Die Ausstellung im Museum Strauhof relativiert den Hype um KI. Und zeigt, dass Maschinen nicht selber denken, sondern zum Denken anregen.
Als die ersten Grossrechner aufkommen, programmiert 1952 der Computerpionier Christopher Strachey einen Algorithmus, der Liebesbriefe ausspuckt: «Liebster Schatz, du bist mein begieriges geselliges Gefühl. Meine Zuneigung klammert sich neugierig an deinen brennenden Wunsch.» Und so weiter.
So klingt frühe Maschinenpoesie. Das Wort irritiert. Was poetisch ist, kann nicht maschinell sein. Bei Gedichten geht es um Gefühle, Phantasien, Wünsche. Um unser sonst Ungreifbares, Innerstes. Alles, was Menschen eben zu Menschen macht und sie von Maschinen unterscheidet. Doch Avantgardisten, Computernerds, Lyriker oder Schriftsteller experimentieren seit mindestens siebzig Jahren mit Maschinenpoesie.
Sie ist wie ein Fülltext aufgebaut, Wort- und Satzbausteine sind austausch- und frei kombinierbar. Deshalb gelten gewisse Maschinentexte als queere Literatur: Sie sind rational, frei von gesellschaftlichen Normen. Christopher Stracheys «Love Letters» haben eine reduktionistische Haltung zur Liebe und zu ihrem Ausdruck. Liebessprache aus dem Computer ist in ihrer schematischen Art befreit von heteronormativen Konventionen.
Der Mathematiker Theo Lutz entwickelt 1959 auf einem Grossrechner ein Programm, das mit einem Zufallsgenerator sogenannte Elementarsätze hervorbringt. Als Basis dienen je 16 Subjekte und Prädikate aus Franz Kafkas Roman «Das Schloss». So entstehen Lutz’ «Stochastische Texte», die ersten echten Computergedichte, nach den Regeln der Lyrik.
Staat-sex-amen, Schrei-bau-tomaten
Dank der britischen Linguistin Margaret Masterman wird Computerlyrik einem breiten Publikum zugänglich. Masterman erstellt in den 1960er Jahren ein Computerprogramm, das Haikus generiert, eine sehr kurze, ursprünglich aus Japan stammende Gedichtform. Daraus entsteht einer der ersten interaktiven Computerpoesie-Generatoren, Austellungsbesucher können ihn damals in London ausprobieren. Masterman sieht darin ein «Teleskop für den Geist».
In der Schweiz will der Schriftsteller Beat Gloor die Sprache neu begreifen und behilft sich dabei mit Algorithmen. Er erfindet Silbenkompositionen wie Staat-sex-amen, Rat-hau-sturm oder Schrei-bau-tomaten. Er hatte als Texter den Auftrag, für einen Produktenamen ein einsilbiges Wort zu finden, das noch keine Bedeutung hat. Gloor hört nicht mehr auf zu suchen und schafft eine Sammlung mit 1,1 Millionen Silben.
2013 erscheint nach «Staat-sex-amen» sein grosses, dreibändiges Werk «Be deuts. Das einsilbige Wörterbuch». Die Silben lassen sich schliesslich nur noch mit Computerprogrammen ordnen und bearbeiten. So entsteht Gloors Silbenmaschine als Website, später kommen eine Schimpfmaschine und eine Schätzelimaschine hinzu, die Schimpfwörter beziehungsweise Liebkosungen ausspucken.
Leser wollen Autoren
Die Ausstellung im Literaturmuseum Strauhof in Zürich zeigt eine reiche Sammlung von Versuchen von Künstlern, Programmierern, Schriftstellern, Dichtern, durch Technik Literatur zu schaffen. Die Avantgardisten finden Inspiration beim Zusammenspiel von Text, Mensch und Maschine, brechen mit der herkömmlichen Praxis.
Inzwischen wird auch KI-Prosa vertrieben. Der Schriftsteller Daniel Kehlmann lässt sich 2019 für ein Experiment mit dem Schreibalgorithmus «CTRL» einspannen. Kehlmann schreibt 2021 in seinem Buch «Mein Algorithmus und ich» über die Arbeit mit der Maschine. Das Resultat ist enttäuschend: «Ich habe keine Geschichte vorzuweisen, die ich mit CTRL verfasst hätte und die gut genug wäre, dass ich sie als künstlerisches Werk, nicht bloss als Produkt eines Experiments, veröffentlichen könnte», schreibt Kehlmann.
Mit KI ist mehr möglich als mit den Computern der 1960er Jahre. Die beste KI-Poesie ist nicht von menschlicher Lyrik zu unterscheiden. Doch das Publikum will einen Menschen hinter dem Text. Als Leser braucht man einen Autor, den man feiern oder kritisieren kann, mit dem man sich identifizieren oder von dem man sich auch abgrenzen kann.
Bis heute gilt: KI-Romane verkaufen sich schlecht, Maschinen-Lyrik ebenso. Maschinenpoesie beziehungsweise Maschinenprosa bleibt ein Nischenphänomen. Sie ist eine Kunstform der Avantgardisten, die es kaum in den Mainstream schafft. Zum Glück. Denn sie ist zwar unterhaltsam. Aber im Wissen, dass eine Maschine dahintersteckt, ziemlich öde.
Nach dem Motto von «Machine à écrire» (1964), einer der ersten Computerpoesie-Publikationen, heisst es in der Ausstellung: «Es sind keine denkenden Maschinen, sondern vielmehr Systeme, die uns zum Denken anregen.»
«Maschinenpoesie – Über Experimente, Computer und Gedichte», Literaturmuseum Strauhof, Zürich, bis 12. Januar.