Die beiden führenden Schweizer Medikamentenhersteller Roche und Novartis werden Produkte für den amerikanischen Markt künftig verstärkt in den USA herstellen müssen. Für den Pharmastandort Schweiz sind das schlechte Nachrichten.
Zölle auf Warenlieferungen jeglicher Art aus Mexiko und Kanada hat US-Präsident Donald Trump vorläufig ausgesetzt. Doch verschiedene Branchen laufen nach wie vor Gefahr, dass ihre Produkte beim Import in die USA generell mit einer Zollabgabe belastet werden könnten. Dazu zählen auch Erzeugnisse der Pharmabranche. Im Fall der Schweiz machen sie mit Abstand den grössten Teil der Exporte nach Amerika aus.
Verstoss gegen bisherige Usanz
Trump hat seit seiner neuerlichen Amtseinsetzung explizit gesagt, dass er für eingeführte Medikamente Zölle vorsehe. Nach seinem Verständnis könnten so Anreize für eine vermehrte Herstellung von Pharmaprodukten in den USA geschaffen werden. Gleichzeitig nimmt er in Kauf, dass sich wegen der Zölle Medikamente für amerikanische Patienten spürbar verteuern werden.
Der Protektionismus, mit dem Trump nun auch die Pharmabranche überziehen will, lässt bei Arzneimittelherstellern wie Roche und Novartis die Alarmglocken schrillen. Bis anhin galt die Regel, dass Medikamente von Zöllen ausgenommen werden, weil sie für das Wohl der Menschheit von grosser Bedeutung sind. Dies galt auch während der ersten Amtsperiode Trumps von 2017 bis 2021.
Doch welche internationalen Regeln haben unter Trump, dem wirtschaftliche Vorteile für die USA über alles zu gehen scheinen, noch Bestand? Stefan Schneider bewertet für die Bank Vontobel Pharmaunternehmen. Man müsse, sagt der Branchenbeobachter, damit rechnen, dass Trump seine Drohung wahr mache. «Möglicherweise reagiert er lieber sofort, als Gefahr zu laufen, dass seine Forderung nach Zöllen mit der Zeit zerredet wird.»
Auch Novo Nordisk und GlaxoSmithKline betroffen
Finanzanalytiker haben bereits zu analysieren begonnen, welche der grossen Medikamentenhersteller von US-Zöllen am stärksten betroffen sein könnten. Laut den Experten der UBS erwirtschaften von allen führenden europäischen Pharmafirmen der dänische Anbieter Novo Nordisk und der britische Konzern GlaxoSmithKline 2025 mit 57 beziehungsweise 51 Prozent den höchsten Teil ihres Umsatzes mit Arzneimitteln für den US-Markt. Bei Novartis, so schätzen sie, sind es 41 und bei Roche 40 Prozent.
Im Fall von Roche kommen gewichtige Aktivitäten im Geschäft mit Diagnostikprodukten hinzu. Auch dieser Bereich ist stark von den USA abhängig. Im vergangenen Jahr entfielen 30 Prozent der Verkäufe der Diagnostiksparte auf Nordamerika.
Die Analytiker der UBS werteten Daten der EU-Arzneimittelbehörde EMA zu den Produktionsstandorten einer Reihe von Medikamenten aus. Ausgewählt wurden Medikamente, die in den USA besonders hohe Einnahmen erzielen. Dabei stellten sie fest, dass beispielsweise der Roche-Umsatzrenner Hemlibra, der zur Behandlung der Bluterkrankheit eingesetzt wird, in der Schweiz und in Japan hergestellt wird. Das Krebsmittel Tecentriq, das ebenfalls von Roche stammt, wird in der Schweiz und in Deutschland produziert.
Die Pharmabranche in der Schweiz hat ihre Geschäfte mit den USA in den vergangenen Jahren laufend ausgebaut. 2024 erreichten die Exporte chemisch-pharmazeutischer Produkte, die für die Vereinigten Staaten bestimmt waren, ein rekordhohes Volumen von fast 34 Milliarden Franken. Gegenüber dem Vorjahr entsprach das einer Steigerung von 11 Prozent.
Zugleich stagnierten die Importe von den Vereinigten Staaten in die Schweiz in diesem Segment bei 6 Milliarden Franken. Dies führte dazu, dass der Exportüberschuss der Schweiz im Geschäft mit Pharmaprodukten für die USA sogar um 14 Prozent auf knapp 28 Milliarden Franken zunahm.
Mit ihren Produktionsstätten im Raum Basel steuern Roche und Novartis einen grossen Teil zu den Exporten der Pharmabranche in die USA bei. Ein weiterer gewichtiger Exporteur ist der Lohnhersteller Lonza. Im Auftrag einer Reihe von Pharmakonzernen produziert er Wirkstoffe für Medikamente in seinem stark gewachsenen Stammwerk in Visp. Die Analytiker der UBS gehen davon aus, dass das Unternehmen dort auch das umsatzstarke Krebsmedikament Tagrisso der britischen Firma AstraZeneca für den US-Markt fertigt.
Lonza übernimmt von Roche grosses Werk in Amerika
Auf Anfrage der NZZ lehnten es Roche und Lonza ab, darüber Auskunft zu geben, ob sie über genügend Produktionskapazitäten verfügten, um notfalls die gesamte Nachfrage in den USA mit Werken vor Ort zu bedienen. Solche Angaben mache man zu keinem Markt.
Roche betreibt in den Vereinigten Staaten drei Fabriken für Pharmaprodukte und sieben weitere Fertigungsstätten im Bereich Diagnostik. Allerdings veräusserte der Konzern im vergangenen Jahr ein besonders grosses Werk für die Medikamentenherstellung an Lonza. Auf die Frage, ob es im Nachhinein ein Fehler gewesen sei, diese Fabrik im kalifornischen Vacaville zu verkaufen, antwortet die Pressestelle des Unternehmens mit Nein. Das zukünftige Portfolio erfordere andere Fertigungstechnologien und -kapazitäten.
Die Firma Lonza besitzt einschliesslich des Werks in Vacaville nun 15 Produktionsstandorte in den USA. Sie ist damit gut aufgestellt, um mit den angedrohten Zöllen von Trump fertigzuwerden.
Auch Roche und Novartis, so hofft der Branchenbeobachter Stefan Schneider von Vontobel, sollten die Auswirkungen des wachsenden US-Protektionismus erfolgreich bewältigen. Wie ihm bereits letzten November seitens der Firmen bestätigt worden sei, verfügten beide dank ihrer grossen US-Präsenz über Manövrierraum. Zugleich fügt er hinzu, sei es keine Kleinigkeit, die Produktion eines Medikaments von einem Werk in ein anderes zu verschieben, da unter anderem jeweils Zustimmungen von Aufsichtsbehörden eingeholt werden müssten.
Sandoz verfolgt riskante Strategie
Anders präsentiert sich die Lage beim Generikahersteller Sandoz. Dieser erwirtschaftet zurzeit laut einer Aufstellung der Bank Vontobel erst einen knappen Fünftel des Umsatzes in den USA. Das Unternehmen hat sich aber vorgenommen, im weltgrössten Pharmamarkt mit Nachahmerprodukten für Biotech-Präparate (Biosimilars) zu wachsen.
Der US-Markt hat in diesem Segment gegenüber Europa und weiteren Weltregionen Aufholbedarf. Biosimilars werden Patienten in Amerika erst seit wenigen Jahren im grossen Stil verschrieben. Sie bringen ihren Anbietern deutlich höhere Margen ein als die herkömmlichen, chemisch hergestellten Generika. Diese sind wegen des starken Preisdrucks teilweise sogar ein Verlustgeschäft. Die meisten Generika stammen inzwischen denn auch von indischen oder chinesischen Produzenten.
Allerdings hat Sandoz keine Fertigungsstätte für Biosimilars in den USA. Laut dem Unternehmen sollen Produkte aus dieser Kategorie künftig aus einem neuen Werk in Slowenien eingeführt werden. Die einzige US-Fabrik, die Sandoz zurzeit noch im Betrieb hat, produziert Generika in Form von Salben und Crèmes zur Behandlung von Hautkrankheiten. Das Werk auf Long Island in New York soll indes, wie dies schon vor längerem beschlossen wurde, die Tätigkeit einstellen.
Branchenverbände warnen vor Versorgungsengpässen
Noch hegt man in der Pharmabranche die Hoffnung, die neue US-Regierung von der Verhängung von Zöllen auf Medikamente abbringen zu können. Organisationen aus diesem Sektor, die in Washington gemeinhin als ausgezeichnet vernetzt gelten, versuchen nun, intensiv zu lobbyieren.
So haben Vertreter der Generikabranche bereits darauf hingewiesen, dass sich im Fall der Einführung von Zöllen Hersteller aus dem US-Markt zurückziehen würden. Ihnen bliebe nichts anderes übrig, da sie in diesem ohnehin margenarmen Geschäft nicht mehr genügend verdienen könnten. Für amerikanische Patienten hätte das zur Folge, dass sie sich auf gefährliche Versorgungsengpässe einstellen müssten. Ob solche Bedenken Trump in irgendeiner Form kümmern, ist eine andere Frage.