Der Schauspieler Jacob Elordi oder der Footballer Travis Kelce zeigen sich mit Herrenhandtaschen. Den Trend prägen auch die Talahons: Das sind junge Männer mit arabischem Migrationshintergrund, die in Luxus-Accessoires ein Statussymbol sehen.
Eine der erstaunlichen Erfolgsgeschichten in der jüngeren Geschichte der Mode ist die der Herrenhandtasche. Wer hätte gedacht, dass dieses Accessoire, das lange einen eher zweifelhaften Ruf hatte, ein solcher Erfolg werden würde? Man bekommt Herrenhandtaschen inzwischen überall, von extrem billig bis superteuer, mit oder ohne Statuswert. Und tatsächlich sieht man sie auch auf der Strasse, etwa bei einer Gruppe Vorstadtjungs, den sogenannten Talahons.
Als Talahons bezeichnen sich junge Männer, die meist einen arabischen Migrationshintergrund haben. Sie legen viel Wert auf materielle Statussymbole, tragen bevorzugt Jogginghosen, Goldketten und eben Handtaschen nach dem Modell der Luxushersteller (oder Kopien davon). Darin befinden sich neben Smartphone, Powerbank und Sackmesser nicht selten Utensilien zum Drehen von Joints, eine Sonnenbrille, ein Fächer mit Kredit- und Debitkarten sowie Mini-Portionen von Spirituosen.
Aus Sicht des Product-Managements ist der Aufstieg der Herrenhandtasche ein Coup: Für die Hersteller öffnet sich eine neue, recht grosse Zielgruppe, die ein zunehmendes Bedürfnis nach Stauraum hat. Denn anders als die Frauen, die vermehrt weit geschnittene Oversize-Kleidung tragen, kleiden sich die meisten Männer noch immer in schmale Hosen, eng geschnittene Hemden und karierte Jacken, und es erklärt sich von selbst, dass man in solch körperbetonter Kleidung keine Siebensachen verstauen kann.
Das Smartphone findet ein Zuhause
Rapper, Schauspieler, Influencer und Pop-Stars – sie alle haben das neue Accessoire dankend angenommen. Es beschert ihnen gute Einkünfte, denn plakativer kann man eine Marke kaum zur Schau tragen. So trägt Travis Scott gerne Louis Vuitton, Harry Styles schwört auf Gucci, Jared Leto ist mit Givenchy verbandelt und Jacob Elordi bei Bottega Veneta unter Vertrag. Zur Verbreitung der Herrenhandtasche hat auch die Omnipräsenz des Smartphones beigetragen: Diese Geräte sind in jüngster Zeit nicht leichter oder kleiner, dafür immer teurer und komplexer geworden, und ein solch elaboriertes Taschenbüro schützt man besser mit einer passenden Tasche, will man es nicht mit einer hässlichen Plastikhülle am Gürtel tragen.
Der Durchbruch der Herrenhandtasche wäre aber auch nicht denkbar gewesen ohne das jüngste Kapitel in der Geschichte der weiblichen Emanzipation: Immer weniger Frauen haben noch Lust darauf, ihren Lebenspartnern am Wochenende, wenn diese ohne Laptop- oder Aktentasche unterwegs sind, Schlüssel und Geldbeutel hinterherzutragen. Also brauchen die Herren nun eine eigene kleine Tasche – am besten eine zum Umhängen, dann hat man die Hände frei für den Coffee-to-go und das Mobiltelefon.
Jüngere Männer haben das rasch begriffen und das neue Accessoire als selbstverständlich angenommen. Es ersetzt als Statussymbol auch leicht eine Armbanduhr, schliesslich haben die angesagten Styles der Luxushersteller locker vierstellige Preise.
Die Schlenker-Täschchen der 1980er
Ältere Männer tun sich mit dem Revival etwas schwer, weil sie noch das Bild des Handtäschli-Mannes aus den 1970er und 1980er Jahren im Kopf haben, der sich gerne mit einem ledernen Schlenker-Täschchen schmückte – Typus Günter Netzer. Die damals üblichen Modelle hatten statt eines Trageriemens eine Handschlaufe und passten ins Handschuhfach eines Sportwagens. Im Täschchen befanden sich Cigarillos, Adressbuch/Agenda, eine Pilotenbrille sowie Visitenkarten und vielleicht ein Flachmann. Der Komiker Hape Kerkeling hat dieses Accessoire mit seiner Kunstfigur Horst Schlämmer für immer unmöglich gemacht.
Entwickelt haben sich die neuen Herrenhandtaschen aus der Bauchtasche, auch «fanny pack», «bum bag» oder «hip bag» genannt – also aus jenem Accessoire, das Touristen so gerne auf Hüfthöhe tragen. Diese Taschen wurden in jüngster Zeit immer exklusiver, so dass die stilbewussten Männer begannen, sie quer über der Brust zu tragen. Man sollte schon sehen, was man am Leib hat! Diese zu Beginn eher formlosen Brust- oder Unterarmtaschen wurden definierter und schliesslich feiner und femininer. Ein kleiner Flirt mit den verschobenen Geschlechterkonventionen steht heute auch strammen Hetero-Männern gut.
Bleibt die Frage, wie man das neue Ding nun nennen sollte. Vielleicht «Clutch»? Zu feminin, darunter versteht man gemeinhin eine Abendtasche. «Pouch»? Tönt irgendwie zu sehr nach Wäschebeutel. «Sling-Bag», von «Schlinge»? Klingt leicht schlüpfrig nach Unterwäsche. Dann doch eher «Murse», eine inzwischen gebräuchliche Kurzform von «man purse». Alles Unfug? Wer dieser Meinung ist, sollte vielleicht bei jener Herrenhandtasche bleiben, die man vom Polterabend her kennt: einem Sechserpack Bier im Karton mit Tragegriff.