Das Verhältnis von Künstler und Modell gibt endlos Stoff für Skandalgeschichten. Selten wurde es mit ebenso viel kühler Vernunft und erzählerischer Virtuosität seziert wie im Roman «Die Richtige» von Martin Mosebach.
Zu den ältesten Bildthemen der Kunstgeschichte gehört die Darstellung des Malers vor oder hinter seiner Staffelei, mit einer Palette in der Hand, vor ihm eine Frau, mehr oder weniger nackt, stehend, sitzend oder auf ein Kissen gelagert und dem Künstler dergestalt Modell stehend. Ist sie zugleich seine Muse, seine Geliebte? Kaum etwas hat die Phantasie des Kunstbetrachters von jeher mehr beflügelt als diese Frage.
Die zahllosen Berichte und Anekdoten aus der Abgeschiedenheit der Künstlerwerkstätten haben eine eigene literarische Tradition. Auch der Film hat sich des für dieses Medium besonders attraktiven Themas angenommen. Das prominenteste Beispiel ist der Film «La belle noiseuse» von Jacques Rivette mit Michel Piccoli und Emmanuelle Béart (1991) nach der Novelle «Le chef-d’œuvre inconnu» von Honoré de Balzac.
In diese Tradition reiht sich nun Martin Mosebachs Roman «Die Richtige» ein. Sein Protagonist ist der von ihm erfundene Maler Louis Creutz. «Die Richtige», das ist die junge Schwedin Astrid Thorblén, mit dem ihn das befreundete Unternehmer- und Mäzenenehepaar Rudolf und Beate bekannt macht und die Creutz für sich als Idealmodell entdeckt.
Für Creutz ist die Frau «das eigentliche Sujet der Ölmalerei». Doch nicht ihr Gesicht, sondern der Körper und seine Haut sind es, die ihn stimulieren, halten seine Akte doch den Körper meist vom Betrachter abgewandt, bleiben gesichtslos, Empathie vonseiten des Betrachters weithin verhindernd. Die vorkünstlerische weibliche Schönheit interessiert diesen Maler nicht, nur diejenige des ganzen Körpers, die erst auf der Leinwand entsteht.
Kunst als Mord
Creutz ist ein rigoroser Gegner der modernen «Ästhetik des Fragmentarischen», der «Liebe zur Skizze». Seine Werke unterliegen dem Diktat des Vollendeten, des nichts mehr Übriglassenden. Deshalb arbeitet er Monate an einem Bild, ohne Rücksicht auf das Durchhaltevermögen der Modelle. Seine Mäzenin Beate behauptet gar angesichts eines Gemäldes von ihr, er habe «das Bild totgemalt». Ein dieser Gesellschaftsdame in seiner Abgründigkeit kaum zu Bewusstsein kommendes Verdikt: Kunst als Totmalen, als Mord!
Obwohl er nur nach Modell malt, ist Creutz ein ideenbesessener Platoniker, der nicht die empirische Erscheinung, sondern die in ihr verborgene Idee zu malen sucht. Sein «höchstes Gut» ist die «Freiheit von allen denkbaren Bindungen», auch menschlich-kommunikativen, so wenig er gewissermassen aus Marketinggründen auf sie verzichten kann. Doch seine wahre Sphäre bleibt die geschlossene Welt, das künstliche Paradies des Ateliers in einem aufgelassenen Fabrikgebäude.
Die Kehrseite dieser absoluten, hermetischen Künstlerexistenz ist das Fehlen menschlicher Empathie. Alles und jeder wird von ihm dem gegenwärtigen Interesse seiner Kunst geopfert. Und doch hat Creutz – die dunkle Facette seines Charakters – von der Höhe seiner über allen Niederungen des Lebens zu schweben scheinenden Kunst herab einen merkwürdigen Hang zu den Abgründen der Gesellschaft.
Da ist etwa sein Langzeitmodell, die psychopathische Streunerin Flora Ortiz. Und da ist vor allem der kriminelle Schulfreund Ed Weiss, mit dem er sich gelegentlich auf nächtliche Touren durch die Halb- und Unterwelt begibt. Als Ed Weiss schliesslich ein Mord angelastet wird, verschafft ihm Creutz gar ein falsches Alibi.
So indifferent Creutz allem in der Welt gegenübersteht, was nicht das Ambiente hat, in sein Werk transformiert zu werden, so weiss er diese Welt doch professionell zu nutzen: den Kunstbetrieb und den «gesellschaftlichen Schwarm» um diesen herum, wie er von Mosebach virtuos porträtiert wird. Denn Creutz weiss: Seine radikale künstlerische Unabhängigkeit kann er sich nur sichern, wenn er auch ökonomisch unabhängig ist, mitunter Auftragsarbeiten annimmt, so sehr sie ihm die Zeit für das Eigentliche seiner Kunst nehmen.
Ein Monstrum an Kälte
Diesem Eigentlichen aber soll sein neues Modell Astrid Thorbén dienen. «Die Richtige» sollte sie an sich für Rudolfs unverheirateten Bruder und Firmenchef Dietrich sein, und ausgerechnet Louis Creutz übernimmt die Rolle des Liebeswerbers. Tatsächlich werden Astrid und Dietrich ein Paar.
Der Verdacht drängt sich dem Leser gleich auf, und Astrid spürt es mehr und mehr, dass der Maler sie nur deshalb in die Arme Dietrichs führt, damit sie für ihn als Modell und Geliebte frei wird, ohne dass er sich an sie binden müsste. Zunehmend wird ihr bewusst, dass sie für Creutz nichts als Sache ist, blosses Medium seiner Kunst. Der dieser Kunst so absolut ergebene Künstler entlarvt sich ihr als «Monstrum an Kälte».
Es kommt zum spektakulären Bruch des Modells mit seinem Maler. Dieser sieht in der Abwendung Astrids jedoch nichts als ein Sakrileg. Was soll nun mit dem Bild geschehen, das den Gipfel seiner Lebensleistung bilden sollte? Ohne das Modell ist es nicht zu vollenden, und so flammt in ihm ein – seiner ironisch-überlegenen Welthaltung bisher fremder – Hass und Vernichtungswille auf.
Als Strafe für Astrids «Verbrechen», ihn in das Bild hineingelockt zu haben, sucht er sie auszulöschen, in und mit diesem Bild zu töten, indem er es vernichtet. Plötzlich setzt er Mittel ein, die er bisher als Maler verabscheut hat, verpasst der Leinwand «Pinselhiebe», presst brutal den Inhalt der Farbtuben auf dem so subtil ausziselierten Frauenkörper aus, ja fährt mit den blossen Händen durch die Farbe und verwandelt die dergestalt geschundene weibliche Gestalt in eine «Leiche mit schauerlichen Wunden», der das Genick gebrochen wurde, wie der abgewandte Kopf anzudeuten scheint.
Sein Galerist entdeckt indessen im Atelier des Malers das Bild, von dem dieser sich losgesagt hat, ist von Creutz’ vermeintlicher ästhetischer Wende hingerissen, und es gelingt ihm, den Maler dazu zu bringen, es auf seiner grossen Werk-Retrospektive im Pariser Musée d’Art Moderne zu präsentieren. Und hier wird das Gemälde, mit dem Creutz seine gesamte Ästhetik im Grunde desavouiert hat, zur Sensation der Kunstwelt. Ein prominenter Kritiker triumphiert: «Er hat die Tyrannei der Mimesis gesprengt, er lässt sich nicht mehr vom Modell versklaven.» Die malerische Gewalttat wird gar als Akt der «Humanität», als «Protest gegen die Missachtung der Menschenwürde» gefeiert, ja der Gegenstand des Bildes feministisch als Menetekel der «gekreuzigten Frau» interpretiert.
Eine pessimistischere, um nicht zu sagen zynischere Entlarvung des Kunstbetriebs und des Absolutheitsanspruchs eines Künstlers, der sich doch immer wieder in das Netzwerk dieses Betriebs verstrickt, ist kaum denkbar. Mosebach schildert sie mit gnadenloser Objektivität. Das gelingt ihm umso fesselnder, als er selbst ein Malerdichter par excellence ist, der sich – wie in seinem letzten Roman «Taube und Wildente», der ebenfalls um ein Gemälde kreist – an der gegenständlichen Objektivität der bildenden Kunst orientiert.
Literatur ist keine Besserungsanstalt
Martin Mosebach ist bekanntlich ein bekennender, wie er selbstironisch sagt: «reaktionärer» Katholik, der in seinem Buch «Häresie der Formlosigkeit» mit der Verflachung der römischen Liturgie und überhaupt der Anpassung der Kirche an den Zeitgeist abgerechnet hat.
Es fällt jedoch zumal von seinen letzten Romanen her schwer, den katholischen Essayisten in dem Dichter fiktionaler Prosa wiederzufinden. Tatsächlich hat er unlängst betont: «In meiner Arbeit (. . .) folge ich mir im ganzen stets unklar bleibenden Intuitionen, muss mich sogar gänzlich auf sie verlassen , weil ich im rationalen Nachdenken über meinen Stoff nicht weiterkomme.» Und er bekennt auch: «Ich selbst möchte dem Kern meiner Schöpfungen nicht zu nah kommen, als würde ich dadurch etwas gefährden.»
Im vergangenen Jahr ist Mosebach in der Zeitschrift «Communio» der Frage nachgegangen «Was ist der katholische Roman?». Darin drückt er seine Abneigung gegen jegliche Art von Botschaftsverkündigung im Roman aus, auch und gerade einer katholischen. Er selbst beschreibe eine Welt, «welche die metaphysischen Antennen eingezogen hat, und zwar beschreibe ich sie, weil es meine Welt ist».
Der Romanautor solle von der Erde nicht erwarten, was sie nicht geben kann, und so wolle er die Welt so darstellen, wie sie ist, nicht wie sie sein sollte, das Leben in seinen Widersprüchen, das jede auf Eindeutigkeit bedachte Doktrin zu Fall bringe.
Es ist ratsam, in diesem Sinne auch Mosebachs neuen Roman zu lesen, der eine Sphäre der Kunst darstellt, deren bestürzende Dialektik darin besteht, dass sie, gerade indem sie sich gleichsam wie Ikarus über eine Welt der Abhängigkeiten zum Absoluten erhebt, die Gefahr des Falls in einen Abgrund menschlicher Selbstentfremdung in sich birgt.
Martin Mosebach: Die Richtige. Roman. DTV, München 2025. 352 S., Fr. 36.90.