Die Schweizer Unternehmen, die in der Auftragsfertigung für die Pharma- und Biotech-Industrie tätig sind, investieren kräftig, weil sie in eine rosige Zukunft blicken. Ein noch unterschätzter Wachstumstreiber ist die Abkopplung der USA von China.
Titel von Auftragsfertigern für die Pharmaindustrie erfreuen sich unter den Anlegern grosser Beliebtheit. Das zeigt sich am auffälligsten an ihren hohen Bewertungen: Auf Basis des geschätzten Gewinns für 2024 werden die Aktien von Lonza zu einem Kurs-Gewinn-Verhältnis (KGV) von 39 gehandelt und die von Dottikon ES und Bachem sogar zu 50 resp. 53. Ihnen gegenüber fallen Siegfried mit einem KGV von immer noch stattlichen 27 bereits ab.
Einen Spezialfall bildet PolyPeptide. Das Unternehmen wurde erst im April 2021 an die Börse gebracht und hat seither immer wieder enttäuscht. Nachdem es 2023 tief in die Verlustzone abrutschte, wird es aufgrund der hausgemachten Probleme auch in diesem Jahr rote Zahlen schreiben.
Verschiedene Wachstumstreiber
Grundsätzlich agieren die Auftragsfertiger oder CDMO (Contract Development and Manufacturing Organizations) in einem sehr vielversprechenden Markt. Es gibt verschiedene Wachstumstreiber. So sorgt etwa die zunehmende Alterung der Bevölkerung für einen steigenden Medikamentenbedarf. Es wird erwartet, dass mittelfristig die Absatzmenge von Pharmaka weltweit um jährlich etwas mehr als 2% steigen wird.
Die CDMO werden überdurchschnittlich daran teilhaben, weil ihr Anteil an der Produktion steigen wird. Denn die grossen Pharmaunternehmen wollen ihre Risiken reduzieren und lagern seit Jahren die Produktion zunehmend aus. Sie dürften auch bestrebt sein, die steigenden Volumen vermehrt über strategische Partnerschaften mit CDMO abzudecken.
Abkopplung von China
Ein weiterer Faktor kommt nun dazu. Im jüngsten Geschäftsbericht von Dottikon ES beschreibt Unternehmenschef und Mehrheitsaktionär Markus Blocher, wie die geopolitischen Rivalen eine materielle wirtschaftliche Entflechtung vorantreiben: «Da es unter der geopolitischen Entwicklung für westliche Biopharmaunternehmen in China, aber auch für chinesische Biopharmaunternehmen im Westen wirtschaftlich und politisch zunehmend schwieriger wird, Medikamente zu lancieren, scheinen sich diese beiden Märkte zunehmend zu entkoppeln.»
So soll der in den USA vorangetriebene Biosecure Act aus Gründen der nationalen Sicherheit verhindern, dass Unternehmen Dienstleistungen von bestimmten CDMO und CRO (Clinical Research Organizations) in Anspruch nehmen. Der Gesetzesentwurf zielt auf die wichtigsten chinesischen Biotech- und Genomics-Pharmazulieferer. Namentlich genannt wird darin etwa WuXi AppTec sowie WuXi Biologics, eine Hauptkonkurrentin von Lonza.
Weil die US-Gesetzesvorlage jüngst nicht ins jährliche Nationale Verteidigungsermächtigungsgesetz aufgenommen worden ist, sind die Aktien von Lonza prompt gefallen, während etwa die von WuXi Biologics einen Tagessprung um 14% machten. Analysten gehen aber weiterhin davon aus, dass der Biosecure Act verabschiedet wird, auch wenn der Weg dahin nun umständlicher ist.
Unterschätzter Repatriierungseffekt
Ungeachtet dessen glaubt Marc Possa, Manager des Fonds SaraSelect, dass die Abkopplung der USA von China unvermeidlich ist und sich fortsetzen wird. Sie sei in der Pharmabranche «das Thema Nummer eins». Auftragsfertigern wie Dottikon ES sei seit längerem klar signalisiert worden, dass ihre Kunden die Abhängigkeit von China verringern wollen.
Inzwischen herrsche weltweit ein Verkäufermarkt, «weil viele Pharmaunternehmen händeringend nach Kapazitäten im Westen suchen». Mit der geopolitischen Entflechtung verschiebt sich die Wirkstoff- und Medikamentenherstellung wieder näher an die entsprechenden Absatzmärkte. Nach Ansicht von Possa werden «die Effekte dieser Repatriierung im Finanzmarkt aber noch unterschätzt».
Dottikon grösste CDMO-Baustelle
Für Dottikon-ES-Chef Blocher ist klar, dass die Nachfrage nach hochqualitativen chemischen Entwicklungs- und Produktionskapazitäten für Pharmawirkstoffe zunehmen wird. Dafür sorgen auch Innovationen: Die Anzahl von Wirkstoffkandidaten und neu zugelassenen Wirkstoffen wird auch dank besserem molekularbiologischem Verständnis des menschlichen Stoffwechsels oder einer beschleunigten Marktzulassung steigen. Die Herstellung der immer spezifischeren und zielgerichteteren Medikamente ist zudem komplex und verlangt mehr Produktionsschritte.
Blocher hat bereits vor Jahren begonnen, sich mit seinem Unternehmen auf die steigende Nachfrage vorzubereiten. Gesamthaft investiert Dottikon ES rund 700 Mio. Fr. in neue chemische Produktions- und Trocknungsanlagen für Pharmawirkstoffe sowie in die Infrastruktur, wovon 400 Mio. Fr. bereits ausgegeben wurden. Von den ausstehenden 300 Mio. Fr. wird die Hälfte im laufenden Geschäftsjahr investiert und der Rest in den Folgejahren.
Die grösste Baustelle von CDMO in Europa befindet sich damit aktuell in Dottikon. Gemäss der groben Faustregel, dass 1 Franken an Investition später 1 Franken Umsatz pro Jahr generieren wird, rechnet Fondsmanager Possa damit, dass Dottikon ES in den nächsten Jahren etwa 700 Mio. Fr. mehr Umsatz erzielen kann. Das steht in Relation zu den 326,3 Mio. Fr., die für das vergangene Geschäftsjahr ausgewiesen wurden. Für den Ausbau nimmt Chef Blocher vorübergehend eine tiefere Profitabilität in Kauf, auf Dividendenzahlungen wird zwecks Reinvestition der Gewinne verzichtet.
Überdurchschnittliche Investitionen
Generell gilt die Auftragsfertigung als ein kapitalintensives Geschäft. Aktuell durchlaufen auch weitere Zulieferer eine Phase mit überdurchschnittlich hohen Investitionen. Bei Lonza lag der Capex in den vergangenen drei Jahren durchschnittlich bei gut 26% des Umsatzes. Für 2024 plant sie 25% ein. Im März hat Lonza zudem angekündigt, von Roche für 1,2 Mrd. $ eine Produktionsstätte für Biologika in den USA zu übernehmen.
Geplant ist, in die Modernisierung und den Ausbau der Anlage, weltweit eine der grössten ihrer Art, noch rund 500 Mio. Fr. zu investieren. Damit will man die steigende Nachfrage nach kommerzieller Auftragsfertigung von Antikörpern aus Säugetierzellkulturen bedienen. Im Bereich Säugetierzellen (Mammalian) ist Lonza bereits der klare Weltmarktführer.
Bachem ist spezialisiert auf die Herstellung von Peptiden, die gegenüber anderen Wirkstoffklassen lange lediglich ein Nischenprodukt waren. In Zukunft dürften die umsatzstärksten Pharmaprodukte allerdings Peptide als Wirkstoff haben. Das bedingt einen starken Kapazitätsausbau: 2023 investierte Bachem 269 Mio. Fr. oder fast die Hälfte des Umsatzes in das gesamte Produktionsnetzwerk.
Das grösste Ausbauprojekt betrifft das Gebäude K in Bubendorf, mit dem sich im Endausbau die Produktionskapazitäten am Hauptstandort mehr als verdoppeln sollen. Darauf beruht auch die Prognose des Unternehmens, bis 2026 den Umsatz von zuletzt 577 Mio. auf über 1 Mrd. Fr. zu steigern.
Ein Gegenbeispiel
Dagegen nimmt sich die Investitionstätigkeit der Siegfried Gruppe bescheiden aus. Über den Zyklus hinweg plant sie mit durchschnittlichen jährlichen Investitionen im «niedrigen Zehnerprozentbereich des Umsatzes». 2023 lagen sie inklusive Investitionen in immaterielle Anlagen bei 10,7% des Umsatzes und damit am unteren Ende der eigenen Guidance.
Die Gruppe aus Zofingen ist vor allem auch anorganisch gewachsen. Patrik Jäger, Portfoliomanager beim Vermögensverwalter IFS, zählt sie zu den «Konsolidierern der Branche». So erwarb sie 2020 von Novartis zwei Produktionsstätten in Spanien, um eine angestrebte kritische Grösse zu erreichen.
Wie Jäger betont, ist die Auftragsfertigung ein Skalengeschäft: «Je grösser der Umsatz, umso besser wird auch die Gewinnmarge sein.» Es gelte, die Auslastung zu optimieren, wobei ein Auftragsfertiger immer auch Kapazitäten für neue Projekte freihalten sollte. Denn die grossen Pharmakunden erwarten von ihren Zulieferern Flexibilität.
Lonza als Goldstandard
Die Auftragsfertigung für die Biopharmaindustrie bildet zweifellos einen spannenden Sektor für die Anleger, und die Schweizer Auftragsfertiger spielen in ihren Märkten eine prägnante Rolle. Die Frage bleibt, welcher von ihnen sich für eine Anlage am besten eignet.
Für Portfoliomanager Jäger setzt Lonza «den Goldstandard». Das Basler Unternehmen ist hinsichtlich der Anzahl an Technologieplattformen, über die es verfügt, am breitesten aufgestellt. Im letzten Jahr hat es die Anleger zwar hin und wieder enttäuscht, auch der Start ins Jahr 2024 ist verhalten ausgefallen.
Aber seine strategische Positionierung unter den global tätigen CDMO gilt unter Analysten als einmalig, sodass die grossen Pharmakonzerne an Lonza nicht vorbeikommen – erst recht nicht mit fortschreitender Abkopplung des Westens von China. Schliesslich ist WuXi Biologics, deren Fabriken laut Jäger ebenfalls «State of the Art» sind, ein Hauptkonkurrent von Lonza.
Trends nutzen Bachem
Die hochspezialisierte Bachem hält unter den Peptidherstellern mit einem Marktanteil von global 25 bis 30% vor PolyPeptide die führende Stellung. Das Unternehmen beherrscht auch die ebenfalls komplexe Herstellung von Oligonukleotiden. Die Wirkstoffe werden meist parenteral unter Umgehung des Verdauungswegs verabreicht, also injiziert. Dadurch lassen sich Medikamente besser dosieren und ihre Verträglichkeit verbessern.
Es nützt dem Auftragsfertiger, dass es gemäss Fondsmanager Possa einen klaren Trend hin zu injizierbaren Medikamenten gibt. Aktuell profitiert Bachem insbesondere vom Boom der neuartigen Abnehmspritzen. Doch Peptide und Oligonukleotide werden auch zusehends in Medikamenten gegen die Volkskrankheit Diabetes oder in Krebs- und Gentherapien angewendet.
Der Hauptmarkt von Dottikon ES ist und bleibt der Wirkstoffmarkt für Small Molecules, also kleine Moleküle. Das sind chemische Substanzen, die normalerweise in Tablettenform eingenommen werden. Dem Unternehmen zufolge stecken heute in 11% der 102 Topmedikamente auch von ihm hergestellte Wirkstoffe.
Anfang 2024 befanden sich global um 22800 Medikamentenkandidaten in der Entwicklungspipeline, 7% mehr als im Vorjahr. Der Anteil der Small Molecules daran wuchs mit 5% unterproportional, beträgt aber immer noch 53%. Mit der Inbetriebnahme der neuen Trocknungs- und Produktionsanlagen in den Jahren 2024 und 2025 wird Dottikon ES die Produktionskapazität am einzigen Standort fast verdoppeln. Das erlaubt es, ein überproportionales Wachstum in der ausgelagerten Entwicklung und Produktion von patentgeschützten Small-Molecule-Wirkstoffen einzufangen.
Siegfried mit Zukäufen
Siegfried wird sich nach Ansicht von IFS-Portfoliomanager Jäger weiterhin auf die chemische Synthese und damit auf Small Molecules fokussieren sowie auf die Herstellung von fertigen Darreichungsformen wie Tabletten oder Ampullen. Im Bereich der aus Zellen hergestellten Antikörper sei für die Gruppe «der Zug abgefahren».
2023 hat sie für einen mittleren zweistelligen Millionenbetrag 95% an der Schlieremer Biotech-Firma Dinamiqs erworben und will nun auch virale Vektoren für Zell- und Gentherapien produzieren. Das sei bisher der einzige Schritt von Siegfried in eine neue Technologie, sagt Jäger. Man müsse sich jetzt erst in diesem zukunftsträchtigen Bereich etablieren.
Jüngst hat Siegfried in den USA noch eine auf die frühe Entwicklungsphase von Small Molecules spezialisierte CDMO erworben. Es ist ein kleiner Zukauf, der vor allem der Kundenbindung diene, meint Jäger. Er erwartet nicht, dass Siegfried bald eine grössere Übernahme in Angriff nimmt. Zuerst müssten die Kapazitäten der 2020 von Novartis akquirierten spanischen Fabriken ausgelastet werden: «Dann werden sich auch die Margen verbessern.»
Vorleistungen werden sich auszahlen
Den Schweizer Auftragsfertigern bieten sich grosse Chancen in einem kräftig expandierenden Markt. Es gilt: Die Kapazität bestimmt das Wachstumstempo. Was den Kapazitätsausbau betrifft, gehen Lonza, Bachem und Dottikon ES aber weit mehr in Vorleistung als Siegfried. Das wirkt sich auf die Erwartungen des mittelfristigen Wachstums aus.
Gemäss den Konsensschätzungen von Bloomberg dürfte Lonza verglichen zu letztem Jahr bis 2027 den Umsatz um durchschnittlich 9,7% pro anno steigern. Bachem sollte gar 17,4% p.a. wachsen. Für Dottikon ES liegen keine Analystenschätzungen vor, doch auch in diesem Fall ist mit prozentual zweistelligem Zuwachs zu rechnen. Demgegenüber wird für Siegfried nur eine Umsatzzunahme um 6,9% p.a. vorausgesagt.
Dies wird sich früher oder später auch in der Gewinnentwicklung niederschlagen. Damit relativiert sich auch die gemessen am Kurs-Gewinn-Verhältnis 2024 vergleichsweise günstige Bewertung der Siegfried-Aktien.
Die Favoriten
Die Schweizer Auftragsfertiger unterscheiden sich: Verglichen zur Siegfried Gruppe ist der Lonza-Konzern umsatzmässig mehr als fünfmal so gross und investiert mehr in Wachstum, zudem ist er mit seinen Technologieplattformen besser und breiter aufgestellt. Unter den Peptidherstellern hält Bachem nicht nur einen grösseren Marktanteil als PolyPeptide, sondern bietet den Anlegern auch eine hohe Verlässlichkeit und Qualität.
Klar ist: Wer in Aktien von Auftragsfertigern investiert, sollte eine langfristige Perspektive haben. Unter diesem Aspekt favorisiert The Market die Aktien von Lonza, Bachem sowie Dottikon ES. Sie können dank starkem Wachstum in ihre hohen Bewertungen hineinwachsen.