Im Gespräch erklärt sie, warum sie an sich selbst viel machen lässt und weshalb sie keine XL-Brüste operiert.
Colette Camenisch ist die Frau, der Zürcherinnen hängende Brüste, schlaffe Augenlider und Einblicke in ihr Innerstes anvertrauen. Die 53-Jährige ist eine der gefragtesten plastischen Chirurginnen der Stadt und seit kurzem Buchautorin.
Ihre Praxis befindet sich zwischen Privatbank, Luxushotel und See an einer der teuersten Lagen Zürichs. Falten haben dort nur die goldenen Vorhänge an den Fenstern. Eine Botox-Behandlung kostet in Camenischs Praxis ab 400 Franken aufwärts, eine Schamlippenvergrösserung 1600 Franken.
Colette Camenisch, können Sie Menschen anschauen, ohne sie gleich auf Fältchen, Fett und Schönheitsfehler zu scannen?
Ja, klar. Ich steige nicht ins Tram, schaue mich um und denke: Ah, der braucht eine Augenlidstraffung. Aber wenn mich jemand an einer Party fragt, dann sage ich schon etwas.
Und wie ehrlich sind Sie dann?
Wenn ein älterer Herr vor mir steht, der wegen seiner hängenden Lider fast nichts mehr sieht, und mich fragt: Sollte ich mal zu dir kommen?, dann habe ich schon Mühe, Nein zu sagen.
Ihre Praxis befindet sich an bester Lage in der Stadt Zürich, in der Nähe zur Bahnhofstrasse, zum See und zu Privatbanken. Wer in diesem Quartier verkehrt, hat Geld. Welche Art von Leuten kommt zu Ihnen?
Kaum einer meiner Patienten kommt aus dem Quartier, zudem habe ich Patienten aus allen Vermögensklassen. Eine meiner Patientinnen spart sich jedes Jahr einen bestimmten Betrag zusammen. Dann kommt sie zu mir und sagt: Das ist alles, was ich habe. Was können Sie damit machen?
Kommen eher junge oder alte Leute zu Ihnen?
Beides. Meine älteste Patientin ist 97, sie kommt, weil sie Mühe hat mit dem Essen. In den Falten ihrer Mundwinkel bleibt das Essen hängen. Das stört sie.
Und wie sieht es bei den Jungen aus? In der Schweiz ist eine Schönheitsoperation mit dem Einverständnis der Eltern schon vor dem 18. Lebensjahr möglich.
Wenn es legitim ist und ein Kind leidet, dann operiere ich auch Minderjährige, diese kommen allerdings in Begleitung der Eltern. Kürzlich habe ich einen Eingriff vorgenommen bei einem Teenager. Sie hatte sehr unterschiedlich grosse Brüste: eine war sehr gross, die andere klein. Sie schämte sich dafür, in den Schulsport ging sie nicht mehr, und sie hatte eine schlechte Haltung. Ohne eine angleichende Operation wäre es zu weiteren Fehlentwicklungen gekommen, von psychischen Schäden ganz zu schweigen. Ich finde es spannend, dass Personen mit verschiedenem Hintergrund zu mir kommen. Helfen kann ich aber nicht allen.
Warum nicht? Die Möglichkeiten bei Schönheitsbehandlungen scheinen doch fast unbegrenzt zu sein.
Die Möglichkeiten sind tatsächlich begrenzt. Es geht vor allem darum, dass manche Patienten unrealistische Vorstellungen haben.
Können Sie ein Beispiel nennen?
Etwa wenn jemand 1 Meter 60 gross ist, 90 Kilogramm schwer, dunkle Augen und dunkle Haare hat und aussehen möchte wie Heidi Klum. Solchen Erwartungen kann ich nicht gerecht werden. Das fängt mit der Grösse an und hört mit der Augenfarbe auf. Oder wenn jemand ein Problem hat, das ich nicht lösen kann, weil ich selbst nicht kompetent genug bin, weil es nicht mein Fachgebiet ist. Faceliftings zum Beispiel mache ich nicht mehr.
Warum nicht?
Ich habe sehr hohe Ansprüche an mich selbst. Die Eingriffe, die ich durchführe, müssen sitzen. Auch bei Ohrenangleichungen beispielsweise fehlt mir die Routine, darum biete ich sie nicht mehr an.
Wie reagieren Patienten, wenn sie von Ihnen abgewiesen werden?
Manche sind sehr pikiert. Ich hatte einmal eine Patientin, die nach einer Brustreduktion bei einem Kollegen zu mir kam. Ich fand das Ergebnis toll. Aber sie fand es völlig daneben und wollte, dass ich es korrigiere. Offenbar war ihre Vorstellung weit von dem entfernt, was sie bekommen hatte. Ich sagte dann zu ihr: Tut mir leid, ich kann das nicht besser. Sie war sehr erzürnt und hat die Türe zugeschlagen, als sie die Praxis verliess.
Wie ist das für Sie, wenn Patienten unzufrieden sind?
Eine Unzufriedenheit vor oder nach einer Operation nehme ich immer ernst. Aber damit muss ich umgehen können. Heute kann ich besser erkennen, welche Erwartungen von Patienten ich nicht erfüllen kann.
Und welche Erwartungen wären das?
Oft sind es Patienten, die zu mir sagen, ich sei die Einzige, die ihnen helfen könne. Häufig waren sie schon bei unzähligen Ärzten. Warum soll ich sie glücklich machen können, wenn es andere nicht konnten? Diese Patienten haben häufig eine falsche Vorstellung von sich selbst und von dem, was die ästhetische Chirurgie erzielen kann.
Sie haben ein Buch geschrieben, darin kommt eine Patientin zu Wort, die rund ein Dutzend Eingriffe hat machen lassen. Sie sagt, das sei gut für ihr Selbstwertgefühl. Können nur schöne Menschen glücklich sein?
Nein, das glaube ich nicht. Glück, Schönheit und Zufriedenheit haben nur wenig mit gutem Aussehen zu tun, sondern eher mit Selbstbestimmung und Selbstbewusstsein. Wenn ich aber jemandem helfen kann, mit einer Operation selbstbewusster zu werden, habe ich meinen Job richtig gemacht.
Sie sagten einmal in einem Interview, Sie liebten es, Brüste zu operieren. Weshalb?
Ich glaube, weil es eine Kombination von alldem ist, was ich mitgeben kann. Nehmen wir als Beispiel eine Brustreduktion. Patientinnen mit sehr grossen Brüsten haben oft Nacken- und Schulterschmerzen, BH-Träger, die einschneiden. Und manchmal, im Sommer, entwickelt sich sogar ein Pilz in der Hautfalte. Wenn ich diese Patientinnen dann mit drei Kilogramm weniger Brust sehe, spüren diese eine Erleichterung und eine funktionelle Verbesserung.
Was verändert sich für diese Frauen nach der Operation?
Sie können in einen Laden gehen, und die Bluse und der BH passen. Sie brauchen nicht mehr Spezial-BH für 200 Franken zu kaufen. Und sie werden nicht mehr angestarrt im Tram. Das ist für mich und die Patientin befriedigend. Brustoperationen müssen aus meiner Sicht immer fundiert sein. Von 75D auf noch grössere Körbchengrössen zu operieren, das ist nicht mein Ding.
Sie machen also keine XL-Brüste, wie sie eine Kim Kardashian hat?
Nein. Ich mache genau das, was ich mit meinen ethischen Vorstellungen vereinbaren kann. Riesige Brüste gehören nicht dazu.
Sie werden auf der Strasse von Kundinnen kaum je gegrüsst. Sind Schönheitsoperationen immer noch ein Tabu?
Das ist tatsächlich so. Viele Menschen schweigen über ihre Eingriffe, weil sie negative Reaktionen befürchten. Manche Patienten bitten mich ausdrücklich, ihrem Partner nichts zu sagen. Das würde ich sowieso nie tun. Ein Kollege erzählte mir einmal, er sei an einem Anlass an einem Tisch gesessen, an dem auch fünf Personen sassen, bei denen er ein Lifting gemacht habe. Er habe gar nicht mehr gewusst, wohin er schauen und worüber er reden solle. Das klingt jetzt amüsant, aber für ihn war die Situation ziemlich unangenehm.
Sie behandeln vor allem Frauen. Warum lassen grundsätzlich immer noch viel mehr Frauen Schönheitseingriffe machen als Männer?
Frauen sind gesellschaftshistorisch gesehen mehr mit ihrem Körper beschäftigt. Das hat auch hormonelle Gründe: Ich behandle viele Frauen nach Schwangerschaften und der Menopause. Beides kann hormonell brutal sein für den weiblichen Körper. Viele Frauen haben nach einer Schwangerschaft schlaffe Haut, Dehnungsstreifen, und die Brüste hängen zwei Etagen tiefer. Durch mein Angebot habe ich gezwungenermassen mehr Frauen in der Praxis. Aber die Männer holen auf. Würde ich Haartransplantationen anbieten, hätte ich wohl viel mehr männliche Kunden.
Was macht für Sie einen Menschen schön?
Attraktiv ist für mich jemand, der sich im Körper wohlfühlt und das auch ausstrahlt. Ob er einen ästhetischen Eingriff gemacht hat, ist mir völlig egal. Ich finde jemanden schön, wenn er bei sich angekommen ist. Das ist man als ganz junge Frau oft noch nicht wirklich.
Ab welchem Alter dann?
Frauen ab Mitte dreissig, die die ersten Hürden im Leben genommen haben und die das auch ausstrahlen, die gefallen mir. Ich habe bildschöne Frauen behandelt, die für mich aber weniger attraktiv sind als Frauen, die dieses Strahlen haben. Ich habe zum Beispiel Patientinnen, die graue Haare haben und dazu stehen, das finde ich super. Ich selbst stehe noch nicht dazu. Ich färbe meine Haare alle drei Wochen.
Was haben Sie, abgesehen von den gefärbten Haaren, an sich selbst machen lassen?
Ich mache relativ viele Sachen, vor allem solche, die die Hautqualität verbessern. Für mich ist Hautreinigung das A und O, und ohne Sonnenschutz mit Faktor 50 gehe ich gar nicht erst aus dem Haus. UV-Strahlen gelangen auch durchs Bürofenster, das blaue Licht von Computern kann tief in die Hautschichten eindringen und dort Schäden anrichten. Zudem lasse ich mir Hyaluronsäure und Vitamine spritzen, mache medizinische Peelings und Lasertherapie. Alle sechs Monate gehe ich zur Dentalhygienikerin. Schöne Haut, schöne Haare, schöne Zähne machen etwas aus. Das wurde mir so beigebracht.
Wer hat Ihnen das beigebracht?
Meine Mutter. Sie sagte immer, es sei wichtig, sich als Frau zu pflegen. Make-up war mir in meiner Jugend nicht so wichtig. Aber ich habe mit meinem ersten Taschengeld Clearasil gegen unreine Haut gekauft, obwohl ich keinen einzigen Pickel hatte. Die Pflegeroutine habe ich bis heute beibehalten.
Und wie viel lassen Sie sich Ihr Aussehen kosten?
Im Durchschnitt gibt eine Frau etwa hundert Franken im Monat für ihr Aussehen aus, bei mir ist es mindestens das Dreifache. Man darf nicht das Gefühl haben, man könne morgens einfach aufstehen, die Haare schütteln und sehe gut aus. Das war vielleicht mit 25 Jahren so. Mein Aussehen ist für mich ein halber Job. Dazu gehört auch, dass ich morgens um fünf Uhr aufstehe, um Sport zu machen. Ich bin extrem diszipliniert. Ich trinke unter der Woche keinen Alkohol. Ich esse kein Brot und versuche, auch Zucker zu vermeiden.
Es gibt Feministinnen, die schon das Rasieren der Achselhaare als politisches Statement sehen, als Zeichen der Unterdrückung durch das Patriarchat. Können Schönheits-OP feministisch sein?
Ich finde, ich bin feministisch. Für mich ist Feminismus Selbstbestimmung. Ob ich dabei Achselhaare habe oder nicht, das ist für mich die falsche Diskussion. Ich mache Schönheitseingriffe, weil es mir gefällt – nicht, um meinem Mann zu gefallen. Für die Männer gilt meiner Meinung nach dasselbe.
Wie meinen Sie das?
Wenn ein Mann zu mir kommt und sagt, seine Frau habe ihn geschickt, um die Augenlider operieren zu lassen, finde ich das falsch. Der Patient muss es wollen, er muss ja auch mit den Konsequenzen klarkommen. Es kann bei Operationen immer zu Komplikationen kommen, Nachblutungen geben etwa oder unschöne Narben.
Nach manchen Eingriffen sind Ihre Patienten wochenlang eingeschränkt. Warum tut sich das jemand an?
Viele haben einen riesigen Leidensdruck und nehmen die postoperativen Folgen deshalb in Kauf. Die sind tatsächlich nicht zu vernachlässigen. Nehmen wir als Beispiel eine Fettabsaugung: Die ersten paar Tage hat man Schmerzen und muss Medikamente nehmen. Aber das ist nicht alles. Damit sich die Haut zurückziehen kann, müssen die Patienten sechs Wochen lang einen Kompressionsanzug tragen und dürfen keinen Sport machen. Es kann Schwellungen geben. Prinzipiell sind ästhetische Eingriffe aber weniger schmerzhaft als Eingriffe an Knochen.
Sind sich die Patienten dessen bewusst?
Ich rede die Eingriffe in den Aufklärungsgesprächen nie schön, sondern sage immer, welche Komplikationen auftreten könnten. Manchmal entscheiden sich die Leute dann um, weil sie es sich einfacher vorgestellt haben. Damit muss ich leben.