Der Pianist bringt immer wieder Kunst und Politik zusammen. Das zeigt nun auch das Programm für Levits zweites «Klavier-Fest» in Luzern. Darin bekommt sogar der umstrittene Polit-Rapper Danger Dan einen Auftritt.
Igor Levit bleibt unberechenbar. Der deutsche Pianist, der sich als engagierter Staatsbürger versteht und deshalb auch schon als politischer Aktivist in Erscheinung getreten ist, hat früher bei seinen Konzertauftritten häufig für Aufsehen gesorgt, indem er sich in kurzen Ansprachen an das Publikum wandte. Darin richtete er den Blick auf das Erstarken von Rechtsextremismus und Antisemitismus, auch Klima- und Umweltschutzprojekte waren schon Thema für diesen kämpferischen Künstler. Das gewann ihm eine neue Hörerschaft, es verstörte aber auch Teile des klassischen Konzertpublikums, denn dass ein Künstler sich derart weit aufs rutschige Parkett der Politik hinauswagt, ist im Musikbetrieb noch immer nahezu einzigartig.
Seit einiger Zeit hält sich Igor Levit allerdings auffällig zurück. Seine politischen Statements haben sich weitgehend ins Internet verlagert, und seine Posts auf Social Media erzählen inzwischen auch stärker von persönlicher Betroffenheit, etwa wenn er angesichts des terroristischen Überfalls der Hamas auf Israel eine Rückbesinnung auf die eigenen jüdischen Wurzeln durchblicken lässt. Vielleicht ist das ein Eingeständnis, dass Kunst die unübersichtlich gewordene Weltlage eben doch nur unscharf widerspiegeln kann – jedenfalls, wenn sie mehr sein soll als fragwürdige Agitation. Dass sich Levit darüber auf ein reines L’art pour l’art zurückgezogen hätte, sollte man trotzdem nicht glauben. Das zeigt nun auch das Programm des zum zweiten Mal von ihm kuratierten «Klavier-Fests» am Lucerne Festival.
Mut zum Anecken
Die politische Positionierung und womöglich auch die Agitation überlässt er darin einem Freund, dem Rapper Danger Dan. Der verursachte vor gut anderthalb Jahren einen Eklat bei der Verleihung des «Opus Klassik» an Levit, als er bei seiner Laudatio «alle Antisemiten, Rassisten, Antifeministen und AfD-Sympathisanten vor den Fernsehgeräten» kurzerhand als «Vollidioten» bezeichnete. Zuletzt sorgte er mit dem Song «Oktober in Europa» für Aufsehen, der die demonstrative Gleichgültigkeit von Teilen der Öffentlichkeit gegenüber dem Hamas-Terror geisselt. Mit einem Programm rund um den Song «Das ist alles von der Kunstfreiheit gedeckt», der sich gegen die sogenannte Neue Rechte richtet, ist Danger Dan nun auf Einladung Levits beim «Klavier-Fest» zu Gast.
Ob das alles noch von der Idee eines traditionellen Klavierfestivals gedeckt ist, steht auf einem anderen Blatt. Dafür hat man Levit aber auch nicht engagiert: Er soll dem 2019 unglücklich gestrandeten Festival-Ableger neues Profil geben, nicht zuletzt im Hinblick auf die konkurrierende Reihe «Le Piano Symphonique» mit Martha Argerich am selben Ort. Dass Levit nach dem gemässigten ersten Durchgang 2023 in Kauf nähme, im Zweifel auch einmal anzuecken – man konnte es wissen bei diesem Künstler. Sein eigenes Programm zur Festivaleröffnung am Donnerstag ist denn auch ebenfalls politisch getönt, allerdings subtiler, allein auf der Grundlage einer klassischen Werkfolge.
Künstler und Zeitgenosse
Fast klassisch, muss man sagen. Das Hauptwerk des Abends bildete nämlich Beethovens «Sinfonia eroica» in der selten gespielten, weil aberwitzig schwierigen Klavieradaption von Franz Liszt. Die «Eroica» ist Beethovens politischste Komposition, längst weiss man, dass der Komponist darin seinen einstigen Helden Napoleon symbolisch zu Grabe trägt, weil der Kaiser der Franzosen in seinen Augen den Freiheitsgedanken der Revolution verraten hat.
Igor Levit macht den zweiten Satz, die Marcia funebre, folglich zum Zentrum des Konzerts. Die hier entfesselten Klanggewalten gehen bis an die Grenzen des – vorzüglich intonierten – Steinway-Flügels, aber wundersamerweise nie darüber hinaus. Spätestens hier hat man angesichts der vielen Farben und der extremen Hell-Dunkel-Kontraste ohnehin vergessen, dass es sich eigentlich um ein Orchesterwerk handelt. Ob Levit bei der Wiedergabe im Hinterkopf hatte, dass dieser Trauermarsch an den Olympischen Spielen 1972 in München nach der Ermordung israelischer Sportler durch ein palästinensisches Terrorkommando gespielt wurde?
Zuzutrauen wäre es ihm. Ebenso, dass er im ersten Teil die eigene Doppelrolle als Künstler und kritischer Zeitgenosse thematisiert. Bachs «Chromatische Fantasie und Fuge» BWV 903, etwas fahrig und mit zu viel Pedal gespielt, und Brahms’ tiefsinnige letzte Klavierstücke op. 119 sind Beispiele einer absoluten Kunst, ohne jeden politischen Bezug. Gerade die späten Einsamkeitsmonologe von Brahms scheinen sich mit ihrem melancholisch-resignativen Gestus regelrecht von der Welt abkehren zu wollen. Für Igor Levit war das nie eine Option.