Nicht nur Jugendliche haben ein problematisches Verhältnis zum Handy. Auch viele Führungskräfte nutzen das Gerät zwanghaft – und büssen dafür.
Abends vor dem Lichterlöschen die Mails checken, direkt nach dem Aufstehen die Verkaufszahlen vom Vortag überprüfen. Der Griff zum Handy ist die letzte und die erste Bewegung des Tages. Für viele Menschen mit Führungsverantwortung ist das völlig normal.
Dass der Schlaf dazwischen unruhig und getrieben ist, schieben sie auf den hohen Druck im Alltag. Dass sie möglicherweise ein zwanghaftes Verhalten an den Tag legen, kommt ihnen gar nicht in den Sinn.
Rund 50 Prozent aller höheren Angestellten haben einen problematischen Umgang mit dem Handy. Das geht aus einer Untersuchung der kanadischen Arbeits- und Organisationsforscherin Alyson Meister hervor, die am Lausanner Institut IMD lehrt. Die private Wirtschaftshochschule gilt als Kaderschmiede, wo sich ambitionierte Menschen in Führungspositionen mit teuren Weiterbildungen das Rüstzeug für ihre Karriere holen.
Die untersuchten Professionals wurden im Schnitt alle 13 Minuten vom Handy unterbrochen. 72 Mal am Tag haben sie das Gerät in die Hand genommen. Konzentriertes Arbeiten? Ist so kaum mehr möglich.
«Dass Smartphones die Leistung beeinträchtigen, hat man bei Schulkindern längst erkannt. Aber erst langsam setzt sich die Erkenntnis durch, dass nicht nur die Jungen ein Problem haben», sagt Meister.
Die Crux: Den meisten Betroffenen fehlt komplett das Problembewusstsein. Sie erkennen in ihrem Verhalten keine Sucht. Im Gegenteil: Der exzessive Handy-Gebrauch ist Ausdruck ihrer überdurchschnittlichen Leistungsbereitschaft im Beruf. «Sie fühlen sich gebraucht und wichtig, wenn sie ständig erreichbar sind», sagt Meister.
Dass Handys für den Alltag unerlässliche Werkzeuge sind – gerade in einem professionellen Umfeld –, bestreitet niemand. Dass sie aber auch Raubbau an der menschlichen Aufmerksamkeitsfähigkeit betreiben können, gilt ebenso als gesichert. Bei vielen Apps programmieren Psychologen mit. Der Facebook-Konzern Meta hat in den USA eine Klage am Hals. Der Vorwurf: Plattformen wie Instagram wurden bewusst so entworfen, dass sie junge Menschen abhängig machen.
Sogar für den Apple-CEO Tim Cook, dessen Firma mit der Lancierung des iPhone 2007 dem Smartphone zum Durchbruch verholfen hat, ist Handy-Sucht ein reales Problem. Er selbst räumte schon 2018 ein, dass er sein Gerät zu viel benutze.
«Es ist nur ein kleiner Unterschied in der Sucht zwischen einem Manager oder einem Teenager», sagt Alyson Meister, «der eine mag konstant E-Mails und Nachrichten checken, während der andere stundenlang Tiktok schaut. Aber das zwanghafte, problematische Verhalten ist dasselbe.»
Linkedin verursacht Stress
Aber wo hört ein normaler Umgang mit dem Smartphone in einem anspruchsvollen Arbeitsumfeld auf, und wo fängt die Sucht an? Der Übergang ist fliessend, vieles ist individuell.
Gemäss der Verhaltensforscherin Meister gibt es mehrere Indikatoren, die auf ein Problem hindeuten. Zum Beispiel, wenn es einem schwerfällt, sich zu konzentrieren, und es nicht mehr gelingt, in einen vertieften, gedankenversunkenen Arbeitsrhythmus zu finden. Dies, weil der Drang, auf den kleinen Bildschirm zu schauen, zu gross ist.
Ein weiterer klarer Hinweis ist, wenn persönliche Beziehungen leiden. Der Klassiker sind Kaderleute, die auch daheim im Kreise der Familie das Handy nicht weglegen können. Und sich dadurch von ihren engsten Vertrauten entfremden.
Eindeutig ist der Fall, wenn das Smartphone Stress und negative Gefühle hervorruft, man es aber trotzdem immer wieder hervorkramt. «Viele meiner Studenten sind hochmotiviert und haben wichtige Positionen», sagt Meister, «sie sagen, dass exzessives Scrollen und das häufige Aufrufen der Plattform Linkedin sie in eine schlechte Stimmung versetzt.» Fast alle, so Meister, wünschten sich mehr Smartphone-freie Zeit.
Aber ist es nicht Voraussetzung für Chefinnen und Chefs, dass sie erreichbar sind? Immerhin wird der Stress ja auch mit einem hohen Lohn abgegolten.
Meister sagt, dass das eine Fehlannahme sei. «Menschen können nicht 24 Stunden am Tag arbeiten, dafür sind wir nicht geschaffen.» Manager könnten nur ihr Bestes geben, wenn sie ausgeruht seien. Gerade in höheren Positionen sei es unablässig, Energie und Aufmerksamkeit bewusst einzuteilen.
Lego schult Angestellte
Tut man es nicht, geht das am Ende auf Kosten der Leistung: Ineffizienz, verpasste Fristen, Fehler. Das können laut Meister alles Konsequenzen eines unkontrollierten Mobiltelefon-Gebrauchs sein.
Der ständige Drang, alles unter Kontrolle haben zu wollen, führt schliesslich zum Kontrollverlust. Aktienkurse, Mails, News: Es gibt immer etwas zu checken.
Dabei sei es gar nicht nötig, das Smartphone komplett zu verbannen, wie das etwa an Schulen diskutiert werde, sagt Meister, die inzwischen weltweit als Expertin für eine bewusste Handy-Nutzung gilt. Kürzlich gab sie etwa dem amerikanischen Fernsehsender CBS Tipps, wie man die Smartphone-Sucht überwinden kann.
Das Wichtigste sind bewusste Pausen. Sei dies, indem man das Gerät ausschaltet, weglegt oder gar einschliesst. «Gutes, kreatives Arbeiten ist nur möglich, wenn man eine Weile ungestört ist», sagt Alyson Meister.
Sie beobachtet, dass sich Angestellte auf Managerstufe bewusst Beschäftigungen suchen, die es ihnen erlauben, kein Smartphone dabeizuhaben. Etwa Aktivitäten auf dem Wasser wie Windsurfen oder Segeln. Es sei auch kein Wunder, dass «Digital Detox»-Retreats in der Wildnis boomten.
Meister sieht auch die Unternehmen in der Verantwortung. Diese müssten ihren Angestellten aufzeigen, wie man besser arbeite. «Da muss es zwingend auch um Smartphones gehen.» Sie selbst berät etwa den dänischen Spielzeug-Giganten Lego. Das Haushalten mit der eigenen Energie, inklusive des effektiven Umgangs mit Handys, sei dort ein wichtiger Teil der Unternehmenskultur.
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