Geht es nach der Regierung, muss die UBS bald mehr Kapital für ihre ausländischen Tochterbanken halten. Wie einschneidend die neuen Regeln wären, ist aber strittig. Die wichtigsten Fragen und Antworten.
In der Schweiz soll der Steuerzahler nie wieder eine Grossbank retten müssen. Der Bundesrat will daher Lücken schliessen bei den «Too big to fail»-Regeln. Gestritten wird vor allem über die Frage, wie stark die UBS ihr Eigenkapital erhöhen solle. Eine Woche nach der Präsentation der bundesrätlichen Vorschläge bleiben die Meinungen darüber geteilt, ob die UBS mit Samthandschuhen angefasst wird oder ob ihr eine schmerzhafte Verteuerung des Geschäfts droht. Das sind die wichtigsten Punkte der Kontroverse:
Warum ist Eigenkapital wichtig für eine Bank?
Es ist bei Banken wie bei allen Unternehmen: Eigenkapital bietet Schutz gegen Verluste – etwa wenn viele Kreditnehmer ihre Kredite nicht mehr begleichen können, wie dies in der Finanzkrise 2008 bei amerikanischen Hausbesitzern der Fall war. Oder wenn Investitionen rasch an Wert verlieren. Eigenkapital sorgt dafür, dass Verluste aufgefangen werden können, ohne dass gleich die Kundeneinlagen in Gefahr geraten und die Insolvenz der Bank droht.
Bis Mitte des 19. Jahrhunderts hatten Banken ähnlich viel hartes Eigenkapital wie Industriefirmen, also gegen 40 Prozent der Bilanz. Heute liegt die Quote oft nur noch bei 5 Prozent. Das ist sowohl aus historischer Sicht als auch mit Blick auf andere Branchen sehr wenig. Im Nachgang zur Finanzkrise 2008, als das Problem fehlender Finanzpolster deutlich wurde, wurden die Eigenkapitalanforderungen für Banken aber verschärft.
Trug fehlendes Eigenkapital zum Niedergang der CS bei?
Ja und nein. Auf Konzernebene war die Credit Suisse bis zu ihrem Ende ausreichend mit Eigenkapital versorgt. Der unmittelbare Grund für den Niedergang war ein Mangel an flüssigen Mitteln: Die Bank hatte aufgrund zahlreicher Skandale das Vertrauen ihrer Kunden und Geschäftspartner verloren. In der Folge sorgten an sich wenig bedeutende Neuigkeiten im Oktober 2022 und nochmals im März 2023 für Panik unter der CS-Kundschaft. Sie zog Milliarden an Einlagen ab. Der zweite Bank-Run wäre ohne die staatlich orchestrierte Übernahme durch die UBS tödlich verlaufen.
Das Eigenkapital spielte beim Niedergang der CS dennoch eine Rolle: Es war innerhalb der Bank ungleich verteilt und teilweise blockiert, was ihren Handlungsspielraum während der Krise einschränkte. Allen voran das CS-Stammhaus (Parent-Bank) war eher schwach kapitalisiert und galt als schwächstes Glied in der Kette. Das trug zum Vertrauensverlust bei. Das Stammhaus hält bei der UBS (und hielt bei der CS) die Schweizer Bank sowie die Tochterbanken im Ausland. Im Fall der UBS befinden sich diese Töchter primär in den USA und im Vereinigten Königreich. Das Stammhaus verfügt über eine Banklizenz und ist selbst operativ tätig – anders als die ihr übergeordnete Holding.
Was schlägt nun der Bundesrat für die UBS vor?
Aufgrund der Erfahrung mit dem Niedergang der Credit Suisse setzt der Bundesrat vor allem auf eine stärkere Kapitalisierung des Stammhauses. Er fordert nun, dass das Stammhaus seine ausländischen Beteiligungen künftig mit mehr Eigenmitteln unterlege.
Derzeit muss das Stammhaus ausländische Beteiligungen nur zu zirka 60 Prozent mit Eigenkapital absichern. Wie stark die Quote erhöht werden soll, lässt der Bundesrat offen – die Rede ist von einer «deutlichen Erhöhung». Vieles deutet auf eine Anpassung auf 100 Prozent hin. Das würde heissen, dass dasselbe Aktivum nicht länger mit unterschiedlich viel Eigenkapital unterlegt werden könnte, je nachdem, ob es im Stammhaus oder in einer Tochtergesellschaft verbucht ist.
Warum waren die bisherigen Regeln ein Problem?
Solange es mit der CS halbwegs rundlief, stellte der erleichterte Umgang mit Tochtergesellschaften auf Ebene des Stammhauses kein Problem dar. Als die Bank aber in Schieflage geriet, änderte sich das. Angesichts knapper Mittel und versiegender Liquidität wäre es vorteilhaft gewesen, man hätte eine ausländische Beteiligung verkaufen können, etwa im Investment Banking.
Solche Verkäufe waren gemäss Bundesrat aber «faktisch unmöglich, weil dies die Kapitalausstattung des Stammhauses substanziell geschwächt hätte». Der Spielraum war also eingeschränkt. Und eine strategische Neuausrichtung, welche die Abwärtsspirale hätte stoppen können, war kaum noch möglich. Auf diese Gefahr war die Bank in besseren Zeiten von Regulatoren zwar wiederholt hingewiesen worden. Die Warnungen wurden bei der CS aber ignoriert.
Warum waren die bisherigen Eigenkapitalvorschriften problematisch?
Weil Eigenkapital teuer ist, haben die Finanzinstitute einen starken Anreiz, nicht zu viel davon zu halten. Haben sie die freie Wahl, verbuchen sie kapitalintensives Geschäft daher in einer Einheit, die nur geringe Eigenkapitalanforderungen erfüllen muss. Der «Tochter-Rabatt» verführt Banken zu solchem Financial Engineering. Besonders die CS nutzte die uneinheitlichen Kapitalanforderungen über die Jahre gekonnt aus. Und blockte Vorstösse der Finanzmarktaufsicht, die Lücke zu schliessen, jeweils ab.
Wie teuer käme der Wegfall des Rabatts die UBS zu stehen?
In den Medien zirkulieren diverse Zahlen. Wissen kann es aber niemand. Viele Parameter sind unbekannt, etwa die künftige Grösse und Struktur der Bank. Unklar ist auch, ob die UBS ihre Töchter künftig mit 100 Prozent Eigenkapital unterlegen muss oder nur mit 80 oder 90 Prozent. Ausserdem ist strittig, ob die fehlenden Eigenmittel vollumfänglich mit hartem und teurem Eigenkapital ergänzt werden müssen oder ob auch günstigere Bail-in-Bonds akzeptiert werden. Solche Schuldpapiere würden bei drohender Insolvenz abgeschrieben und in Eigenkapital gewandelt.
Entsprechend gross ist die Bandbreite der Schätzungen für das von der UBS aufzubauende Eigenkapital. Sie reicht von 15 Milliarden bis 25 Milliarden Franken – eine Grössenordnung, die Finanzministerin Karin Keller-Sutter gegenüber Medien als plausibel bezeichnet hat.
15 bis 25 Milliarden neues Eigenkapital – wäre das viel?
Es wären substanzielle Beträge. Die UBS verfügte Ende 2023 über 78 Milliarden Dollar an hartem Eigenkapital und über 200 Milliarden Dollar an sogenannt verlustabsorbierendem Kapital, wozu auch die Bail-in-Bonds gezählt werden. Die Kosten für die UBS hängen stark davon ab, ob sie hartes Eigenkapital oder nur weitere Wandelanleihen aufbauen muss. Relevant ist auch, welche Frist die UBS zum Auffüllen ihrer Kapitalreserven erhält.
Die Abschaffung des Tochter-Rabatts würde die UBS schmerzen. Die Auswirkungen für die Bank wären aber besser verkraftbar als andere Verschärfungen, die von Politikern und Akademikern im Zuge der neuen «Too big to fail»-Debatte bereits gefordert worden sind. Müsste die UBS stattdessen ihre sogenannte ungewichtete Eigenkapitalquote von rund 5 auf 15 oder 20 Prozent erhöhen, müsste sie weit über 100 Milliarden Dollar an neuem Eigenkapital auftreiben.
Wäre die UBS gegenüber anderen globalen Grossbanken benachteiligt?
Für die internationalen Regeln zur Finanzindustrie ist primär der Basler Ausschuss für Bankenaufsicht zuständig. Dieser kümmert sich aber nur um Regeln auf konsolidierter Gruppenebene. Die Kapitalisierung auf der Stufe der Stammhäuser bleibt den Staaten überlassen. Entsprechend gross sind die Unterschiede. In den USA gibt es zu den Stammhäusern zum Teil gar keine Regeln. Denn US-Banken sind vor allem auf dem grossen Heimmarkt tätig; ausländische Töchter fallen kaum ins Gewicht.
In der Schweiz ist das anders. Aufgrund des kleinen Heimmarktes haben ausländische Töchter für die UBS eine viel höhere Bedeutung, etwa in Relation zur Grösse des Gesamtkonzerns. Vom gesamten Geschäft, Risiko, Ertrag und Kapital liegt ein grosser Teil bei ausländischen Töchtern. Daher ist ein Wegfall des Tochter-Rabatts für die UBS schmerzhafter, als dies bei der US-Konkurrenz der Fall wäre.
Warum will der Bundesrat keine generelle Eigenkapitalerhöhung?
Die bisherigen Ausführungen zeigen es: Die vorgeschlagene Aufstockung der Eigenmittel für ausländische Töchter ist komplex. Wenn es nur darum geht, die Kapitaldecke der UBS zu stärken, gäbe es einfachere Wege. So könnte man eine generelle Erhöhung der Eigenmittel verfügen, also mehr Kernkapital in Relation zum Bilanzvolumen einfordern. Von einer solchen Anhebung der Leverage-Ratio – ein einfaches Mass zur Begrenzung der Verschuldung – sieht der Bundesrat aber ab.
Warum? Eine generelle Eigenkapitalerhöhung berücksichtigt laut dem Bundesrat zu wenig, wie risikoreich die Bank operiert. Also fiele auch der Anreiz weg, riskante Geschäfte zu reduzieren. Zudem könnte man eine solche Verschärfung kaum auf systemrelevante Banken beschränken, sondern müsste dies für die ganze Branche vorschreiben, weil sonst der Wettbewerb stark verzerrt wäre. Die Frage einer generellen Eigenkapitalerhöhung bleibt aber umstritten. Zwei vom Bund eingesetzte Expertengruppen kamen zu verschiedenen Resultaten.
Welche weiteren Verschärfungen kommen auf die UBS zu?
Die UBS könnte eine Abschaffung des Tochter-Rabatts wohl einfacher verkraften, wenn ihr nicht parallel bereits höhere Kapitalanforderungen aufgebürdet würden.
Erstens liegen diese in der Übernahme der CS begründet. Die geltenden Kapitalregeln sind nämlich progressiv. Das heisst: Verdoppelt eine Bank ihre Bilanzsumme, muss sie mehr als zweimal so viel Eigenkapital halten. Die UBS ist mit dem CS-Kauf 2023 auf einen Schlag stark gewachsen. Die Behörden haben der UBS immerhin eine Frist bis 2030 gewährt, bis sie die neuen Regeln vollständig erfüllen muss. Doch aufgeschoben ist nicht aufgehoben: Bei unveränderter Grösse im Vergleich zu heute müssten die Eigenmittel um rund 10 Prozent steigen.
Zweitens werden der UBS ab 2025, wenn die Schweiz die globalen Basel-III-Regeln vollständig übernimmt, gewisse Rabatte bei der Risiko- und Kapitalberechnung wegfallen. Drittens könnten Zuschläge basierend auf Stresstests dazukommen.
Die UBS muss diese Verschärfungen jedoch nicht eins zu eins umsetzen. Michael Klien, Bankenanalyst bei der ZKB, sagt, dass die UBS Ende 2023 über rund 40 Prozent mehr hartes Kernkapital verfügt habe, als sie gemäss Mindestanforderungen halten musste. Wenn diese nun stark steigen, könnte die Bank im Gegenzug ihre Sicherheitsmarge ein bisschen verringern; wie ein Radfahrer in der Abfahrt, der sich in jeder Kurve ein klein wenig näher an den Strassenrand treiben lässt, um Zeit herauszuholen.
Klien gibt aber zu bedenken, dass die UBS die Sicherheitsmarge nicht beliebig verkleinern werde, um weiter für Unerwartetes gewappnet zu sein.
Was heisst das jetzt für die UBS-Aktionäre?
Kurzfristig wenig Gutes. Werden die schärferen Regeln für ausländische Tochtergesellschaften eingeführt, wird die UBS zusätzliches Eigenkapital aufbauen müssen, indem sie einen Teil ihrer Gewinne nicht an die Aktionäre ausschüttet, sondern einbehält.
2023 hat die UBS unter Ausklammerung von Sondereffekten 3,9 Milliarden Dollar verdient, 2022 waren es 7,6 Milliarden. Bis die Bank einen zweistelligen Milliardenbetrag zur Seite gelegt hat, dauert es einige Jahre.
Analysten rechnen damit, dass die UBS ihre ordentliche Dividende weiterhin auszahlen würde. Dies gilt als Zeichen der Stabilität – eine Kürzung würde von den Märkten sehr negativ bewertet. Allerdings müsste die UBS ihren Plan, die Aktionäre mit immer grösseren Aktienrückkaufsprogrammen zu beglücken, überdenken.
Vor allem diese drohende Zurückhaltung hat den UBS-Anlegern jüngst die Laune verdorben, hatten Marktbeobachter für die kommenden Jahre doch einen aggressiven Ausbau der Aktienrückkäufe eingepreist. Gemessen an dieser Erwartungshaltung hat die Börse auf die Ankündigung des Bundesrats noch zurückhaltend reagiert. Die UBS-Aktie verlor seit der Ankündigung des Bundesrats zwar rund 10 Prozent an Wert, andere Bankentitel verzeichneten in dieser Zeitspanne aber auch sinkende Kurse.
Wie würde die UBS auf die schärferen Regeln reagieren?
Und wenn die Bank nicht mitspielt? Seit der CS-Übernahme wird gemutmasst, die UBS könnte ihren Hauptsitz ins Ausland verlagern, falls ihr die Politik zu scharfe Kapitalregeln aufbürdet. Die UBS-Spitze hält sich klugerweise zurück, offen mit einem Wegzug zu drohen, wie das Bankchef Sergio Ermotti in seiner ersten Zeit als UBS-CEO, 2017, einmal getan hatte. Ohnehin würde die UBS, die sich in der Werbung als «eine Bank wie die Schweiz» anpreist, ungern auf ihre Swissness verzichten.
Michael Klien wendet indes ein, dass die UBS, die über keine Ankeraktionäre verfügt, nicht selbst ins Ausland fliehen müsste; sie könnte zur Übernahmekandidatin werden, falls sie künftig viel schärfere Kapitalregeln erfüllen müsste als die globale Konkurrenz. Ein neuer Eigentümer könnte die UBS ins Ausland «entführen» und sie mit weniger Eigenkapital (und somit günstiger) betreiben. Allerdings: Dass eine solche Übernahme gegen den Willen der Schweizer Behörden stattfinden würde, scheint unrealistisch.