Die Leerstandsquote in der Schweiz erreicht mit nur 1,08 Prozent einen neuen Tiefstand. Besonders in urbanen Zentren wie Zürich, in der Zentralschweiz und in touristischen Gemeinden wird Wohnraum immer knapper. Eine Analyse.
Der Wohnraum in der Schweiz wird knapper. Am 1. Juni 2024 standen landesweit 51 974 Wohnungen leer, was einer tiefen Leerstandsquote von 1,08 Prozent entspricht. Im Vergleich zum Vorjahr hat sich die Zahl der leerstehenden Wohnungen um 5,1 Prozent verringert, wie das Bundesamt für Statistik (BfS) am Dienstag mitteilte.
Die wichtigste Ursache für diesen Rückgang ist das starke Bevölkerungswachstum im vergangenen Jahr. 2023 stieg die ständige Wohnbevölkerung in der Schweiz um rund 145 000 Personen. Daraus lässt sich ein erheblicher Wohnungsbedarf ableiten. Die 80 000 zusätzlichen Arbeitskräfte in der Schweiz benötigen etwa 40 000 Wohnungen.
Zudem zählen Flüchtlinge aus der Ukraine mit Schutzstatus S neu zur ständigen Wohnbevölkerung. Hinzu kommen weitere Faktoren wie der demografische Wandel. Immer mehr ältere Menschen leben in Einpersonenhaushalten und benötigen ebenfalls zusätzlichen Wohnraum.
Marktmieten steigen weiter
Die Konsequenzen sind bekannt: Vor allem in Städten, grossen Wirtschaftszentren und beliebten touristischen Gemeinden steigen die Wohnkosten. Die Angebotsmieten sind schweizweit im Jahresverlauf um über 6 Prozent gestiegen, wie aus dem letzten Immo-Monitoring von Wüest Partner hervorgeht. Aufgrund der hohen Nachfrage ist eine Trendwende vorerst nicht in Sicht.
Der Rückgang der Leerwohnungsziffer in der Schweiz ist nahezu flächendeckend. In sechs der sieben Grossregionen wurden am 1. Juni 2024 weniger Leerstände verzeichnet als im Vorjahr.
Den grössten Rückgang gab es in der Nordwestschweiz. Eine naheliegende Erklärung lautet: Wenn in der Basler Innenstadt Wohnraum knapp und teuer ist, zieht es die Menschen in Richtung Baselbiet, ins Fricktal und in den Kanton Solothurn. Was hier auf dem Markt noch zu haben war, konnte innerhalb kurzer Zeit vermietet werden.
Von der Stadt aufs Land
In der ganzen Nordwestschweiz finden sich auf dem lokalen Wohnungsmarkt attraktivere und günstigere Angebote als in der Stadt. Diese Verlagerung in die Agglomerationen und Vororte erklärt zu einem grossen Teil die stark gesunkenen Leerstände in der Nordwestschweiz.
Der Kanton Zürich ist die einzige Grossregion mit einer leichten Zunahme der Leerstandsquote. Der Kanton begründet dies damit, dass mehr Neubauten realisiert werden konnten als Wohnungen abgebrochen wurden.
Überdurchschnittlich hoch sind die Leerwohnungsziffern im Kanton Jura, im Raum Solothurn und Neuenburg. Auch der Kanton Tessin mit einer Leerstandsquote von 2,17 Prozent ist stark betroffen, da viele Gemeinden einen Bevölkerungsrückgang verzeichnen.
Auf und Ab beim Wohnungsneubau
Können Investoren in den Zentren künftig wieder vermehrt Neubauten realisieren, um der steigenden Nachfrage gerecht zu werden?
Zwischen 2014 und 2018 wurden in der Schweiz jährlich über 50 000 Neubauwohnungen realisiert, doch nach dem Ende der Negativzinsen ging die Bauaktivität stark zurück. Besonders in den Städten ist die Neubauaktivität unzureichend, um der starken Nachfrage gerecht zu werden.
Die Zahl der Baugesuche ist in diesem Jahr schweizweit zwar leicht gestiegen, aber die Umsetzung von Neubauten und Verdichtungen dauert viel zu lange. Im schon dicht bebauten städtischen Umfeld scheitern immer mehr Projekte an Einsprachen von Nachbarn und an strengen Auflagen zum Ortsbild- und Lärmschutz.
Stefan Fahrländer von Fahrländer Partner prognostiziert, dass die Leerstandsquoten in der Schweiz weiterhin niedrig bleiben werden. «Wenn wir bei den Bevölkerungsprognosen vom Szenario Basis des Bundesamtes für Statistik ausgehen, erwarten wir bis 2040 einen sehr hohen Bedarf an zusätzlichen Wohnungen», sagt der Experte. Er errechnet einen Bedarf von insgesamt rund 522 000 Wohnungen.
Der regionale Bedarf variiert jedoch stark. Ein genauerer Blick auf die aktuellen Leerstandszahlen zeigt, dass nicht nur Städte wie Zürich und Genf von sehr tiefen Leerstandsziffern betroffen sind, sondern auch touristische Gemeinden im Kanton Graubünden und im Berner Oberland.
Veränderte Nachfrage nach Wohnungsgrössen
Eine Analyse des Basler Unternehmens Demografik zeigt gegensätzliche Trends auch bei den Wohnungsgrössen: Die Leerstände bei 5- und 6-Zimmer-Wohnungen stiegen im letzten Jahr um 2 Prozent bzw. 8 Prozent, und zwar in fast allen Kantonen der Schweiz. Zugleich deuten sinkende Leerstände bei kleinen Wohnungen auf eine veränderte Nachfrage hin. Der demografische Wandel werde die Unterschiede zwischen den Regionen und Wohnungstypen noch vergrössern, schreibt das auf Demografie spezialisierte Institut.
Die steigende Zahl von Rentnerinnen und Rentner erhöht die Nachfrage nach kleinen Wohnungstypen. Doch auch junge Menschen in Ausbildung haben eine klare Präferenz, auf kleiner Fläche und damit auch zahlbar zu wohnen.
Auch wenn es ausserhalb der Wirtschaftszentren noch ausreichend Baulandreserven gibt, muss das Angebot in den am stärksten nachgefragten Gebieten verbessert werden, insbesondere in urbanen Zentren und gut angebundenen Agglomerationen. Dabei ist es wichtig, auch die Wohnungsgrössen auf die gesellschaftlichen Veränderungen abzustimmen.