Der Zürcher Sicherheitsdirektor ist kein Fan des Schweizer Justizministers. In einem Brief hat er dessen Staatssekretärin für Migration nun mitgeteilt, dass Zürich nicht mehr bereit sei, bestimmte Flüchtlinge aufzunehmen.
Der Zürcher Sicherheitsdirektor Mario Fehr ist nicht der grösste Anhänger der Asylpolitik des Bundes, und das lässt er den Schweizer Justizminister Beat Jans auch wissen. Am Dienstag hat Fehr nach Bern geschrieben und mitgeteilt, dass Zürich künftig keine Grossfamilien mehr aufnehmen wolle, falls diese nicht aus umkämpften Gebieten kämen.
Wörtlich steht in dem an die Vorsteherin des Staatssekretariats für Migration (SEM), Christine Schraner Burgener, adressierten Brief: «Wir beziehen uns auf den gestrigen Entscheid des Nationalrats, wonach der Schutzstatus S auf Personen beschränkt wird, die ihren letzten Wohnsitz in ukrainischen Regionen hatten, die ganz oder teilweise durch Russland besetzt sind oder in denen mehr oder weniger intensive Kampfhandlungen stattfinden. Entsprechend sind wir ab sofort nicht mehr bereit, Grossfamilien aus anderen als diesen Gebieten aufzunehmen.»
Mario Fehr ist der Meinung, dass der Kanton Zürich schon genug Verantwortung übernimmt. 3400 Rückführungen hat die Zürcher Kantonspolizei im vergangenen Jahr veranlasst. Dieses Jahr dürften es noch mehr sein. Zürich gehört zu den Kantonen, die abgewiesene Asylbewerber am konsequentesten in ihre Heimatländer zurückschicken. Pro Ausschaffungsflug müssen jeweils 30 bis 40 Kantonspolizisten aufgeboten werden.
Das kostet den Kanton viel Geld, doch Fehr sagt: «Würde Zürich diese Arbeit für den Bund und die anderen Kantone nicht erledigen, würde das Schweizer Asylsystem von heute auf morgen stillstehen.» Der Satz hört sich an, wie er gemeint ist: als Rüffel nach Bern.
Es ist nicht Fehrs erste ungehaltene Adresse an den Justizminister. Im Oktober rechnete er Beat Jans via NZZ-Artikel vor, dass beim Bund nach wie vor 12 000 Asylverfahren offen seien. «Ein riesiger Pendenzenberg!», klagte Fehr. Die maximale Zahl offener Fälle dürfe höchstens 5000 betragen. Schliesslich verlange das Asylrecht, dass ein Verfahren innert eines Jahres rechtskräftig abgeschlossen sein müsse.
Das Parlament schränkt den Status S ein
Nun nutzt Fehr einen Parlamentsentscheid für eine weitere Mahnung. Am Montag hat der Nationalrat einer Motion von SVP-Ständerätin Esther Friedli zugestimmt, die den Schutzstatus S für Flüchtlinge aus der Ukraine auf vom Krieg betroffene Gebiete beschränkt. Gleichzeitig überwies das Parlament eine Motion des St. Galler Ständerats Benedikt Würth. In seinem Vorstoss fordert der Mitte-Politiker Anpassungen beim Schutzstatus S. Der Bund solle Personen, die vorübergehend wieder nach Hause reisten, Rückkehrhilfe erhielten oder den Schutzstatus S missbräuchlich erlangt hätten, das Aufenthaltsrecht aberkennen.
Was weder Würth noch Fehr wörtlich schreiben: Beide denken dabei wohl an Roma. Seit Ausbruch des Krieges sind immer wieder Angehörige der Roma-Minderheit aus der Westukraine in die Schweiz geflüchtet. Anfang Jahr wurde bekannt, dass mindestens die Hälfte der Personen mit Schutzstatus S, die dem Kanton Graubünden zugewiesen wurden, weder Russisch noch Ukrainisch sprach. Es handelte sich um Roma, die mit echten ukrainischen Pässen eingereist waren. Papieren, die auffällig oft von derselben Behörde ausgestellt wurden.
Die eidgenössische Fachstelle für Rassismusbekämpfung versicherte zwar, dass daran nichts verdächtig sei. Schliesslich kämen die meisten Schutz suchenden Roma aus Transkarpatien und die für das Ausstellen der Papiere zuständige Verwaltungsstelle befinde sich nun einmal in Uschgorod, der einzigen grossen Stadt der Region.
Doch in vielen Kantonen sieht man es anders. In St. Gallen befasste sich der Kantonsrat mit den Problemen, die Roma-Grossfamilien den Vermietern und Behörden bereiten, und in Bern sagte der auch für Soziales zuständige Gesundheitsdirektor Pierre Alain Schnegg kürzlich: «Die meisten Menschen, die neu kommen und Anspruch auf den Schutzstatus erheben, sind nicht mehr direkt vom Krieg betroffen. Konkret kommen heute vor allem Roma.»
5000 Status-S-Gesuche sind noch hängig
Mario Fehr kann also sicher sein, dass ihm die betroffenen Kantone zumindest stillen Beifall zollen, wenn er Bern den Tarif durchgibt. Wohl deshalb hat er die Gelegenheit genutzt und am Dienstag erneut auf die vielen Pendenzen bei den Asylverfahren hingewiesen. Neben den 17 000 offenen Asylverfahren seien auch 5000 Status-S-Gesuche hängig, schreibt Fehr. Für die betroffenen Personen sei die Ungewissheit belastend, und die kantonalen und kommunalen Strukturen würden über Gebühr strapaziert.
Beat Jans, der eigentliche Adressat von Fehrs Ärger, verspricht Besserung. Bei einem Besuch der Bundesasylzentren in Kreuzlingen und Altstätten sagte er kürzlich das, was er bereits bei seinem Amtsantritt versprochen hatte: «Wir setzen die Prioritäten richtig, aber die Verfahren müssen weiter beschleunigt werden.»
Jans weiss, dass er die Erwartungen, die nach seinem Amtsantritt vor einem Jahr in ihn gesetzt wurden, noch nicht erfüllt. Bereits wenige Wochen nach seiner Wahl hatte er damals das Asylzentrum in Chiasso besucht und Besserung versprochen. Angekündigt wurden ein schärferes Vorgehen gegen kriminelle Asylsuchende, ein Ausbau der 24-Stunden-Verfahren sowie ein Gesuchsstopp an Wochenenden.
Der Justizminister hat sein Ziel verfehlt (auch wegen der rekordhohen Zahl an Gesuchen), aber die Datenlage zeigt Besserung. Bereits seit 2023 (dem Amtsjahr der damaligen Justizministerin Elisabeth Baume-Schneider) werden wieder mehr abgewiesene Flüchtlinge ausgeschafft. Unter Jans sinkt nun auch die Zahl der Pendenzen. Dank 60 zusätzlichen Stellen soll der Berg nun schneller abgebaut werden. Das Ziel ist eine Reduktion der erstinstanzlichen Fälle auf 5800 bis Ende 2026.
Zu mehr Tempo führt auch Fehrs Brief nicht. Auf die Frage, wie das SEM mit der Ankündigung aus Zürich umzugehen gedenkt, antwortet die Medienstelle: Der Bundesrat habe den Entscheid des Parlaments von Montagabend entgegengenommen und prüfe nun die Umsetzung der Motion. Bis dahin gelte «der proportionale Verteilschlüssel, den die Kantone untereinander vereinbart haben».
Übersetzung für Laien: Der Bundesrat hat mindestens zwei Jahre Zeit für die Umsetzung der Motion – und so lange passiert tendenziell nichts.