«Männer haben eine Vormachtstellung in unserer aktuellen Gesellschaftsform. Aber sie haben sich nicht aktiv dafür entschieden», schreibt die österreichische Autorin in ihrem Essay «Warum wir einen neuen Feminismus des Miteinanders brauchen».
Bereits auf den ersten Seiten stürzt sich eine ausgelaugte, von Partner und Gesellschaft alleingelassene Mutter über die Brüstung ihres Balkons in den Tod. Der Aufprall ist ihre Befreiung, ihr einziger Ausweg aus dem, was die Autorin Mareike Fallwickl «das Patriarchat» nennt. Ihr feministischer Generationenroman «Die Wut, die bleibt» machte sie 2022 zur Bestsellerautorin, zur Care-Arbeits-Advokatin und zu einer Vertreterin des modernen Feminismus.
In ihrem eben erschienenen Essay «Warum wir einen neuen Feminismus des Miteinanders brauchen» stellt Fallwickl sich die Frage, wie man eine Welt formen könnte, in der sich keine Mutter vor lauter Überforderung in die Tiefe stürzen muss. Das liest sich über weite Strecken wie eine Mischung aus Erklärungsversuch für und Friedensangebot an Männer.
Wir sind alle Opfer
«Ja, Männer haben eine Vormachtstellung in unserer aktuellen Gesellschaftsform», schreibt Fallwickl, «aber sie haben sich nicht aktiv dafür entschieden. Sie sind ins Patriarchat hineingeboren worden, sie sind zu diesen Männern gemacht worden. Und zwar von uns. Sich diese Verstrickung bewusst zu machen, ist für einen Feminismus des Miteinanders essenziell.»
Fallwickl setzt mit ihrer Erklärung dafür, warum dieser Feminismus des Miteinanders bis jetzt nicht klappt, bei der Erziehung an. Sie führt aus, dass Lehrpersonen und Eltern unter einer gleichberechtigten Erziehung meist verstehen, die Mädchen dazu zu animieren, männlich konnotierte Eigenschaften zu stärken. Mutig sollen sie sein und sich wehren und irgendwann vielleicht Physik oder Mathematik studieren.
Die gleiche Offenheit und Wertschätzung allen Eigenschaften und Gefühlen gegenüber müssen aber auch Buben erleben. «Wir müssten sie hilflos sein lassen, liebevoll, aufmerksam, zart, weich, weinerlich, zuhörend, sich kümmernd, zugewandt, emphatisch, schüchtern, reflektiert, kommunikativ, offen», schreibt Fallwickl.
Stattdessen trainiere man den Jungs allerdings auch heute noch die meisten Gefühle ab, bis nur noch die Wut bleibe. Mit anderen Worten: Man verstümmelt liebevolle Buben zu toxischen Männern.
Zusammen backen
Entsprechend dieser Argumentation läge es auf der Hand, dass besonders Männer sich gegen das gegenwärtige System auflehnen würden. Warum das nicht geschieht? Männer, schreibt Fallwickl, würden der Idee aufsitzen, «dass Gleichberechtigung eine Art Kuchen ist, von dem sie den grössten Teil besitzen, und dass alles, was marginalisierten Menschen zugesprochen wird, ihnen weggenommen wird. Sie haben (noch) nicht verstanden, dass wir etwas vollkommen anderes backen wollen, gemeinsam.»
«Feminismus» allerdings klingt in den Ohren vieler bis heute wie ein Synonym für «Kampfansage» – oder doch zumindest wie «Vorwurf». Ganz falsch ist das nicht. Längst nicht alle feministischen Menschen haben Lust auf gemeinsames Backen.
Stattdessen ist ein Mann auch ein nützliches Feindbild. Das geht so weit, dass Frauen, die Feministinnen und Mütter von Söhnen sind, sich öffentlich mit der Tatsache auseinandergesetzt haben, «den Feind» grosszuziehen. Auch davon schreibt Fallwickl, ohne allerdings näher darauf einzugehen, was das bedeutet. Nämlich, dass bereits einem Baby mit Misstrauen begegnet wird, weil aus ihm höchstwahrscheinlich dereinst ein Mann erwachsen wird.
«Der Feminismus braucht neue, zugewandte und liebende Männer», schreibt Fallwickl am Ende ihres durchaus lesenswerten und sehr versöhnlichen Essays. Tatsächlich braucht eine in Sachen Geschlechtergerechtigkeit egalitäre Gesellschaft Zugewandtheit von allen. Und dafür weniger pauschalisierendes «die Frauen» gegen «die Männer». Und vielleicht auch das: gemeinsame Wut auf jene, die abgrenzen und ausschliessen wollen.