Am 3. März entscheidet das Volk über eine zusätzliche Monatsrente für sämtliche Pensionierten. Es ginge auch ohne Giesskanne. Bundesrätin Elisabeth Baume-Schneider hat einen Plan.
Die Reaktion kam spät, dafür fiel sie eindeutig aus: Ohne eine einzige Gegenstimme hat der Nationalrat Mitte Dezember einen Vorstoss unterstützt, der sich wie ein verkappter Gegenvorschlag zur Initiative der Gewerkschaften für eine 13. AHV-Rente lesen lässt. Diese kommt am 3. März an die Urne und verlangt einen flächendeckenden Ausbau des grössten Sozialwerks der Schweiz.
Alle heutigen und künftigen Rentnerinnen und Rentner würden mit der Initiative ab 2026 eine zusätzliche Monatsrente der AHV erhalten, unabhängig davon, wie gut oder wie schlecht es ihnen finanziell geht – und vor allem auch unabhängig davon, ob sie besser oder schlechter situiert sind als die jüngeren Generationen, die den milliardenschweren Ausbau primär finanzieren müssten.
Das Gegenprogramm zu einer solchen Giesskannenlösung umfasst der Vorstoss, den der Nationalrat in seltener Einmütigkeit von SP bis SVP angenommen hat. Er verlangt ebenfalls eine Rentenerhöhung, die für die einzelnen Pensionierten mindestens so gross ausfallen soll wie mit der Initiative der Gewerkschaften, allenfalls sogar grösser. Hingegen soll der Ausbau gezielt auf diejenigen Haushalte fokussiert sein, die das Geld am dringendsten benötigen.
Eine statt fünf Milliarden
Gemäss einem Papier des Bundesamts für Sozialversicherungen könnte sich eine solche Lösung am System der Ergänzungsleistungen für bedürftige Rentner orientieren. Dort erhalten Alleinstehende in der Regel Unterstützung, wenn ihre Einkünfte unter 43 000 Franken im Jahr liegen.
Wenn ausschliesslich diese Pensionierten eine 13. Monatsrente erhalten, sind die Mehrkosten deutlich geringer. Sie dürften gemäss dem Papier etwa 0,5 Milliarden Franken im Jahr betragen. Der Nationalrat ist aber bereit, weiter zu gehen und mehr Geld umzuverteilen: Er sieht ein Kostendach von 1 Milliarde vor.
Das wäre immer noch weniger als die 5 Milliarden, die mit der Breitbandvariante der Gewerkschaften ausbezahlt würden, dafür könnten die einzelnen Haushalte je nach Konstellation mehr erhalten. In allen Varianten kommen jedoch die Mehrkosten der Rentenerhöhung zu den ohnehin drohenden AHV-Defiziten hinzu, mit denen ab 2030 auch mit dem heutigen Leistungsniveau zu rechnen ist.
Mitte und GLP stecken dahinter
Der Nationalrat hat bereits mehrere Eckwerte festgelegt. Für die technische Umsetzung will er die «Rentenformel» der AHV im unteren Bereich so justieren, dass Personen, die in ihrem Berufsleben relativ kleine Einkommen erzielt haben, im Alter höhere Renten erhalten. Damit würde wohl auch die Mindestrente steigen.
Bereits klar ist, dass die Ergänzungsleistungen wegen der höheren AHV-Renten nicht gekürzt werden sollen. Andernfalls wäre das Ganze für einen Grossteil der Rentner, die in den Genuss der Erhöhung kommen, ein Nullsummenspiel. Dies will der Nationalrat vermeiden.
Der Vorschlag stammt aus dem politischen Zentrum: Er geht auf die GLP-Nationalrätin Melanie Mettler und den Mitte-Ständerat Beat Rieder zurück, der in der kleinen Kammer einen identischen Vorstoss eingereicht hat. Dieser war bereits im Juni 2023 traktandiert, doch im Ständerat hielt es damals eine Mehrheit für unnötig, sofort darüber zu entscheiden.
Mittlerweile halten dies manche für einen Fehler, da mehrere Umfragen ergeben haben, dass die Initiative der Gewerkschaften gute Chancen hat. Die Befürworter der 13. Rente sehen in dem Vorstoss denn auch ein taktisches Manöver im Hinblick auf die Volksabstimmung.
Baume-Schneider nimmt den Steilpass auf
Doch selbst, wenn dem so ist: Das Signal des Nationalrats war derart deutlich, dass die Parteien nicht mehr davon abweichen können, ohne das Gesicht zu verlieren. Dies umso mehr, als die konkreten Entscheide schon bald anstehen, da die nächste AHV-Reform unabhängig vom Ausgang der Volksabstimmung rasch kommen muss. Nicht nur die linken Parteien und die Gewerkschaften werden SVP, FDP, Mitte und GLP an das einstimmige Votum erinnern, sondern auch der Bundesrat.
Die neue Sozialministerin Elisabeth Baume-Schneider hat den Steilpass noch so gerne aufgenommen. Letzte Woche kündigte sie an, dass sie – ganz im Sinne des Nationalrats – einen gezielten AHV-Ausbau für wenig begüterte Senioren in die nächste Rentenreform einbauen wolle, falls die Initiative der Gewerkschaften scheitere. Diese neue Reform muss sie bereits 2026 vorlegen.
Für Baume-Schneider – die Sozialdemokratin, die in ihrem ersten Abstimmungskampf ausgerechnet gegen die eigene Partei antreten muss – ist der Vorschlag aus dem Nationalrat politisch komfortabel. Im Gegensatz zu ihrem Vorgänger Alain Berset, der vergeblich versucht hat, die AHV für ärmere Rentner zu erhöhen, könnte sie nun einen solchen Ausbau mit dem ausdrücklichen Segen der bürgerlichen Parteien aufgleisen. Auch das Preisschild von einer Milliarde im Jahr stünde bereits fest.
Nicht restlos treffsicher
Aus Sicht der Fachleute der Verwaltung wäre der geplante selektive Ausbau gut realisierbar. In ihrem Papier schreiben sie, diese Option lasse sich leicht umsetzen und sei eine wirksame Methode für eine gezielte Verbesserung der Renten. Allerdings weisen sie auch auf Fragezeichen hin. Vor allem ist es nicht unbedingt logisch, weshalb das Parlament bedürftige Rentner unbedingt über die AHV besserstellen will und nicht über die Ergänzungsleistungen, die eigens für diese Gruppe eingeführt worden sind.
Dies ist nur politisch zu erklären. Die Ergänzungsleistungen gelten als weniger populär. Manche schrecken davor zurück, sie zu beantragen, während sie von einer Erhöhung der AHV automatisch profitieren würden, ohne sich als Bittsteller fühlen zu müssen.
Kommt hinzu, dass auch ein gezielter Ausbau der AHV nicht absolut treffsicher wäre. Stellt man allein auf die Einkommen ab, könnten unter Umständen auch Personen profitieren, die es nicht nötig haben. Denkbar ist dies bei Pensionierten, die von ihrem Vermögen leben, mit einem wohlhabenden Partner zusammenwohnen oder nicht lange in der Schweiz gearbeitet haben.
Alter ist nicht mehr das grösste Armutsrisiko
Trotzdem wäre eine solche Variante allemal gezielter als die jährliche 5-Milliarden-Giesskanne der Gewerkschaften. Die verfügbaren Statistiken zur Lage der Pensionierten in der Schweiz legen ein solches Vorgehen nahe. Sie deuten darauf hin, dass es zwar eine Minderheit gibt, die nur über ein knappes Budget verfügt, die Mehrheit aber mindestens so gut situiert ist wie die Erwerbstätigen. Das Alter ist nicht mehr das grösste Armutsrisiko. Stärker gefährdet sind alleinerziehende Mütter, Einwanderer, Bauern sowie Selbständige.
Einen Eindruck vermitteln die Armutsindikatoren des Bundesamts für Statistik. Die Armutsquote ist bei den Pensionierten auf dem Papier zwar höher, weil sie nur die Einkommen erfasst, nicht aber die Vermögen. Hingegen sind sie gesamthaft weniger von materieller Entbehrung betroffen, verfügen über mehr flüssige Mittel und haben seltener Schwierigkeiten, über die Runden zu kommen, als Personen im Alter von 18 bis 64 Jahren.