Donald Trumps sprunghafte Politik hat auch Folgen für die Börse. Tesla und US-Technologiewerte stehen auf den Verkaufszetteln vieler Investoren, während europäische Aktien Kursgewinne erzielen.
Europa top, USA ein Flop – die Entwicklung der Börsen seit Anfang dieses Jahres zeigt ein ungewohntes Bild. Der europäische Aktienindex Stoxx-Europe-600 hat in diesem Jahr bisher um 7,7 Prozent zugelegt, während das amerikanische Standardwerte-Barometer S&P 500 mit 4,4 Prozent im Minus liegt.
Dies ist eine überraschende Entwicklung, zumal es in den vergangenen Jahren meist andersherum war. Noch Ende 2024 bejubelten die Investoren die Einzigartigkeit der US-Börse. In der Tat haben sich amerikanische Aktien auf lange Sicht deutlich besser entwickelt als europäische Titel, wie ein Blick auf das diesjährige «Global Investment Returns Yearbook» der Professoren Elroy Dimson, Paul Marsh und Mike Staunton zeigt.
Diesem zufolge haben US-Aktien im Zeitraum 1900 bis 2024 nach Abzug der Inflation eine durchschnittliche Rendite von 6,6 Prozent erreicht, während es bei europäischen Papieren nur 4,1 Prozent pro Jahr waren.
Kapital fliesst aus den USA nach Europa
Auch in den vergangenen Jahren hatte der US-Aktienmarkt gegenüber den europäischen Börsen deutlich die Nase vorn: Dies lag vor allem an der sehr starken Entwicklung der US-Technologieaktien. «Die USA galten lange als aussergewöhnlich leistungsfähig, doch in den letzten drei bis vier Wochen hat sich dieses Bild verändert», sagt Stephen Cohen, Mitglied des globalen Exekutivkomitees des US-Vermögensverwalters Blackrock.
In den letzten Wochen habe es eine deutliche Verschiebung der Kapitalflüsse gegeben. Es sei der grösste Zufluss in europäische Aktien-ETF der Blackrock-Produktgruppe iShares seit etwa vier Jahren, sagt Cohen.
Trump und Deepseek als Gründe
Andere Vermögensverwalter haben ebenfalls massive Umschichtungen weg von den USA in Richtung Europa beobachtet. Dafür machen sie mehrere Gründe geltend:
Kehrtwende bei den Annahmen zu Trump: «In den vergangenen Wochen hat es bei den Annahmen der Anleger zur Präsidentschaft von Donald Trump eine komplette Kehrtwende gegeben», sagt Valentin Bissat, Ökonom und Anlagestratege bei der Bank Mirabaud in Genf. Anfang Jahr hätten die Investoren optimistisch auf Trumps Präsidentschaft geblickt und sich auf Steuersenkungen und Deregulierungen eingestellt. Viele seien davon ausgegangen, dass bei Trumps Ankündigungen zu Zöllen auch viel Getöse dabei sei.
Im Anschluss seien dann viele von Trumps strenger Zollagenda und dem ständigen Hin und Her bei seinen Zollplänen überrascht worden. Trumps Politik habe dem Konjunkturausblick geschadet, sagt Bissat. «Als Reaktion haben viele Anleger ihre Trump-Trades aufgelöst.» Damit ist gemeint, dass Investoren auf US-Aktien und bestimmte Branchen gesetzt hatten, weil sie sich hier Kursgewinne infolge einer wirtschaftsfreundlichen Politik unter Trump versprachen. Dies wurde nun teilweise korrigiert.
Deepseek fordert US-Tech-Firmen heraus: Beim gedämpften Optimismus der Anleger in Bezug auf US-Aktien dürfte auch das Thema Deepseek eine Rolle spielen. Das chinesische Startup-Unternehmen hat im Januar ein KI-Modell vorgestellt und dabei für eine Überraschung gesorgt. Dieses gilt in vielerlei Hinsicht als ähnlich gut wie die Modelle der amerikanischen Unternehmen, ist aber deutlich günstiger. Angesichts der massiven Ausgaben der US-Technologiefirmen im Bereich künstliche Intelligenz (KI) und ihrer hohen Bewertungen habe dieser «chinesische KI-Moment» für Unruhe an der Börse gesorgt, sagt Bissat.
Grosse Ausgabenprogramme in Europa: «In vielen europäischen Ländern zeichnet sich zudem ein Kurswechsel in der Finanzpolitik ab», sagt George Alevrofas, der Anlagechef des Zürcher Vermögensverwalters VT Wealth Management. So haben sich in Deutschland Union, SPD und Grüne auf ein 500 Milliarden Euro grosses Paket für Infrastruktur und Verteidigung geeinigt. Der Deutsche Bundestag soll dieses am Dienstag beschliessen. Dafür sind deutlich mehr Schulden nötig. Bei Börsianern sorgt dies für Konjunkturoptimismus und Hoffnungen auf höhere Unternehmensgewinne.
Nachholbedarf in Europa: Vor den Umschichtungen seien viele Investoren stark in US-Werten übergewichtet und entsprechend in anderen Märkten wie Europa untergewichtet gewesen, sagt der Blackrock-Vertreter Cohen. Nun gebe es eine gewisse Neugewichtung, bei der Anlageportfolios wieder stärker ausbalanciert würden. Zunächst handle es sich um eine Anpassung an eine günstigere Bewertung europäischer Aktien, die lange unterrepräsentiert gewesen seien.
Rückläufige Inflation: «Während in den USA die Inflation weiterhin ein zentraler Unsicherheitsfaktor bleibt, zeigen sich in Europa deflationäre Tendenzen», sagt Alevrofas. Dies erhöhe die Wahrscheinlichkeit einer anhaltend lockereren Geldpolitik. Der direkte Vergleich der Zinserwartungen zeige jedoch, dass auch hier nicht zu viel erwartet werden sollte: In den USA rechneten die Beobachter mit drei, in Europa noch mit zwei Zinssenkungen durch die entsprechenden Zentralbanken.
Aktien von europäischen Rüstungskonzernen im Plus
Von den Umschichtungen der Investoren waren verschiedene Aktiensektoren auf beiden Seiten des Atlantiks besonders betroffen. «Etwas vereinfacht ausgedrückt, haben in den USA Technologiewerte unter Gewinnmitnahmen gelitten, während in Europa die Rüstungsindustrie profitierte», sagt Alevrofas.
In den USA haben die Aktien der erfolgsverwöhnten Technologiekonzerne seit Anfang Jahr deutlich nachgegeben. Besonders hart erwischte es die Aktien des Elektroautobauers Tesla, der zum Imperium des Trump-Vertrauten Elon Musk gehört. Die Titel haben seit Anfang Jahr 34 Prozent an Wert verloren. Bei Broadcom steht derzeit ein Minus von 16 Prozent. Bei den Aktien von Nvidia beträgt dieses 13 Prozent, bei der Google-Mutter Alphabet 12 Prozent.
Bei den europäischen Rüstungsaktien hinterliessen indessen die geplanten Ausgaben für die Verteidigung Europas gegen den Nachbarn Russland und die geopolitische Unsicherheit ihre Spuren. So verbuchten die Aktien der Unternehmen Rheinmetall (+123 Prozent seit Anfang Jahr), Thales (+80 Prozent) und Leonardo (+82 Prozent) starke Kursgewinne.
Ausserdem hätten die Titel von Banken wie Santander, BNP Paribas oder Unicredit von der expansiveren Geldpolitik und der sich stabilisierenden Konjunktur in Europa profitiert, sagt Alevrofas. Dasselbe gelte für Automobil- und Logistikkonzerne.
Nun habe es allerdings bei den Standardwerten an den europäischen Börsen bereits viel Bewegung nach oben in den Kursen gegeben, sagt Bissat dazu. Viele kleinere und mittelgrosse Titel in Europa hätten indessen noch Nachholbedarf und seien immer noch sehr günstig.
Alevrofas hält es für riskant, aufgrund des Performancevergleichs die USA gegen Europa auszuspielen. Eine selektive Strategie, die auf Sektoren mit Wachstumspotenzial setzt – beispielsweise Infrastruktur, selektiv zyklischer Konsum, globale Technologien, vielversprechende globale Gesundheitswerte –, erscheint ihm sinnvoller als eine pauschale Übergewichtung regionaler Märkte.