Die japanische Ordnungsikone hat ihre Lehren auf den Arbeitsplatz ausgeweitet. Sie helfen uns dabei, Ballast abzuwerfen und uns auf das Wesentliche zu konzentrieren.
Sobald die Frühlingssonne in die Wohnung hineinscheint, wird klar: Die Scheiben sind dreckig, es ist Zeit für den Frühlingsputz. Wir wischen Staub, entsorgen alte Zeitschriften und Kleider, putzen die Fenster blitzblank.
Ausmisten, Ballast wegwerfen, verstaubte Dinge entsorgen – was wir im Privaten mindestens einmal im Jahr tun, bleibt in vielen Unternehmen aus. Dort herrscht das Hamsterprinzip: immer mehr anschaffen und anhäufen. Noch mehr Tools, Prozesse, Nachrichten, Projekte, Ziele, Regeln, Dokumente. Wären Unternehmen Wohnungen, sie wären zugemüllt und verstaubt.
Darum lade ich Sie ein zum Frühlingsputz. Wir fangen mit dem Offensichtlichen an: den Dingen im Büro. Psychologische Studien zeigen nämlich, dass Unordnung unser Gehirn ablenkt. Es versucht dann ständig, die Umgebung zu erfassen, statt sich auf die eigentliche Aufgabe zu konzentrieren.
Jedes Ding hat seinen Platz
Marie Kondo, die japanische Aufräumikone, hat sich nach den Haushalten auch die Büros vorgeknöpft. In ihrem Buch «Joy at Work» rät sie, so gründlich aufzuräumen, dass man nie wieder in die Unordnung zurückfällt. Ihre wichtigste Regel: Jeder Gegenstand hat einen festen Platz.
Um dahinzukommen, sollten Sie sich Zeit zum Aufräumen des Arbeitsplatzes freischaufeln, um dann alle Gegenstände nach Kategorien zu sortieren und zu entscheiden, was wegkommt, was bleibt und wo es hingehört. Überlegen Sie, welche Dinge sich besonders schnell vermehren, und bestimmen Sie, wo Sie diese aufbewahren.
Marie Kondo gesteht zu, dass im Büro nicht jedes Ding Freude bereiten muss, um eine Daseinsberechtigung zu haben, wie sie es sonst vorgibt. Bürogegenstände dürfen auch einfach funktional sein oder potenziell in der Zukunft Freude bereiten. Sie verspricht, dass man mit ihrer Methode einen Schreibtisch in nur fünf Stunden aufräumen kann. Und wenn man diszipliniert genug ist, muss man nie wieder aufräumen.
Sobald im Raum Ordnung herrscht, gehen wir eine Ebene tiefer: Wir packen Aufgaben, Prozesse und Tools an. Auch hier lohnt sich das Ausmisten, wie die Beispiele aus Martin Gaedts Buch «Smart arbeiten mit der Delete-Strategie» zeigen. Er schreibt: «In der SKS Steuerberatung in Dresden klingelt drei Stunden pro Tag kein Telefon, und die Server stellen E-Mails nur zweimal am Tag zu. Das ganze Team arbeitet stressfreier und schafft in weniger Zeit mehr Umsatz.»
Gaedt empfiehlt, eine Aufgabeninventur zu erstellen und alles aufzuschreiben, was Sie tun. Dann schätzen Sie den Zeitaufwand pro Woche und bewerten die Wirkung, die durch die Aufgabe erzielt wird. Tätigkeiten, die viel Zeit kosten, aber eine geringe Wirkung haben, gehören gestrichen. Auch Regeln, die ihren Zweck verloren haben, und Termine, die regelmässig im Kalender stehen, aber nichts bewirken, sollten gelöscht werden.
Das kanadische E-Commerce-Unternehmen Shopify hat es vorgemacht und 12 000 interne Meetings aus den Kalendern gelöscht. Die Geschäftsleitung teilte den Mitarbeitenden mit, dass in den darauffolgenden zwei Wochen eine Sperrfrist gelte. Nur wirklich wichtige Meetings dürften danach wieder angesetzt werden.
Löschlisten helfen beim Entrümpeln
Martin Gaedt rät, dass Sie sich vor jeder neuen Aufgabe und jedem neuen Projekt fragen: «Brauchen wir das, oder lassen wir es? Wenn wir es brauchen, was lassen wir dafür weg?» Einfache Fragen mit grosser Wirkung. Häufig hilft es, wenn sichtbar gemacht wird, was weg kann. Da können sogenannte Löschlisten dabei helfen, überflüssige Aufgaben und Prozesse zu identifizieren. Damit dies Wirkung entfaltet, reicht es nicht, nur einmal im Jahr darüber nachzudenken. Der Fussboden wird ja auch nicht nur einmal jährlich staubgesaugt.
Doch weshalb ist es für viele Menschen so schwierig, Ballast abzuwerfen? Die Arbeitspsychologin Gabrielle Adams zeigt in einem Artikel, dass Menschen Schwierigkeiten mit subtraktivem Denken haben. Wenn sie aufgefordert werden, etwas zu verbessern – ein Lego-Gebäude, oder einen Text –, neigen sie dazu, eher neue Dinge hinzuzufügen, als das Bestehende zu entfernen, selbst wenn das Ergebnis dadurch schlechter wird. In drei Studien sollten Menschen aus Lego gebaute Strukturen verändern. Dabei entschieden sich nur 2 bis 12 Prozent der Testpersonen dafür, Legosteine zu entfernen. Bei der Aufgabe, einen selbst geschriebenen Text zu verbessern, kürzten 16 Prozent die Wörter, während 80 Prozent mehr Wörter hinzufügten. Der innere Hamster ist eben mächtig.
Wer schon einmal einen grossen Frühlingsputz gemacht hat, kennt das befriedigende Gefühl danach: die Ruhe durch die Ordnung, der Stolz über das Erreichte, die angenehme Sauberkeit. Genau das brauchen auch Unternehmen. Denn wenn der Staub weg ist, sieht man wieder klar.