Der reichste Mann Europas geht für seinen Buddy im Weissen Haus eine riskante Wette ein.
Ein französischer Milliardär und ein amerikanischer Präsident treffen sich auf einer Ranch in Texas. Was wie der Anfang eines Witzes klingt, ist so tatsächlich passiert. Im Herbst 2019 kamen Bernard Arnault, Chef des Luxusgüterkonzerns LVMH, und Donald Trump, damals in seiner ersten Amtszeit, in der texanischen Prärie zusammen, um eine Fabrik für Louis Vuitton zu eröffnen.
In Alvarado, auf einer Fläche so gross wie 350 Fussballfelder, sollten amerikanische Arbeiter künftig Handtaschen nähen und mit dem Etikett «Made in the USA» versehen. Arnault versprach, am neuen Standort 1000 Jobs zu schaffen.
Das war ganz im Sinne von Trumps «America first»-Agenda. Der Präsident konnte sich als Dealmaker inszenieren, der seinem Land zu Geld und Arbeit verhalf. Arnault wiederum spielte den Buddy, aber natürlich profitierte auch er von dem Geschäft: Als Gegenleistung erhielt LVMH grosszügige Steuernachlässe und blieb von den amerikanischen Strafzöllen verschont.
Rückblickend wirken die Szenen aus Texas wie ein Intro für Trumps zweite Amtszeit. Mehr denn je setzt er auf das Gebot der Reindustrialisierung. Möglichst alles soll im eigenen Land produziert werden. Nach «America first» gilt nun «America alone».
Doch eine Vision allein reicht noch nicht. Ausgerechnet in Texas zeigt sich, wie weit Idee und Realität auseinanderliegen können.
Doppelt so viel Ausschuss wie üblich
Eigentlich sollten in Alvarado Modelle wie die «Neverfull» oder die «Metis» entstehen – Handtaschen, die im Verkauf 1500 Dollar und mehr kosten. Nur: Es gibt schlicht keine Arbeiter, die wissen, wie man diese herstellt. In internen Rankings soll die texanische Fabrik zu den schlechtesten im gesamten LVMH-Konzern gehören.
Durch fehlerhaftes Zuschneiden und Zusammennähen der Lederhäute sei tonnenweise Material verlorengegangen. Das berichtet die Nachrichtenagentur Reuters nach Gesprächen mit mehreren ehemaligen Mitarbeitern. 40 Prozent des Leders landeten im Abfall, doppelt so viel wie in der Branche üblich.
Um die vorgegebenen Stückzahlen trotzdem erreichen zu können, wurden Fehler bewusst ignoriert oder vertuscht. Eine Angestellte erzählte, wie sie mit einer heissen Nadel versucht habe, Leder zu schmelzen, um die Löcher zu kaschieren.
Als Reaktion auf die anhaltenden Probleme hat Louis Vuitton die Produktion auf weniger anspruchsvolle Modelle umgestellt. Die teuersten Taschen werden inzwischen wieder an anderen Standorten in Europa gefertigt. Was weiterhin in Texas produziert wird und trotzdem durch die Qualitätskontrolle fällt, wird nicht nachgebessert, sondern geschreddert und verbrannt.
Louis Vuitton hat bestätigt, dass die Fabrik die Erwartungen verfehlt. «Es stimmt, dass der Produktionsanlauf schwieriger war als erwartet», teilte der Produktionsleiter des Unternehmens mit. Und er gab auch zu, dass einige Angestellte das Werk wegen der strengen Anforderungen wieder verlassen hätten. Aus Trumps Jobwunder ist bisher nichts geworden. Von den 1000 versprochenen Stellen sind knapp 300 besetzt.
Amerikaner wollen gar nicht in die Fabrik zurück
Dass sich der Aufwand in Texas langfristig lohnt, bezweifeln manche Fachleute. Frank Müller ist Dozent an der Universität St. Gallen und Berater von Luxusfirmen. Er sieht das Problem in der Umsetzung. «Mercedes-Benz und BMW beweisen seit Jahren, dass Produktion in den USA funktionieren kann», sagt er. Im Fall von Louis Vuitton fehle es aber an Arbeitern mit Erfahrung im Lederhandwerk. Und es ist unklar, ob das Unternehmen bereit ist, in den Aufbau dieses Know-hows zu investieren. Müllers Fazit: «Die Standortwahl hat in diesem Fall nicht funktioniert.»
Ein Teil der Wahrheit ist aber auch, dass die Fabrik von Anfang mehr Symbol als Werkstätte war. Ohne die persönliche Beziehung zu Trump wäre Bernard Arnault nicht nach Texas gegangen. Der Präsident und er kennen sich seit Jahren, manche würden sagen: Sie sind befreundet. Arnault war bei Trumps zweiter Amtseinführung dabei.
Nun aber liefert ausgerechnet seine Fabrik den unfreiwilligen Beweis dafür, wie naiv Trumps Politik sein kann.
Denn der Plan, globale Lieferketten zu durchbrechen und Amerika zur industriellen Selbstversorgernation zu machen, ist schwer umzusetzen. Fachwissen lässt sich nicht einfach einkaufen. Und der Traum von der neuen Industrienation passt oft nicht zu den Lebensrealitäten der Amerikanerinnen und Amerikaner. Viele von ihnen wollen schlicht nicht in die Fabrik zurück.
Ein KI-produziertes Video, das diese Woche kursierte, zeigt das Dilemma auf. Zu sehen sind Amerikaner, dickleibig und traurig, wie sie unter dem grellen Licht der Fabrikhalle Kleidung nähen und Handys zusammenschrauben. Zwischen den leeren Blicken und den schwitzenden Gesichtern die Botschaft: So golden, wie Trump denkt, ist diese Welt nicht.
Tatsächlich hat schon heute jedes zweite Industrieunternehmen in den USA Mühe, qualifiziertes Personal zu finden. Das schreibt der Verband der amerikanischen Industrieunternehmen. Bis 2033 könnten fast zwei Millionen Arbeitskräfte fehlen. Trumps Abschiebungspläne für Millionen von illegal eingereisten Arbeitern sind da noch nicht eingerechnet.
Europas Luxushäuser haben ein Imageproblem
Auch für Arnault wird der einstige Freundschaftsdienst zum Risiko. Der Luxusexperte Frank Müller sagt: «Die Nachricht, dass es überhaupt Qualitätsprobleme bei Louis Vuitton gibt, ist für LVMH peinlich genug.» Die europäische Luxusindustrie lebe vom Mythos lokaler und traditioneller Handwerkstechniken. Wenn sich nun herausstelle, dass die Produkte in Wahrheit von unqualifizierten Arbeitskräften in Texas hergestellt werden, untergrabe das dieses Vertrauen.
Fast schon wie ein Beweis für den Imageschaden ist diese Woche etwas passiert, was sich Arnault nie hätte träumen lassen: Der Hauptkonkurrent Hermès hat LVMH als wertvollsten Luxuskonzern der Welt abgelöst – ein Unternehmen, das wohl niemals auf die Idee kommen wird, in den USA zu produzieren.
Bernard Arnault will trotz allen Schwierigkeiten am texanischen Standort festhalten. LVMH kündigte sogar an, die Produktion in Alvarado auszubauen. Dafür werde ein anderes Werk in Kalifornien geschlossen. Den Mitarbeitenden dort habe man bereits erklärt, sie könnten entweder nach Texas umziehen – oder kündigen.
Wahrscheinlich ist Arnaults Entscheid, in Texas zu bleiben, eine weitere Geste in Richtung Washington. Denn wenn Trump seine angedrohten Strafzölle für Europa doch noch durchsetzt, könnte es dieses Mal auch LVMH treffen.
Vielleicht aber glaubt Bernard Arnault tatsächlich an seinen amerikanischen Traum. Immerhin das Leder der texanischen Rinder dürfte so gut sein wie jenes aus Europa.
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