Die Titel von Lonza belegen seit Anfang Jahr mit Abstand den Spitzenplatz im SMI. Die Bewertung ist wieder auf alte Niveaus gestiegen. Die Aktien sind dennoch weiterhin ein Kauf.
Geschätzte Leserin, geschätzter Leser
Ob JP Morgan, Barclays oder Vontobel: Momentan scheint kaum ein Tag zu vergehen, ohne dass eine Analystin oder ein Analyst das Kursziel für den Schweizer Pharmazulieferer Lonza erhöht oder die Titel neu zum Kauf empfiehlt. Allein diesen Montag melden sich mit BNP Paribas (Neuabdeckung von Lonza mit Kursziel 600 Fr.) und Jefferies (Kurszielerhöhung von 637 Fr. auf 647 Fr.) zwei einflussreiche Investmentbanken mit Empfehlungen für das Unternehmen mit Sitz in Visp.
Zwar häufen sich die positiven Kommentare bereits seit Wochen; doch für den jüngsten Schub an Kaufempfehlungen ist die vergangene Woche angekündigte Akquisition einer Produktionsanlage von Roche in den USA verantwortlich. Die Fabrik im kalifornischen Vacaville ist auf die biotechnologische Herstellung von Arzneimitteln spezialisiert – ein grosser Wachstumsmarkt, auf den Lonza langfristig setzt – und eine der weltweit grössten ihrer Art. Seit Mittwoch hat der Aktienkurs von Lonza um rund 10% zugelegt.
Aktien haussieren 2024
Schon seit Anfang Jahr ist den Lonza-Aktien ein bemerkenswertes Comeback gelungen. Mit einem Kursplus von knapp 50% belegen die Titel mit grossem Abstand den Spitzenplatz im SMI (Platz zwei: Swiss Re, +23%). Damit hat es sich bisher voll ausgezahlt, dass unsere Redaktion die Titel auf die Liste der Schweizer Aktienfavoriten 2024 gesetzt hat. Unsere Grundidee Anfang Jahr: Mit Blick auf die zu diesem Zeitpunkt fast schon depressive Stimmung um den Pharmazulieferer – für die das Management am Kapitalmarkt im Herbst auch selbst gesorgt hatte – braucht es angesichts der nach wie vor hervorragenden langfristigen Aussichten wenig für einen Umschwung.
Das «Wenige» hat Lonza unerwartet früh im Jahr geliefert – und mehr als das. Ende Januar überraschte der Konzern mit soliden Ergebnissen und einer Beibehaltung der Mittelfristprognosen. Diese wurden im Vorfeld in Analystenkreisen zunehmend infrage gestellt. Seitdem kennt der Aktienkurs nur eine Richtung: nach oben.
Angesichts der beeindruckenden Kursrally stünde den Valoren jedoch eine vorübergehende Verschnaufpause gut an. Dass die Titel trotz den jüngsten Kaufempfehlungen von Jefferies und BNP Paribas kaum reagieren, könnte ein Zeichen dafür sein, dass der Markt ähnlich denkt.
Mit rund 525 Fr. steht der Kurs nun wieder über dem Niveau von Mitte September. Damals hat eine Serie an Negativschlagzeilen mit dem plötzlichen Rücktritt von Konzernchef Pierre-Alain Ruffieux seinen Anfang genommen. Die seitdem befürchtete Gewinnwarnung erfolgte vier Wochen später im Oktober.
Nüchtern gesagt, erscheint mir der Grossteil der «einfachen» Gewinne bei Lonza damit gemacht. Die Kurshausse der vergangenen acht Wochen war eine Erholungsrally, welche die (letzten Endes übertriebenen) Kurseinbrüche im vergangenen Herbst korrigiert hat.
Dass die Luft für weitere Kurssprünge ab jetzt dünner wird, zeigt auch ein Blick auf die Bewertung, die wieder anspruchsvolle Höhen erreicht hat. Mit einem vorausschauenden Kurs-Gewinn-Verhältnis (KGV) von 40 sind die Aktien fast doppelt so teuer wie im vergangenen Oktober – damals ist das KGV auf ein Tief von 22 und damit sowohl unter den Zehn- als auch den Fünfjahredurchschnitt gefallen.
Natürlich ist seitdem viel passiert, viele Negativ-Szenarien, die damals eingepreist wurden, sind nicht eingetreten. Dennoch ist die Bewertung, die mittlerweile nicht mehr allzu weit von der Boomphase im Sommer 2021 entfernt ist, wieder auf einem äusserst anspruchsvollen Niveau.
Hohe Bewertung gerechtfertigt
Das heisst jedoch nicht, dass eine signifikante Höherbewertung bei Lonza nicht gerechtfertigt ist und die Aktien ihr Momentum zwingend verlieren müssen. Im Gegenteil, mit dem Zukauf der Roche-Produktionsstätte in Kalifornien erhöhen sich die mittel- und langfristigen Umsatz- und Gewinnprognosen der Analysten.
Lonza selbst stellt seit der letztwöchigen Akquisition für die Jahre 2024 bis 2028 neu ein währungsbereinigtes Umsatzwachstum von jährlich 12 bis 15% in Aussicht; zuvor lag die Spanne bei 11 bis 13%. Dass das Ebitda-Margenziel bis 2028 (32% bis 34%) unverändert hoch bleibt, führt dazu, dass die Analysten derzeit reihenweise ihre Gewinnschätzungen und Kursziele nach oben anpassen.
Mit der Akquisition stärkt Lonza ihren Fokus auf die margenstarke Division Biologics, die schon jetzt mehr als die Hälfte des Umsatzes ausmacht. Dabei geht es um die Herstellung von monoklonalen Antikörpern, die aus genetisch veränderten Säugetierzellen hergestellt werden – ein hochkomplexer Prozess, bei dem Lonza weltweit führend ist. Mit dem Roche-Werk verfügt Lonza nun über eines der grössten Biologics-Produktionsanlagen der Welt.
Zudem ist es strategisch klug, neben dem Produktionsstandort in Portsmouth an der US-Ostküste nun mit einem weiteren Werk an der Westküste, in der Nähe der Biotech-Hochburg San Francisco, die Präsenz im wichtigen US-Markt zu erweitern. Wie Aussagen von Beobachtern zu entnehmen ist, legen US-Kunden immer grösseren Wert darauf, mit lokalen Auftragsfertigern zusammenzuarbeiten. Derzeit erwägt die US-Politik sogar wegen Sicherheitsinteressen, die Zusammenarbeit zwischen US-Unternehmen und chinesischen Auftragsfertigern per Gesetz zu erschweren. Das würde die Position von Lonza noch weiter stärken.
Strukturelle Trends sprechen für Lonza
Die strukturellen Trends sprechen zweifellos für Lonza. Pharmakonzerne lagern die Produktion ihrer Wirkstoffe immer mehr aus, statt eigene Fabriken zu bauen. Lonza selbst rechnet damit, dass der Anteil der von Auftragsherstellern (CDMO) produzierten Arzneimittel im Biologics-Bereich bis 2028 auf 52% stiegen wird (siehe Grafik).
Die Wirkstoffherstellung ist ein äusserst kapitalintensives Unterfangen, daher ist in diesem Geschäft Skalierung besonders wichtig. Lonza geniesst hier als dominierender Marktführer deutliche Grössenvorteile. Dass die Schweizer weiter in den Kapazitätsausbau investieren, widerspricht zudem den zuletzt aufgekommenen Sorgen vor Überkapazitäten. Im Gegenteil, Interim-Konzernchef Albert Baehny warnte zuletzt sogar vor begrenzten Ressourcen bei den Produktionskapazitäten.
Langfristig spricht also vieles für ein Engagement in Lonza-Aktien. Auch kurzfristig sehe ich trotz der Kursrally keine Gründe, die Aktien zu verkaufen. Das Momentum spricht für die Titel. Die Chancen, dass die Rally noch anhält, wenn freilich nicht im selben Tempo, sind grösser als das Risiko einer Korrektur.
Trotzdem müssen sich Anleger zwei Dinge bewusst sein: Erstens sind die «einfachen» Gewinne vorbei, mit der Bewertungsexpansion ist die alte Fallhöhe bei den Lonza-Aktien wieder da. Zweitens ist die Herstellung von Wirkstoffen ein sehr kapitalintensives Geschäft. Schon geringe Verfehlungen bei den prognostizierten Umsätzen können harsche Kursreaktionen hervorrufen – vor allem auf diesem erhöhten Bewertungsniveau. Das mussten die Aktionäre im Herbst 2023 schmerzhaft erfahren.
Kursrelevant dürfte zudem die nahende Entscheidung bei der noch immer offenen CEO-Nachfolge sein. Zuletzt hatte Albert Baehny kein glückliches Händchen bei der Wahl des Konzernchefs bewiesen. Es wäre endlich Zeit für einen Volltreffer.
Freundlich grüsst im Namen von Mr Market
Henning Hölder