Mit dem motorsportlichen Bruder des MC20 bringt Maserati eine letzte Hommage an die Verbrennungsmotoren auf die Strasse, bevor die Elektrifizierung Einzug hält. Kann er den Absatz des MC20 übertreffen und sich gegen die starke Konkurrenz von Porsche, Aston Martin, McLaren und Ferrari behaupten?
Der neue Supersportwagen von Maserati ist die für Strassen zugelassene Version des Rennwagens GT2, daher der Zusatz «Stradale». Doch eigentlich verhält sich die Sache umgekehrt: Das Auto ist eine noch sportlichere und Rennstrecken-tauglichere Variante des Alltags-Sportwagens MC20.
Der MC20 von 2020 überzeugt zwar als zweisitziger Sportwagen, verkauft sich jedoch schleppend. In der Schweiz sind seit 2020 bis Ende 2024 gerade einmal 84 Exemplare neu zugelassen worden. Im gleichen Zeitraum verkaufte Ferrari vom 620 PS starken Modell Roma fast die doppelte Menge, obwohl dieser wie der MC20 gut 230 000 Franken kostet.
Um das Geschäft mit dem MC20 anzuschieben, lancierte der Hersteller eine Cabrio-Variante namens «Cielo» und verschiedene Sondermodelle in Kleinstauflage. Offenbar gibt es aber noch genügend Teile und Motoren, die produziert sind und im Lager liegen, bevor die CO2-Grenzwerte strenger werden und ein neues Modell mit Elektrifizierung nachkommt.
Und darum dürften sich die Macher bei Maserati gesagt haben: Warum also nicht eine Strassenversion des GT2 nachlegen und aus der Entwicklung des Sport- und des Rennwagens doppelt Profit ziehen? Das Ergebnis ist der GT2 Stradale, mit 640 PS gerade einmal 10 PS leistungsfähiger als der MC20.
Der Maserati-Chefdesigner Klaus Busse kümmerte sich um die Formgebung des Strassenrenners GT2 Stradale. «Es ist einfacher, einem fertigen, skulpturalen Fahrzeug zusätzliche Performance-Elemente hinzuzufügen, als frisch anzufangen», erklärt er seine Aufgabe. Diese bestand aus drei Elementen: mehr Anpressdruck an die Strasse, bessere Kühlung für den getunten Motor und stärkere Bremsen für ausdauernde Pistenfahrten.
Für mehr Abtrieb sorgen eine ausgeprägte Frontlippe unter dem Grill, ein flacher Unterboden mit Luftleitblechen, breitere Seitenschwellen, ein feststehender Heckflügel und ein stärker ausgeformter Diffusor unter den Auspuffrohren. Auf diese Weise presst sich die Karosserie bei Tempo 280 km/h an der Vorderachse mit 130 Kilogramm an den Boden, an der Hinterachse resultieren 370 Kilogramm Abtrieb. Beim MC20 sind es nur 35 Kilo vorne und 110 Kilo hinten, zum GT2-Rennwagen gibt es keine genauen Angaben.
Für eine bessere Kühlung des Antriebs und der Bremsen des GT2 Stradale sorgen unter anderem vergrösserte Kühler, grosszügige Entlüftungsöffnungen an der Motorhaube, Luftleitkanäle vor den Vorderrädern und höher aufbauende seitliche Kühlerkanäle vor den Hinterrädern.
Nicht nur die Kühlung der Bremsen sorgt für eine verbesserte Verzögerungsleistung, auch die Bremsscheiben sind im Vergleich zum MC20 dicker und grösser. Maserati gibt für den Bremsweg von 100 km/h bis zum Stand 28 Meter an – das sind Rennwagenwerte, rund 4 Meter weniger als beim Sportwagenbruder MC20.
Bei der Innenraumgestaltung des GT2 Stradale hat Maserati einen Kompromiss zwischen dem GT2-Rennauto und dem Sportcoupé MC20 gewählt. Um Gewicht einzusparen, verwendet der Hersteller auch innen eine Reihe von strukturellen Elementen aus Carbon. Das Cockpit ist stark auf den Fahrer ausgerichtet. Alcantara-Bezüge reduzieren Spiegeleffekte von Kunststoffflächen. Auf der Mittelkonsole ist der Fahrmodus-Wählschalter nun einfacher zu erreichen als im MC20.
Rennsitze liefern sportlichen Look bei geringem Komfort
Zur Wahl stehen zwei Sitzarten. Die Schalensitze aus Carbon sind schaumgepolstert, allerdings etwas unbequem – die Polsterung drückt vor allem im Schulterbereich unangenehm auf die Schulterblätter, die seitlichen Ohren engen den oberen Rücken zusätzlich ein. Komfortabler sind die optionalen Sportsitze mit etwas mehr Platz im Becken- und Rückenbereich.
Der überarbeitete Antrieb des GT2 Stradale sorgt für mehr Kraft und verbesserte Fahrbarkeit. Der V6-Benzinmotor ist gegenüber dem MC20 von 630 auf 640 PS erstarkt. Möglich machte es eine Anpassung der Steuerungselektronik und der Auspuffanlage. Einen leistungsfähigeren Motor hat Maserati noch nie gebaut, und auch das Drehmoment von maximal 720 Nm ist ein Spitzenwert.
Daraus ergibt sich ein für Fahrzeuge ohne Allradantrieb erstaunlicher Beschleunigungswert. Aus dem Stand erreicht der GT2 Stradale das Tempo von 100 km/h in 2,8 Sekunden. Möglich wird dies nicht nur dank dem Antrieb, sondern auch durch die auf das Fahrzeug abgestimmten Sportreifen des Typs Michelin Pilot Sport Cup 2R, die viel Traktion liefern.
Um dem Stradale im Fahrzeugnamen gerecht zu werden, hat Maserati den Wagen mit einem hinteren Kofferraum von 100 Litern für das kleine Gepäck ausgestattet, und für mehr Alltagstauglichkeit sorgt zudem eine auf Knopfdruck anhebbare Vorderachse, um Schwellen und Buckel ohne Schaden an der Frontlippe zu überfahren.
Auf ersten Testfahrten in Norditalien bestätigt sich der gute optische Eindruck des Maserati GT2 Stradale. Ein- und Aussteigen stellen keine Turnübung dar, die Ergonomie ist gut, wenn man einmal von den unbequemen Rennsitzen absieht. Das oben und unten abgeflachte Lenkrad zeigt im oberen Teil des Kranzes eine Schaltempfehlung per LED-Leuchtenband an. Bewegt sich dieses in den roten Bereich, können die überdimensionierten Schaltpaddel an der Lenksäule zum Hochschalten betätigt werden.
Das Fahrwerk ist reise- und renntauglich
Etwas überraschend ist während der Fahrt auf den kurvigen Landstrassen der Federungskomfort des ausgezeichnet abgestimmten Fahrwerks. Selbst bei ruppigen Unebenheiten auf der Fahrbahn gibt sich die Dämpfung angenehm und nicht so bretthart wie bei einem Porsche 911 GT3. Die Lenkung ist sehr präzise, das Einlenkverhalten zeigt sich vorbildlich direkt.
Erstaunlich ist die jederzeit tadellose Traktion des Hecktrieblers, ganz egal ob im Fahrmodus «Wet» auf nasser Strasse, im Reiseprogramm «GT» oder in «Sport».
Wählt man den schärfsten Modus «Corsa», sollte man sich am besten auf einer abgesperrten Rundstrecke befinden. Die Fahrten auf dem Rennkurs in Modena zeigen, dass innerhalb des Corsa-Modus vier verschiedene Stufen einstellbar sind, die ein je nachdem stärkeres oder schwächeres Eingreifen des Fahrstabilitätsprogramms zulassen. Diese vierstufige Variabilität erhält jedoch nur, wer die Option Performance Pack wählt.
Der Wagen eignet sich bestens für sportliche Ausfahrten auf Rennstrecken, wie sich nach wenigen Runden zeigt. Die Gewichtsverteilung ist fast symmetrisch und eine Spur hecklastig, um für ein Maximum an Traktion zu sorgen. Es sind hohe Kurventempi möglich, und je nach Corsa-Einstellung zeigt der GT2 Stradale leichte Drifts an der Hinterachse, wie es sich Sportfahrer wünschen, und bei Lastwechseln ein gut beherrschbares Eigenlenkverhalten.
So macht das sportliche Fahren im GT2 Stradale viel Freude. Ist die Piste feucht, wählt man besser andere Reifen als die mit geringem Profil ausgestatteten Michelin-Pneus. Zudem zeigen diese ein rasches Abbauen der Haftungsstärke nach wenigen Runden. Aber wer das Kapital zur Anschaffung eines solchen Strassenrenners zum Preis ab 330 000 Franken hat, kann sich auch ein häufiges Wechseln der Reifensätze leisten. Ein Satz kostet derzeit im Schnitt rund 2200 Franken.
Mit seinem Mix aus Rennstrecken- und Strassentauglichkeit bietet der Wagen eine valable Alternative zur starken Konkurrenz aus Italien, Deutschland und Grossbritannien. Und er ist seltener als die Mitbewerber. Wer einen Maserati GT2 Stradale kaufen möchte, sollte sich sputen: Es werden nur insgesamt 914 Stück gebaut, und es gibt noch ein paar wenige Exemplare.