Sein Fall könnte nun die politische Spaltung des Landes vertiefen.
Zum ersten Mal in der Geschichte Südkoreas ist ein amtierender Präsident verhaftet worden. Die südkoreanische Polizei hat es am Mittwochmorgen bei ihrem zweiten Versuch geschafft, einen Haftbefehl gegen den suspendierten Präsidenten Yoon Suk Yeol zu vollstrecken. Yoon war vom Parlament wegen der kurzzeitigen Verhängung des Kriegsrechts im Dezember suspendiert worden war. Diesmal hatten die Ermittler Erfolg.
Den ersten Versuch hatte der Sicherheitsdienst des Präsidenten noch verhindert. Doch diesmal waren die Ermittler besser vorbereitet. 3000 Polizisten hinderten rund 8000 Anhänger des Präsidenten daran, den Zugang zur Residenz zu blockieren. Zudem hatten die Polizisten Leitern mitgebracht, um trotz verbarrikadierter Eingänge und einer kleinen Menschenkette von Abgeordneten von Yoons People Power Party auf das Gelände zu gelangen.
Anders als beim ersten Versuch am 3. Januar leisteten die Sicherheitskräfte keinen Widerstand. Nach mehrstündigen Verhandlungen gab auch der Präsident seinen bisherigen Widerstand gegen die Verhaftung auf. In einer vorab aufgezeichneten Rede erklärte er jedoch den Haftbefehl der südkoreanischen Anti-Korruptionsbehörde (CIO) für illegal.
Seine Antwort auf diese «illegale und ungültige Vollstreckung des Haftbefehls» sei keine Anerkennung der Befugnis des CIO, den Fall zu untersuchen, «sondern lediglich der Wunsch, gewalttätige Auseinandersetzungen zu vermeiden», sagte Yoon. Der suspendierte Präsident wurde zum CIO-Hauptquartier gebracht, wo er nun zur Verhängung des Kriegsrechts am 3. Dezember 2024 verhört wird.
Die rechtliche Aufarbeitung beginnt
Die Befragung des Präsidenten wäre ein wichtiger Schritt bei der juristischen Aufarbeitung von Yoons Griff in die Trickkiste früherer südkoreanischer Militärdiktaturen, der das Land inzwischen immer tiefer spaltet. Zur Überraschung der Südkoreaner hatte Yoon versucht, mit Hilfe des Kriegsrechts das von der linken Opposition dominierte Parlament zu entmachten und führende Politiker festzunehmen.
Der Versuch scheiterte allerdings schnell, da der radikale Schritt weder im Militär noch in der Bevölkerung breite Unterstützung fand. So verhinderten die eingesetzten Spezialeinheiten des Militärs eine Dringlichkeitssitzung des Parlaments nicht. Den Parlamentariern gelang es, das Kriegsrecht per Mehrheitsbeschluss wieder aufzuheben.
Zehn Tage später stimmte das Parlament sogar mit den Stimmen einiger Abgeordneter der konservativen Regierungspartei für die Amtsenthebung des Präsidenten, die nun noch vom Verfassungsgericht bestätigt werden muss.
Mindestens sechs Richter und Richterinnen des offiziell neunköpfigen Gremiums müssen dafür dem Antrag des Parlaments zustimmen.
Die Anhörungen haben bereits begonnen und sollen schnell fortgesetzt werden. Denn der Fall Yoons droht die politische Spaltung des Landes wieder zu vertiefen, da er das Kriegsrecht als legitim verteidigt und die Ermittlungen gegen ihn als illegal zurückweist.
Die politische Spaltung vertieft sich
Der suspendierte Präsident hat damit den harten Kern seiner Anhänger in der Bevölkerung mobilisiert und auch Teile seiner Partei hinter sich versammelt. Seine Gegner können zwar weitaus mehr Menschen für Demonstrationen mobilisieren. Doch am Mittwoch hatten sich nach Angaben der örtlichen Polizei immerhin 8700 Menschen in der Nähe der Residenz versammelt, um lautstark für ihr Idol Yoon einzutreten.
«Wir werden mit dem Präsidenten kämpfen», skandierten sie laut einem Bericht der südkoreanischen Zeitung Chosun Ilbo. Auch Rufe, stattdessen den Chef der Demokraten, Lee Jae-myung, zu verhaften, hallten durch die Nacht. Bei dem Versuch, zur Residenz zu gelangen, kam es zu Zusammenstössen mit der Polizei.
Yoons harte Haltung hat sich ausgezahlt: In jüngsten Meinungsumfragen hat seine Partei den anfangs grossen Rückstand auf die Demokraten fast aufgeholt. Jenny Town, Korea-Expertin der amerikanischen Denkfabrik Stimson Center, erklärt diesen Wandel mit der Unzufriedenheit vieler Südkoreaner über die extreme Frontstellung zwischen den Parteien. «Die Südkoreaner wollen das nicht mehr», urteilt Town. Dafür sei auch die linke Opposition verantwortlich.
So hatten die Demokraten nach ihrem Sieg bei den Parlamentswahlen im Frühjahr 2024 Yoons Regierung nach Kräften blockiert und insgesamt 29 Amtsenthebungsverfahren gegen Minister und hohe Beamte angestrengt. Nach Yoons Suspendierung setzte die Partei diesen Kurs fort – zum eigenen Schaden. «Vor diesem Hintergrund haben die Absetzung des Interimspräsidenten Han Duck-soo und die starke Einflussnahme der Demokratischen Partei auf die politische Agenda den Demokraten keine neue Unterstützung gebracht», beobachtet Town.
Zudem würden viele Südkoreaner den Vorsitzenden der Demokraten, Lee, ablehnen, der durch Gerichtsverfahren politisch schwer belastet ist und als ideologisch motiviert und kompromisslos gilt.
Lee wurde bereits zu einer Bewährungsstrafe verurteilt. Sollte sein Berufungsverfahren scheitern, wäre er von den Präsidentschaftswahlen ausgeschlossen. Zudem droht ihm in weiteren Verfahren sogar eine Gefängnisstrafe.
Der Parteienstreit droht nun die politischen Spannungen vor einer wahrscheinlichen Neuwahl des Präsidenten zu verschärfen. Town geht zwar davon aus, dass das Verfassungsgericht die Amtsenthebung aufrechterhalten wird. «Aber es gibt viel Frustration über den Zustand der Politik in Südkorea im Allgemeinen», sagt sie, «niemand wird in diesem Prozess als Held gesehen.» Zudem sei unklar, welche Kandidaten die Parteien am Ende aufstellen werden. «Uns stehen Monate der Ungewissheit bevor», meint Town.