die den Regionalverkehr bestellen und mitfinanzieren. Nur etwa drei Prozent der Züge sind gemäss der Bahn betroffen. Dennoch ist mit einem Imageschaden zu rechnen.
Der Schweizer öV ist für seine Zuverlässigkeit bekannt. Ein Erfolgsfaktor ist, dass die Züge dank dem Taktfahrplan immer zur selben Zeit fahren. Kurz nach dem Fahrplanwechsel vom Dezember muss die RhB ihr Angebot bereits wieder anpassen. Zwischen Davos und Filisur gilt künftig ein schwer merkbarer Fahrplan, der mehrmals ändert. Das macht den öV weniger attraktiv. Die Umstellung auf Ersatzbusse dürfte auch die Diskussion befeuern, Nebenstrecken ganz einzustellen, zumal der Bund sparen muss. Zwischen Davos und Filisur stehen grössere Investitionen an: So will die RhB die Haltestelle Davos Monstein für 20 Millionen Franken modernisieren und behindertengerecht ausbauen.
Der RhB-Direktor Renato Fasciati bezeichnete die Anpassungen als sehr schwierigen, aber notwendigen Entscheid. Oberstes Ziel sei die Gesundheit der Lokführer und die Verlässlichkeit des Angebots, sagte er auf Anfrage. Man tue alles, um die ausserordentliche Situation so rasch wie möglich zu verbessern. Fasciati machte aber auch klar: «Wir können nicht sagen, wann wir die Massnahmen zurücknehmen.»
Die Anpassungen laufen der Strategie des Kantons Graubünden zuwider, der den Anteil des öV erhöhen will. Erst im Dezember führte die RhB auf der Strecke Landquart-St. Moritz via Vereina den Stundentakt ein. Hätte die Bahn damit nicht besser zugewartet? Es handle sich um eine stark wachsende Strecke, weshalb der geplante Ausbau in Absprache mit den Bestellern umgesetzt worden sei, heisst es bei der RhB. Zudem sei die Produktion mit den Zügen nach Davos und ins Engadin, die bis Klosters gemeinsam verkehrten, effizienter geworden.
Die RhB beschäftigt mit 280 Personen zwar so viele Lokführer wie noch nie. Sie hat ihr Angebot aber stark ausgebaut. Gegenwärtig fehlen 15 Lokführer. Lange war die Verbundenheit des Lokpersonals mit seiner Bahn überdurchschnittlich gross. Doch die Krankheitsfälle und die Fluktuation haben zugenommen. «Die Dynamik auf dem Personalmarkt hat sich erhöht», sagt Fasciati. Andere Bahnen wie die SOB bauten in der Region Stellen auf. Kündigt ein Lokführer, ist er nach drei Monaten weg. Die Ausbildung von neuem Personal benötigt Zeit.
Geschadet hat der Bahnspitze, dass sie spät auf Warnungen des Lokpersonals reagiert hat. Die RhB-Sektion der Bahngewerkschaft SEV, die zurückhaltend auftritt, mahnte bereits im September 2022, das Personal sei am Anschlag. Nur dank dessen Einsatz seien bis anhin trotz Unterbestand kaum Züge ausgefallen. Der Druck auf die Lokführer ist generell gestiegen: Mit dem dichteren Verkehr wird es auf den meist einspurigen Strecken schwieriger, den Fahrplan einzuhalten. Dazu kommen technische Probleme, etwa mit der Zugsicherung ZSI.
Die RhB reagierte jedoch erst im letzten Jahr auf die Kritik und erhöhte die Löhne. Neben einer Ausbildungsoffensive helfen auch Externe aus. So führen im Vereinatunnel Lokführer der Deutschen Bahn Autozüge. Die RhB hofft, dass sie dank neu ausgebildetem Personal auch bald wieder stärker auf Anliegen der Lokführer eingehen kann.
Dennoch stellt sich die Frage, ob die RhB-Geschäftsleitung richtig aufgestellt ist. Im Oktober zog die Bahn erste Konsequenzen: Sie trennte sich per sofort und in gegenseitigem Einvernehmen vom Betriebsleiter. Vorübergehend führt der ohnehin stark ausgelastete Fasciati, der auch den nationalen Branchenverbands präsidiert, diesen Bereich.
In den letzten Jahren mussten schon andere Schweizer Bahnen mangels Lokführer Züge ausfallen lassen, darunter die SBB in der Westschweiz. Fahrpersonal fehlt namentlich bei den Verkehrsbetrieben Zürich. Sie mussten unlängst ihren Fahrplan ausdünnen und im Pandemiejahr 2022 eine Tramlinie einstellen. Damit fielen Direktverbindungen weg, aber andere Tramlinien fuhren weiter. Die Einstellung des Bahnverkehrs auf einer Strecke hat eine andere Dimension.
Für die RhB ist ein schwacher Trost, dass diesen Monat hohe Gäste mit ihr ans WEF fuhren. Der ukrainische Präsident Wolodimir Selenski gelangte mit einem optisch speziell gestalteten Triebzug nach Davos. Die chinesische Delegation um Ministerpräsident Li Qiang nahm einen Extrazug mit historischen Salonwagen, wie es im Jahr 2017 bereits Präsident Xi Jinping tat.