Die landesweiten Proteste gegen Maduros Wahlbetrug halten an. Das Regime reagiert mit brutaler Repression. Es gibt Tote und Tausende Verhaftete.
Eine Woche nach der Präsidentschaftswahl sind in Venezuela Zehntausende dem Aufruf der Opposition gefolgt und haben gegen den Machthaber Nicolás Maduro protestiert. Die Opposition wirft dem seit elf Jahren amtierenden Präsidenten Wahlbetrug vor. Nicht Maduro, sondern der Oppositionskandidat Edmundo González habe die Wahlen gewonnen.
Bei der Kundgebung in der Hauptstadt Caracas trat auch die Oppositionsführerin María Corina Machado auf, die sich aus Angst vor Verhaftung seit Tagen versteckt gehalten hatte. «Wir waren noch nie so stark wie heute», sagte Machado, die selbst nicht an den Wahlen teilnehmen durfte.
Unabhängige Beobachter wie das Carter Center haben inzwischen bestätigt, dass die Wahlen «undemokratisch» waren. Nach eigenen Angaben verfügen die Regierungsgegner über detaillierte Ergebnislisten aus mehr als 80 Prozent der Wahllokale. Laut jenen soll González 67 Prozent der Stimmen erhalten haben, Maduro nur 30 Prozent. Die USA und ein halbes Dutzend lateinamerikanischer Staaten erkannten den Oppositionskandidaten González als rechtmässigen Präsidenten an.
Maduro erzählt von versuchten Anschlägen und Komplotten
Nachdem sich Maduro noch in der Wahlnacht zum Sieger erklärt hatte, verschärfte er seinen Kurs gegenüber der Opposition. Er wirft ihr Putschversuche und Terrorismus vor. Die Sicherheitsbehörden hätten bereits 2000 Demonstranten festgenommen. 80 Prozent der Festgenommenen seien von rechten und faschistischen Kreisen ausgebildet worden, behauptete Maduro, ohne dies belegen zu können.
In den staatlichen sozialen Netzwerken ergeht sich der Machthaber in immer neuen Drohungen und Verschwörungsplänen: So behauptet er, Anschläge gegen ihn seien geplant. In einem weiteren Post erklärt er, dass in den nächsten Wochen zwei Hochsicherheitsgefängnisse für Verhaftete wieder geöffnet würden. Er droht den Verhafteten mit Zwangsarbeit im Strassenbau zur «Umerziehung».
Nach Angaben der Organisation Monitor de Víctimas sind seit der Wahl mindestens 20 Menschen bei gewaltsamen Auseinandersetzungen ums Leben gekommen. Vor allem bei Protesten in Armenvierteln gehen Militär und Sondereinheiten der Polizei brutal vor. Dort komme es zu Massenverhaftungen, bei denen 40 oder 50 Menschen gleichzeitig abgeführt würden, sagt Juanita Goebertus, Direktorin für Nord- und Südamerika bei Human Rights Watch. Haftbefehle gebe es nicht. Die Richter fällten die Gruppenurteile online im Minutentakt. «Das ist eine grössere Repressionswelle, als wir sie in anderen Protestjahren erlebt haben.»
Die Armenviertel waren einst die Hochburgen des «chavismo». Maduros Vorgänger Hugo Chávez konnte sich dort von 1999 bis zu seinem Tod 2013 auf seine politische Machtbasis stützen. Doch nach elf Jahren Wirtschaftskrise unter Maduro sind die Menschen vom Linkspopulismus enttäuscht. Viele Arme verlassen das Land. Ein Viertel der Bevölkerung ist inzwischen aus dem Land mit den grössten Erdölreserven der Welt geflohen.
Zum ersten Mal zeigen die Armen offen ihre Unzufriedenheit und Frustration – trotz drohender Repression. Die soziale Basis des Chavismus sei mit dem Wahlbetrug vom 28. Juli zerstört worden, sagt der Historiker Pedro Benítez. Es seien nicht mehr wie früher vor allem die Mittelschicht und die Studenten, die gegen das Regime auf die Strasse gingen. «Es sind die ehemaligen Anhänger von Chávez, die mit ihm aufgewachsen sind, die heute protestieren», sagte Benítez der Tageszeitung «Tal Cual».
Will Maduro überhaupt nicht verhandeln?
Am Samstag forderten sieben europäische Staaten Venezuela auf, «alle Wahlunterlagen zu veröffentlichen, um die volle Transparenz und Integrität des Wahlprozesses zu gewährleisten». Die Europäer wollen – anders als die USA – vermeiden, durch die Anerkennung des Wahlsiegs der Opposition die Verhandlungskanäle mit dem Regime abzubrechen. Nach den Wahlen 2019 hatten viele Staaten den Oppositionsführer Juan Guaidó als legitimen Präsidenten anerkannt. Dieser konnte sich jedoch nicht durchsetzen, und das Regime blieb an der Macht.
Wichtige lateinamerikanische Unterstützerstaaten Venezuelas wie Brasilien, Kolumbien und Mexiko haben den Wahlsieg Maduros bislang nicht anerkannt. Sie hoffen auf Einfluss auf das Regime.
Doch Maduro scheine nun den Weg der totalen Isolation vom Westen gehen zu wollen, wie es der Diktator Daniel Ortega in Nicaragua vorgemacht habe, meint der Lateinamerika-Experte Brian Winter von «Americas Quarterly». Nicaragua ist inzwischen völlig von der Unterstützung Chinas und Russlands abhängig.







