Wer in Zürich eine Photovoltaikanlage bauen will, muss einen Wust an Unterlagen einreichen. Jetzt fordert eine breite Allianz eine Entschlackung.
Wenn es um die Kraft der Sonne geht, gerät der promovierte Umweltwissenschafter Martin Neukom ins Schwärmen. In der Solarenergie sieht der Zürcher Regierungsrat und Klimaminister ein «riesiges Potenzial». Sie spiele eine «Schlüsselrolle» für eine vollständig erneuerbare Stromversorgung in der Schweiz und im Kanton Zürich, sagt er unermüdlich. Entsprechend rasch müsse sie ausgebaut werden. Solarpanels braucht es frei nach Neukom auf jedem Dach, an jeder Fassade, überall, wo es möglich ist.
Seinen Ruf als «Solarturbo» hat sich Neukom erarbeitet. Im Herbst 2022 hat der grüne Regierungsrat eine «Beschleunigungsvorlage» präsentiert. Seit dem 1. Januar 2023 braucht es im Kanton Zürich für die Installation einer Solaranlage keine ordentliche Baubewilligung mehr. In der Regel genügt es, sein Vorhaben den Behörden zu melden.
Ein schlankes Meldeverfahren statt eines aufwendigen Bewilligungsmarathons: Das war Neukoms Versprechen. Und tatsächlich ist vieles einfacher geworden. Statt mehrere Monate müssen Zürcherinnen und Zürcher nun höchstens 30 Tage warten, bis sie ihre Anlagen auf dem Hausdach montieren können. Der Aufwand für Gesuchsteller und Behörden ist gesunken, die Kosten sind es ebenso. 4600 Solaranlagen sind im letzten Jahr auf diesem Weg bearbeitet worden, eine stattliche Zahl. Neukoms Baudirektion bilanzierte kürzlich: «Die Vereinfachung bewährt sich.»
Doch wie sich jetzt zeigt, ist nicht alles eitel Sonnenschein. In den letzten Wochen hat sich in der Zürcher Politik eine kritische Allianz gebildet, die mit der Zeit immer breiter wurde. Unterdessen ist sie so breit, dass sie alle Fraktionen im Kantonsrat umfasst – ein seltenes Ereignis.
Der Punkt der Parteien: Neukoms Meldeverfahren ist zwar einfacher als das frühere Bewilligungsprozedere, aber immer noch viel zu bürokratisch. Simon Vlk, FDP-Kantonsrat aus Uster, sagt es so: «Im Vergleich zu anderen Kantonen ist die Zürcher Regelung deutlich komplizierter.» Er ortet «Luft nach oben».
Wer seine Solaranlage in Zürich anmeldet, benötigt heute einen Wust an Unterlagen. So werden Situationspläne in verschiedenen Massstäben verlangt, worauf die – «rot eingetragene» – Solaranlage ersichtlich sein muss. Dazu braucht es separate Darstellungen der Dachaufsicht, der Giebel- sowie der Trauffassade, einen Produktbeschrieb des Herstellers der Solaranlage plus Abbildung der verwendeten Module und Anlageteile und – zum krönenden Abschluss – einen Orientierungsplan gemäss Brandschutzmerkblatt «Solaranlagen» der Vereinigung der kantonalen Feuerversicherungen.
Simon Vlk kann nur den Kopf schütteln. «Andere Kantone verlangen viel weniger Unterlagen, und es funktioniert trotzdem problemlos. Ich war überrascht, wie unterschiedlich die Regelungen sind.» Tatsächlich haben diverse Kantone schlankere Verfahren als Zürich eingeführt. Im Aargau genügen als Meldung etwa eine einfache Ansicht und ein Schnitt des Gebäudes, dazu ein Datenblatt der Solarmodule. In Baselland kann man sogar nur eine simple Handskizze einreichen. In Luzern benötigt man für Anlagen bis zu 20 Quadratmetern keinerlei Unterlagen.
Als besonders sinnlos erachtet Vlk es, einen Orientierungsplan für den Brandschutz mitschicken zu müssen. Fast kein anderer Kanton beharrt darauf. Der Freisinnige spricht von einem «typischen Zürich-Finish», welches die Baudirektion in ihrer Umsetzungsverordnung durchblicken lasse.
Baudirektion zeigt sich offen
Mit einem Vorstoss im Kantonsrat, den Vertreter aus Parteien von ganz links bis ganz rechts unterstützen, will Vlk die administrativen Hürden jetzt verringern. Der FDP-Mann ist sich sicher: «Das wird einen zusätzlichen Boost für Solaranlagen in Zürich geben.» Denn je weniger Aufwand und Kosten man habe, desto eher sei man bereit, aktiv zu werden und Panels zu verlegen. Das habe die Vergangenheit gezeigt. Gerade weil der «Solarexpress» in den Alpenregionen ins Stocken geraten sei, sei es jetzt umso wichtiger, dass er auf den Dächern von urbanen Regionen vorangetrieben werde. Zudem würden die hiesigen Bauämter von Arbeit entlastet.
Mit einem zweiten Vorstoss will Vlk noch weiter gehen. Ähnlich wie im Kanton Luzern sollen auch in Zürich kleinere Anlagen ganz ohne Meldepflicht erstellt werden dürfen. Vlk schlägt eine Grenze bei 35 Quadratmetern vor; das entspricht der durchschnittlichen Nutzungsfläche auf einem Schweizer Einfamilienhausdach. Eine ähnliche Regelung gilt im Kanton Thurgau. «Ich kenne viele, die sofort eine Solaranlage bauen würden, wenn sie sich den Gang zu den Behörden ersparen könnten», sagt Vlk. Genau darum brauche es auch diesen zweiten Vorstoss, den allerdings nicht alle Parteien mittragen.
Martin Neukoms Baudirektion nimmt schriftlich zur grundsätzlichen Kritik Stellung. Der Kanton Zürich sei «der schweizweite Vorreiter der Vereinfachung» der Verfahren – nicht nur bei Solaranlagen, sondern auch bei Wärmepumpen, Fernwärmeanschlüssen und E-Ladestationen. Man erhalte viele positive Rückmeldungen von Bauherren und Gemeinden. Gewisse Unterlagen – insbesondere Pläne – seien erforderlich, um zu erkennen, ob das einfache Meldeverfahren überhaupt angewendet werden könne. «Das hat nichts mit einer bürokratischen Ausgestaltung zu tun», schreibt die Direktion.
Grundsätzlich zeigt man sich beim Kanton aber offen, die heutige Regelung zu überdenken. «Die Baudirektion prüft die Optimierung der bestehenden Verfahren laufend und justiert diese bei Bedarf. Das gilt auch für das Meldeverfahren.» Auch die Idee, die Meldepflicht für kleinere Solaranlagen vollständig aufzuheben, verwirft man nicht sofort. «Das kann man prüfen», schreibt die Direktion. Eine Änderung würde aber «das Risiko von nachträglichen (und oftmals kostspieligen) Beanstandungen und Konflikten erhöhen».
Behörden handeln «übereifrig»
Der SP-Kantonsrat Jonas Erni hat Vlks Vorstösse mitunterzeichnet. Bereits früher hat er sich für einfachere Verfahren für Wärmepumpen eingesetzt. «Die Energiewende muss auf allen Ebenen vorangetrieben werden», sagt er. Dass er gemeinsame Sache mit einem Freisinnigen macht, ist für ihn nichts Besonderes. «Ich schätze zielorientierte und parteiübergreifende Zusammenarbeit.»
Der Mitte-Kantonsrätin Janine Vannaz geht es um Grundsätzliches: «Dem Bürger sollte mehr Vertrauen entgegengebracht werden», sagt sie. Im Bauwesen würden Behörden zum Teil «übereifrig» handeln, und es werde zu viel reguliert.
Selbst Neukoms Grüne unterschreiben Vlks ersten Vorstoss. Vor allem weil dadurch weniger Aufwand für die Verwaltung entsteht, wie der Fraktionschef Thomas Forrer ausführt. Man gehe jedoch nicht davon aus, dass durch die Verschlankung eine nennenswerte Beschleunigung im Ausbau der Solarenergie entstehe. «Hier war die Abschaffung der Bewilligungspflicht der grosse Schritt», sagt Forrer. Vlks zweiten Vorstoss werden die Grünen zwar nicht mitunterzeichnen, man werde sich einer Überweisung im Kantonsrat «aber auch nicht entgegenstellen».
Angesichts der ungewohnt breiten Allianz, die von der Alternativen Liste bis zur SVP reicht, dürfte es Martin Neukom schwerfallen, an seiner ursprünglichen Regelung festzuhalten. Der Fall zeigt: Auch ein Solarturbo kann noch einen Gang höherschalten.