Die 24-jährige Sängerin gehört zu den aufstrebenden Stars der britischen Pop-Szene. Oft wird sie auch mit Amy Winehouse verglichen. Ihre Musik ist allerdings poppiger.
Es gibt viele Alben über das Erwachsenwerden und ebenso viele über das Gefühl, sich in dieser Phase zu verlieren. Doch in den vergangenen Jahren gab es kaum eines, das diese Erfahrung so kompromisslos und künstlerisch vielschichtig behandelt hat, wie es die Britpop-Sängerin Lola Young mit «I’m Only F**king Myself» tut.
In dem provokanten Titel ist die Mehrdeutigkeit schon angelegt, die sich durch ihre Musik hinzieht: Er verweist ebenso auf Selbstsabotage wie auf Selbstbestimmung. Es ist das erste Album der 24-jährigen Musikerin seit ihrem internationalen Durchbruch mit der Hitsingle «Messy», an der es im vergangenen Winter kein Vorbeikommen gab. Der Song war zugleich Bekenntnis und Einladung dafür, die eigene Unvollkommenheit sichtbar zu machen, statt sie zu kaschieren.
Grosse Offenheit
In dem Versprechen von unbedingter Authentizität liegt das Erfolgskonzept der Sängerin. Dazu gehört ihre grosse Offenheit: Online erzählt Lola Young von ihren psychischen Leiden und einer ADHS-Diagnose. Sie macht deutlich, dass diese zwar Teil von ihr sind, sie aber nicht definieren. Der Bruch mit dem makellosen Pop-Star-Image ist auch Programm des neuen Albums. Die Britin beweist damit, dass sie mehr kann, als einen Tiktok-Hit zu landen.
Während der Vorgänger «This Wasn’t Meant For You Anyway» (2024) den Sound eines sogenannten Trennungsalbums hatte, rückt sie dieses Mal als Thema selbst noch stärker ins Zentrum – mit allen Widersprüchen und Zweifeln. «Wer bin ich?» Diese Frage hallt wie ein Leitmotiv durch die Songs. Wer bin ich ohne dich? Wer bin ich ohne Drogen? Wer bin ich, wenn ich wirklich ehrlich bin?
Der erste, erstaunlich rockige Track, «Fuck Everyone», schlägt einen rauen Ton an. Die Attitüde, die die Sängerin mit Vokuhila, Grillz auf den Zähnen und einer Reihe Piercings in der Augenbraue darin aufruft, lässt sich so verbalisieren: Ich mache und nehme mir, was ich will. Dieses Gefühl zieht sich durch das ganze Repertoire, wird aber immer wieder auch aufgebrochen. Denn hinter der Härte liegen auch Verletzlichkeit, Zweifel und Angst. Aus solchen Kontrasten ergibt sich eine Dramaturgie, der Wechsel von selbstbewussten Titeln mit intimeren, nachdenklicheren Liedern sorgt für Spannung.
Im Ton bleibt Young dabei ihrem leicht nostalgischen, warmen Britpop treu. Sie liefert eingängige Refrains und Melodien, die nie nach Fliessband-Pop klingen. Schlagzeug und Gitarre sind besonders präsent, der musikalische Fixpunkt aber ist immer Youngs Stimme. Sie klingt variantenreich, mal kraftvoll, mal heiser, rhythmisch immer punktgenau.
Wegen ihres Gesangs wird Lola Young regelmässig mit Amy Winehouse verglichen. Das mag allerdings auch damit zu tun haben, dass der Manager von Winehouse, Nick Shymansky, extra für Lola Young zurück ins Geschäft gekommen ist. Wenn dieser Vergleich durch den tragischen Tod der Soulsängerin nicht sowieso schon etwas Trauriges an sich hat, wird dieser Eindruck durch neue Songs noch verstärkt, die von der Flucht in die Drogen handeln – und damit direkt an die Hits von Amy Winehouse erinnern.
Sich vergessen dank Sex
Es scheint, als müsste Young nach einem ersten, gescheiterten Versuch ein zweites Mal erwachsen werden. Die Musik erweist sich dabei als biografische Konstante. Young wuchs in London auf, besuchte die renommierte Brit School, bereits 2017 wurde sie von ihrem heutigen Manager entdeckt. Seitdem aber hat sie einiges durchgemacht. Wegen Zysten an den Stimmbändern musste sie sich einer Operation unterziehen, die ihre Stimme tiefer und rauer machte. Sie durchlebte psychische Krisen. Manie und Depression wechselten sich ab. Dazu kamen Anrufe beim Dealer und der Wunsch, sich zu betäuben.
Ihre Krisen und Schmerzen sind auf dem Album allgegenwärtig. Doch sie manifestieren sich nicht in einem Klang kalkulierter Verletzlichkeit, sie bilden nicht die Struktur einer kathartischen Erzählung. Ihre Leidensgeschichten verleihen dem Sound vielmehr eine unmittelbare Dringlichkeit.
Auch sexuelle Erfahrungen werden verarbeitet. Auf der Vorab-Single «One Thing» singt Lola Young unverblümt über Sex als ein Mittel, sich selbst zu vergessen, sich zu verlieren – zumindest auf Zeit. Im Video zu dem Song steht die Sängerin blutverschmiert und schwitzend im Boxring, um nach und nach ihre männlichen Gegner k. o. zu hauen.
Auf dem Albumcover präsentiert sich die Sängerin mit einer aufblasbaren Sexpuppe, deren Gesicht ihr eigenes ist. Das lässt sich als Kritik an der Objektifizierung von Frauen lesen oder als ironische Selbstermächtigung – denn am Ende ist sie tatsächlich die Eigentümerin der rosa Puppe.
Ob Video oder Cover: Bemerkenswert ist, dass sich Lola Young dem «male gaze», einer männlich geprägten sexistischen Objektivierung durchwegs entziehen kann. Die selbstbewusste Art, über ihre Lust zu singen, wirkt so auch 2025 noch sehr radikal. Und dieser Gestus bestimmt ihr gesamtes Auftreten. Konfrontation zieht sie der Konformität vor. Und lieber zeigt sie sich ungeschönt und ehrlich als verbogen und gefällig.
Kompromisslose Aufrichtigkeit
In der Ballade «Why Do I Feel Better When I Hurt You» stellt sie sich dieser Frage, ohne sie aufzulösen. Und auch «Not Like That Anymore», ein Song, in dem es um Veränderung geht, ist von dem Gefühl geprägt, in der Schwebe zu sein. Besonders eindringlich ist das Finale: «Who Fucking Cares». Nur von einer Gitarre begleitet, wirkt Lola Young, als sässe sie nach dem emotional anstrengenden Weg durch die vorherigen zwölf Tracks nun alleine in ihrem Zimmer und sänge von ihrem Zweifel am Glück: Gibt es so etwas überhaupt? Aber das Album endet melancholisch, nicht pathetisch: «Who cares?», fragt Lola Young zuletzt in ironischer Distanz.
Die Zerrissenheit macht den Reiz von «I’m Only F**king Myself» aus. Lola Young ringt mit der Lust ebenso wie mit dem Schmerz. In einer Pop-Welt, die sich zu oft mit Oberflächen und gefälligen Narrativen begnügt, stillt sie eine Sehnsucht: Man muss sich nicht mit diesem Pop-Star identifizieren, aber man kann an Lola Youngs kompromissloser Aufrichtigkeit teilhaben.