Eine NZZ-Recherche zeigt, wie es zur Leerkündigung kam, über die ganz Zürich spricht.
Er war ein Unternehmer, wie es sie kaum mehr gibt. Und diese Häuser sollten sein Vermächtnis sein.
Leopold Bachmann (1933–2021) arbeitete sich aus dem Nichts zum erfolgreichen Immobilienunternehmer hoch. Doch um Profit allein ging es ihm nie. In einem Interview sagte er einst, er fühle sich verpflichtet, «Wohnungen für Familien zu bauen, die sonst keine finden würden».
Bachmanns Nachkommen und eine nach ihm benannte Stiftung besitzen gemäss Schätzungen rund 5000 Wohnungen. Das macht die Familie zu einem grossen Player auf dem Schweizer Immobilienmarkt. Gut 500 dieser Wohnungen stehen in Opfikon, über 800 in Winterthur, weitere in Zürich Affoltern und in Altstetten.
Doch die «Sugus»-Häuser im Kreis 5 stehen wie keine andere Bachmann-Siedlung für die Idee des Unternehmers. In den farbenfrohen Mehrfamilienhäusern entlang der SBB-Gleise mitten im einstigen Zürcher Arbeiterquartier liegen die Mieten zum Teil vierzig bis 50 Prozent unter den Marktpreisen in der Gegend.
Aber damit ist nun in drei der neun Häusern Schluss: Leopold Bachmanns Tochter Regina stellt ihre Mieter auf die Strasse. Rauswürfe von 105 Mietparteien, innert der kürzestmöglichen Frist von drei Monaten, kommuniziert kurz vor Weihnachten. Seit die Leerkündigung am Dienstag bekannt wurde, ist sie in Zürich Stadtgespräch. Rechte wie linke Stadtpolitiker kritisieren das Vorgehen scharf.
Nun zeigen Recherchen der NZZ: Die Bachmann-Tochter, die hinter der Aktion steckt, ist kein unbeschriebenes Blatt. Erst Ende vergangenen Jahres rügte ein Gericht ihre Geschäftspraktiken in harschen Worten. Sie habe ihrem Vater, als dieser noch lebte, Dokumente zur Unterschrift unterbreitet, die ihr weitgehende Kontrolle über einen Teil seines Millionenvermögens geben sollten. Und das, obwohl er zu jener Zeit nicht urteilsfähig gewesen sei.
Die Recherche zeigt weiter: Hinter dem Rauswurf in den Sugus-Häusern steckt ein Familienkonflikt, der seit Jahren schwelt. Das Erbe des sozialen Zürcher Immobilienpioniers – es hat seine Kinder entzweit.
Das Motiv sei offensichtlich, sagt eine Erbin
Die drei betroffenen Liegenschaften sollen totalsaniert werden. Damit geht in Zürich in der Regel stets dasselbe einher: eine markante Erhöhung der Mietzinse.
Dabei war die Idee eigentlich eine andere gewesen: Vater Bachmann wünschte sich, das die «Sugus»-Häuser nach seinem Tod in seinem Sinn weiter verwaltet würden, mit einem fixen Anteil an bezahlbaren Mietwohnungen unter dem Quartierniveau. So berichten es mehrere unabhängige Quellen aus dem Umfeld der Familie übereinstimmend.
Die Tochter Manuela Bachmann sagt es gegenüber der NZZ so: «Mein Vater hat sich für seine Mieter verantwortlich gefühlt. Er wollte, dass auch ganz normale Büezer in Zürich eine Wohnung finden können. Was jetzt passiert, ist sicher nicht in seinem Sinn.»
Manuela Bachmann hat selbst keines der «Sugus»-Häuser geerbt, sondern eine andere Immobilie aus dem Portfolio ihres Vaters. «Es ist sehr grosszügig, was mein Vater mir und meinen Geschwistern vermacht hat. Ich finde es schwierig, was nun mit einem Teil seines Erbes geschieht.»
So eine Leerkündigung mit kurzer Frist, direkt vor den Weihnachtstagen bekanntgegeben, zeugt für sie von fehlendem Feingefühl. Das Motiv dahinter sei leider offensichtlich, sagt Bachmanns jüngste Tochter: «Mehr Rendite.»
Die Brüder halten das Vermächtnis des Vaters hoch
Regina Bachmann selbst äussert sich nicht zum Thema und zu den Vorwürfen, die gegen sie erhoben werden. Sie nimmt zwar das Telefon ab, als die NZZ sie anruft. Dann legt sie aber sofort wieder auf. Auf eine Voicemail reagierte sie nicht.
Die anderen Häuser der Siedlung gehören zwei weiteren Söhnen von Leopold Bachmann, einem Brüderpaar, das sie gemeinsam verwaltet. Drohen auch dort weitere Kündigungen?
Bereits kurz nach Bekanntwerden des Falls gab die zuständige Verwaltung Entwarnung. Auf der Website der Simo Immobilien GmbH heisst es: «Die beiden Eigentümer der bei uns verbleibenden sieben Häuser Neugasse 87–99 haben uns zugesichert, dass sie die Wohnqualität und die Bezahlbarkeit unverändert aufrechterhalten wollen.»
Das bestätigt einer der Besitzer, Sigmund Bachmann, schriftlich gegenüber der NZZ. Es sei kein ähnlicher Schritt geplant wie in den Häusern nebenan. Er könne seine Mieter diesbezüglich beruhigen.
Man folge, so heisst es im Statement der Verwalterin Simo, unverändert dem Wunsch von Leopold Bachmann, «bezahlbaren Wohnraum für Familien und Menschen jeden Alters zu schaffen, in einer Stadt und einem Land, in dem viel zu wenig davon gebaut und erhalten wird».
Nach den Grundsätzen gefragt, nach denen er seine Miete festsetze, schreibt Sigmund Bachmann: «Zum Beispiel sollten sich ein Handwerker oder eine Einverdienerfamilie die Wohnungen leisten können.»
Der Bruch ist tief
Er selbst sei über die Leerkündigung in den Häusern seiner Schwester im Voraus nicht informiert gewesen. Weiter dazu äussern will er sich nicht.
Andere Personen aus dem direkten Familienumfeld sind da weniger diplomatisch. Hinter vorgehaltener Hand fallen harsche Worte über das Vorgehen von Regina Bachmann und ihrer Immobilienverwaltung, die passenderweise «Allgood Property AG» heisst.
Zwei gut informierte Quellen berichten der NZZ, dass die Erbin ihre Familie offenbar schon länger drängte, die Wohnungen zu höheren Preisen zu vermieten. Dazu passt, dass sie ihren Mietern schon im September eine Erhöhung um zehn Prozent mitteilte, wie die Online-Portale «Watson» und «Tsüri» berichteten.
Wie tiefgreifend der Bruch zwischen Regina Bachmann und ihren Geschwistern zu sein scheint, zeigt allein schon eine Todesanzeige für den Patron, die 2021 in der «Zürichsee-Zeitung» erschien. «Unsere Heimat ist Himmel», steht darauf. Dann sind alle seine Kinder aufgeführt – ausser Regina.
Was ist der Grund für diesen Bruch? Darüber erfahren Aussenstehende nur Bruchstücke. Ein zentrales davon hat die NZZ in einem Gerichtsurteil des Zuger Obergerichts ausfindig gemacht.
Gericht: «Sie handelte bösgläubig»
Dort geht es um einen Strafprozess. Der Vorwurf: mehrfache Erschleichung einer falschen Beurkundung und Urkundenfälschung. Die Beschuldigte: Regina Bachmann.
Der Prozess dreht sich um eine Reihe von geschäftlichen Entscheiden, die sie für oder mit ihrem Vater gefällt haben soll. Am umstrittensten: Im Dezember 2017 unterschrieb er drei Dokumente, mit denen er seiner älteren Tochter die Kontrolle über einen Gutteil seines Vermögens übertrug, und zwar, indem er Aktien an eine der von ihr beherrschten Stiftungen verschenkte.
Das Problem: Die Unterzeichnung erfolgte wenige Tage, nachdem Leopold Bachmann notfallmässig hospitalisiert worden war. Er sei, so hielt es später ein medizinisches Gutachten fest, zum Zeitpunkt der Unterzeichnung höchstwahrscheinlich nicht urteilsfähig gewesen.
In erster Instanz wurde die Tochter für dieses Vorgehen verurteilt und erhielt eine bedingte Freiheitsstrafe von zehn Monaten. Dann, im Berufungsprozess, die Wendung: Das Zuger Obergericht sprach sie frei. Die Hürde zu strafrechtlich relevantem Fehlverhalten war laut Urteil nicht erreicht.
Dabei spielte eine wichtige Rolle, dass die restlichen Geschwister sich unterdessen mit ihrer Schwester geeinigt und ihr Desinteresse an einer weiteren Strafverfolgung erklärt hatten.
Dennoch wählten die Richter deutliche Worte: Es sei erwiesen, dass Regina Bachmann ihren Vater drei Dokumente unterzeichnen liess, «obwohl er in diesem Zeitraum diesbezüglich urteilsunfähig war, was die Beschuldigte auch wusste». Mit diesem Vorgehen habe sie ihre zivilrechtliche Pflicht, nach Treu und Glauben zu handeln, verletzt.
Dies sei «nicht mit einem loyalen Verhalten vereinbar». Aufgrund der Schenkung habe sich die Stiftung der Tochter «ungerechtfertigt bereichert». «Die Beschuldigte wusste von der Grundlosigkeit der Schenkung oder nahm diese bewusst in Kauf», schreiben die Richter. «Sie handelte bösgläubig.»
Ein Unternehmer mit wenig erfolgreicher Vergangenheit
Der Kampf um das Bachmann-Erbe – er begann also schon vor dem Tod des Vaters. Und er mündet nun, wo die Geschwister nach Abschluss des Gerichtsverfahrens endgültig getrennte Wege gehen, in die Leerkündigungen, die Zürich so bewegen.
Am 26. November übernahm Regina Bachmann laut dem zuständigen Grundbuchamt offiziell die alleinige Eigentümerschaft. Sechs Tage später erhielten die Mieter ihre Kündigung.
Ausgestellt waren diese von der Verwalterin Allgood, die dieser Tage ebenfalls zu reden gibt. Die Firma besteht laut Handelsregister seit 2021 und gehört einem Unternehmer, der im selben Register immer wieder auftaucht. Und zwar im Zusammenhang mit liquidierten Firmen, etlichen im Immobilienbereich.
Steckt hinter Allgood eine seriöse Verwaltung? Kann es sein, dass die «Sugus»-Häuser der Schwester wirklich totalsaniert werden müssen, obwohl jene der Brüder weiterhin problemlos bewohnbar sind?
Die Fragen der NZZ will der Unternehmer nicht beantworten. Er verweist stattdessen auf seine Website. Dort sind allerdings nur ein paar Bilder aus dem Inneren der «Sugus»-Häuser zu finden. Ein paar Flecken an den Wänden, abgeblätterte Farbe in einem Bad.
Dazu der Text: «Die bittere Wahrheit. . .»